28 abgelesen werden. Annaliese Mayer-Meintschel aus Dresden und Arthur Wheelock aus Washington veröffentlichten fast zeitgleich diese Befunde.4 Beide konnten sich die Anwesenheit des Hintergrundbildes und des Römerglases nur so erklären, dass diese zu einem frühen Entwicklungsstadium des Bildes gehörten und dass der Vorhang, der diese Details teilweise überdeckt, einem späteren Stadium der Malerei zuzurechnen sei. Mayer-Meintschel gab zugleich eine Erklärung der Befunde, indem sie resümierte: »Beide Attribute, den Cupido als auch den Römer hat Vermeer dann wieder zugemalt.«5 Einem Topos gleich wurden diese spannenden Befunde fortan in die Vermeer-Literatur mit aufgenommen und erlangten eine noch weitere Verbreitung als beispielsweise das Wissen um eine verdeckte Landkarte im Berliner Bild Junge Dame mit Perlenhalsband.6 Auch nachfolgende materialtechnische Untersuchungen am Bild, so 1994 von Marlies Giebe und Uta Neidhardt7 und 2009/10 durch den Autor,8 akzeptierten die gebräuchliche Lesart und stellten keine Fragen zur Originalität eines Viertels der Bildfläche. Über die Jahrhunderte hatte man sich an das Brieflesende Mädchen in Dresden gewöhnt, sodass keine noch so intensive Bildanalyse an dessen Erscheinungsbild Anstoß nahm. Restaurierung Neben den Untersuchungen stand eine komplexe Restaurierung des Gemäldes seit langer Zeit auf der Agenda der für die Sammlungsbetreuung zuständigen Gemälderestaurierungswerkstatt. Das Bild wurde im Jahr 2003 zu einer Sonderausstellung nach Madrid ausgeliehen und zwei Jahre später nach Japan geschickt. In Vorbereitung dieser Transporte bedurfte es der Festigung von kleinen Farbhebungen und der Ertüchtigung der Randverklebung mit der alten Doublierleinwand. Ein Treffen mit fünf nach Dresden eingeladenen Experten im März 2017 markierte den Beginn der Restaurierung und damit den Anfang einer besonderen Bild-Metamorphose.9 Im Mittelpunkt des Treffens standen die Erörterungen über den Erhaltungszustand des Bildes und die Restaurierungskonzeption.10 Diese Einschätzungen basierten auf vorausgegangenen Begutachtungen und auf einer Studie zur Restaurierungsgeschichte des Bildes.11 Zudem konnte auf die zurückliegenden Bilduntersuchungen von Herman Kühn,12 auf die Röntgenaufnahme, auf die 2009/10 durchgeführte Infrarotreflektografie,13 die mikroskopischen Untersuchungen und eine spezielle Leinwandstrukturanalyse14 zurückgegriffen werden. Die Zusammenkunft endete mit der einhelligen Befürwortung einer umfassenden Restaurierung und unterstützte damit wesentlich die Entscheidung der Galerieleitung für dieses Vorhaben (Abb. 5). Die ersten Arbeiten am Bild, abgesehen von der zuvor begonnenen ausführlichen fotografischen Dokumentation,15 bestanden in der Entfernung des Firnisses – einer Naturharzschicht, die von der Restaurierung des Bildes 1838 stammen könnte und in den nachfolgenden 170 Jahren mehrere Überarbeitungen erfuhr (Abb. 4). Dafür kamen mit organischen Lösungsmitteln getränkte Wattefahnen zum Einsatz, die in rollender Bewegung die gelösten Firnisbestandteile aufzunehmen vermochten. Die Abnahme begann an der linken Bildkante und setzte sich Streifen für Streifen nach rechts fort (Abb. 6–8). Abb. 4 Detail mit zersetztem Firnis, Zustand 2009 Abb. 5 Treffen der Expertenkommission, 6. Mai 2019
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1