31 Probestellen im Bereich zwischen dem Fensterflügel und dem Vorhang wiederholte, gab Anlass für eine Reihe naturwissenschaftlicher Untersuchungen, die Christoph Herm (Hochschule für Bildende Künste Dresden, Labor für Archäometrie) ausführte.17 Die Ergebnisse dieser Farbprobenuntersuchungen waren insofern erstaunlich, als sie die bisherige Lesart, die Übermalung des Hintergrundbildes sei von Vermeer vorgenommen worden, in Frage stellten: Insbesondere zwei Proben aus dem Bereich des Hintergrundbildes [Proben H8-Q, H9-Q vgl. S. 52, Abb. 3, Schema der Farbproben] erwiesen sich als entscheidend für eine neue Bewertung. Sie zeigten, dass über der elfenbeinfarbenen Grundierung und der dünnen originalen Farbschicht zwei Bindemittelschichten liegen. In der abgebildeten Probe H9-Q (S. 56, Abb. 9 a + b) ist zwischen diesen Bindemittelschichten eine dünne, dunkle Schicht zu erkennen, die als Schmutzschicht angesehen werden kann. Über diesen Bindemittelschichten, die hauptsächlich Naturharz enthalten und somit als alte Firnisschichten zu interpretieren sind, folgen zwei Schichten Übermalungsfarbe. Ganz oben befindet sich noch der Firnis, der in diesem Bereich erst nach der Probennahme entfernt wurde. Das besondere Interesse richtete sich nun auf die Bindemittelschichten zwischen der originalen und der Übermalungsfarbschicht. Da sich bei der Firnisabnahme auch gezeigt hat, dass alle vier Ränder des Gemäldes ebenfalls übermalt wurden, sind weitere Farbschichtproben [Proben H18-S, H14-Q, H20-Q, H21-S, H22-S, H23-S vgl. S. 52, Abb. 3, Schema der Farbproben] in diesen Bereichen genommen und mit den Befunden des Hintergrundbildes verglichen worden. Auch hier gibt es zwischen der originalen Farbe und der Übermalungsschicht alte Bindemittelschichten. Diese Erkenntnisse zu der Schichtenfolge des Hintergrundbildes wurden zudem erweitert durch die Ergebnisse einer ganzflächigen Röntgenfluoreszenzuntersuchung (MA-XRF) des Bildes, auf die im Beitrag zur Maltechnik genauer eingegangen wird (vgl. S. 59–73).18 Eine Reihe weiterer Beobachtungen kamen zu dem getesteten unterschiedlichen Löslichkeitsverhalten der Schichten und zu den Resultaten der punktuellen Farbschichtuntersuchungen hinzu: Es ist auffällig, dass der Farbton der Übermalungsfläche, beginnend an der unteren Kante, von einem warmen Grau zu einem dunkleren Braungrau nach oben hin wechselt. Diese Farbabstufung gegenüber der weißen Wand tritt besonders rechts vom Rücken des Mädchens in Erscheinung. Der Farbunterschied, der durch die Firnisabnahme sehr verstärkt worden ist, kann nicht das Resultat einer altersbedingten Farbveränderung des Originals sein. Vielmehr ist er auf die Farbmischung der Übermalungsfarbe zurückzuführen, die sich wohl auf einen Braungelbton eines gealterten Firnisses über der Malerei Vermeers bezog. In den Farbunterschieden drückt sich ein zeitlicher Abstand von wenigstens mehreren Jahrzehnten zwischen der Ausführung des Bildes gegen 1658 und dem Aufbringen der Übermalungsschicht aus. In diesem Zeitraum war zunächst der erste Firnis auf dem vollendeten Gemälde getrocknet und hatte durch Alterung eine deutliche Vergilbung erfahren. Auf dieser Schicht setzte sich eine dünne Schmutzschicht ab. Später erfolgte ein zweiter Firnisauftrag. Auf diesen wurde im Wandbereich hinter dem Mädchen die Übermalungsschicht aufgebracht. Sie deckte das Cupido-Bild im Hintergrund für Jahrhunderte ab (Abb. 14–16). Vorweggenommen seien hier noch zwei Beobachtungen, die aber erst während der Abnahme der Übermalungsschicht möglich wurden: An mehreren Stellen ist zu sehen, dass die originale Farbschicht bereits gealtert und entsprechend krakeliert war, bevor die Übermalungsfarbe appliziert wurde. Diese drang an etlichen Stellen in die vorhandenen Risse und Spalten ein und füllte sie im oberen Teil aus. Die Übermalungsfarbe wiederum bildete ein mehr Abb. 13 Detail mit Kratzer an der Schulter des Cupidos
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1