Leseprobe

80 Wie funktioniert diese Untersuchungstechnik? Ähnlich wie bei der traditionellen Röntgenuntersuchung arbeitet auch die MA-XRF mit einer Röntgenquelle. Die Röntgenstrahlen können alle Farbschichten des Gemäldes durchdringen und Elektronen aus den inneren Schalen der Atome herausschlagen, wodurch diese in einen angeregten Zustand versetzt werden. Um sie zu stabilisieren, füllen Elektronen aus den äußeren Schalen die in den inneren Schalen entstandenen Leerstellen auf. Dieser Vorgang geht mit der Emission von sekundärer oder fluoreszierender Röntgenstrahlung mit einer elementspezifischen Energie einher (Abb. 2). Durch das Messen dieser elementspezifischen Energie lassen sich die Elemente, aus denen ein Material besteht, identifizieren. Hierbei ist anzumerken, dass die MA-XRF jedoch nur Elemente mit einer höheren oder gleichhohen Ordnungszahl (Z≥15) wie Phosphor erkennen kann. Der MA-XRF-Scanner besteht aus einem in x, y, und z-Achse motorisierten Messkopf, der mit einer Röntgenquelle und einem oder mehreren Detektoren ausgestattet ist. Das Gemälde wird ausgerahmt vor dem Scanner auf einer Staffelei befestigt und der Messkopf in einem Abstand von etwa einem Zentimeter zur Oberfläche des Bildes positioniert; einen tatsächlichen Kontakt gibt es nicht. Anschließend wird das Gemälde durch langsames Bewegen des Messkopfes »Zeile für Zeile« mit konstanter Geschwindigkeit gescannt (Abb. 1). Der Detektor kann für jeden Messpunkt im Bild die für die einzelnen chemischen Elemente charakteristischen Energielinien auslesen. Die dabei generierten Elementverteilungskarten werden in der Regel als Graustufenbilder dargestellt (vgl. die MA-XRF-Karten im Atlas). Die hellen Bereiche der Karten stehen dabei für Gebiete, in denen ein Element in relativ großer Menge vorhanden ist. Interpretation der MA-XRF-Elementverteilungskarten Pigmente bestehen aus charakteristischen chemischen Elementen. Identifiziert der Scanner zum Beispiel Blei, so handelt es sich in niederländischer Malerei des 17. Jahrhunderts meist um das Pigment Bleiweiß, ein Bleicarbonat und das wichtigste Weißpigment in Vermeers Zeit (vgl. MA-XRF (Pb) im Atlas). Das Vorhandensein von Quecksilber deutet indes auf den Einsatz von Zinnoberrot hin, einem leuchtend roten Quecksilbersulfid, das bei dem Brieflesenden Mädchen im Teppich, im roten Vorhang und in den Lippen und Wangen der jungen Frau zu finden ist (vgl. MA-XRF (Hg und S) im Atlas). Einige Pigmente setzen sich aus mehreren nachweisbaren charakteristischen Elementen zusammen. Das Pigment Smalte etwa ist ein gemahlenes Kaliumsilicatglas, das mit Cobalterz gefärbt wurde. In Verbindung mit dem Cobalterz kann die MA-XRF zusätzlich zum Cobalt-Signal auch Signale von Nickel, Arsen und Wismut erfassen (vgl. MA-XRF (Co, Ni und As) im Atlas). Selbst bei starker Pigmentdegradierung, wie in Teilen des Teppichs, lassen sich Cobalt und die anderen damit verbundenen Elemente noch nachweisen. Die Kombination von Blei und Zinn weist auf Bleizinngelb hin, ein Blei- und Zinnoxid, auch Bleistannat genannt. Im Falle der Briefleserin wurde es beispielsweise in der gelben Jacke und in der Obstschale verwendet (vgl. MA-XRF (Pb und Sn) im Atlas). Die schwarzen Verzierungen und Ränder der Jacke und des schwarzen Rocks der jungen Frau tauchen sowohl in den Karten für Calcium als auch für Phosphor auf, deren gleichzeitiges Vorhandensein charakteristisch für Knochen- oder Beinschwarz ist (vgl. MA-XRF (Ca und P) im Atlas). Die identifizierten chemischen Elemente lassen also Rückschlüsse auf die verwendeten Pigmente zu, und die Verteilungskarten geben an, wo sie im Gemälde vorkommen. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Pigmente, die im Gemälde Abb. 2 Diagramm, Prozess der Röntgenfluoreszenzanregung und -emission im Inneren des Atoms

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1