Leseprobe

17 Laufe eines längeren Arbeitsprozesses mehrfach verändertes, in allen Arbeitsschritten eigenhändiges Werk zu sehen.9 Zweifel an der damals sichtbaren Komposition, die man als Ausdruck der Perfektion eines begabten jungen Malers bewunderte, bestanden nicht, weder in Dresden noch in der internationalen Fachwelt.10 Die vorliegende Publikation enthält daher Forschungs- und Untersuchungsergebnisse, die das restaurierte Gemälde aus der Sicht der in einem 2017 begonnenen Projekt zusammenarbeitenden Restauratoren, Naturwissenschaftler, Kunsthistoriker, Mathematiker und IT-Experten mehrerer europäischer und amerikanischer Institutionen betrachtet. Sie soll das Gemälde Vermeers noch umfassender beschreiben, den Prozess seiner Entstehung klären und die Dresdner Entscheidung zur Abnahme der späteren Übermalung für Fachkollegen und Öffentlichkeit transparent und nachvollziehbar machen. II Der erste Hinweis zur Ankunft des Gemäldes Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster in Dresden findet sich in einem 1742 datierten Brief des Sekretärs der Sächsischen Gesandtschaft und offiziellen Kunstagenten in Paris, Samuel de Brais, an den sächsischen Premierminister Graf Heinrich von Brühl. De Brais kündigte dem Premierminister die Sendung eines 30 Werke umfassenden Gemäldekonvoluts an, das durch Vermittlung des Pariser Kunsthändlers Noël Araignon für die Sammlung des sächsischen Kurfürsten und Königs von Polen, August III., zusammengestellt worden war. Er ergänzte, dass der Händler ihm als kostenlose »Zugabe« ein Werk Rembrandts mitschicken würde, das er folgendermaßen beschrieb: »Dans le nombre des tableaux que Votre Excellence recevra il y en a un Rembrant representant une Jeune fille qui lit vis à vis d’une fenêtre [...]«,11 eine Darstellung also mit einem »junge[n] Mädchen, das gegenüber einem Fenster liest«. Dass es sich dabei sowohl aus der Sicht des Spenders als auch für den Empfänger um eine sehr großzügige Gabe gehandelt haben muss, dafür spricht die falsche Zuschreibung an Rembrandt, die vor dem Hintergrund von Vermeers relativer Unbekanntheit zu jener Zeit und des verfälschten Erscheinungsbildes der Briefleserin durchaus nachvollziehbar ist. Von einem Liebesgott Abb. 5 Ausstellung »Johannes Vermeer. Vom Innehalten«, 10. September 2021– 2. Januar 2022 in der Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Ausstellungssituation Abb. 6 Weborello zur Ausstellung »Johannes Vermeer. Vom Innehalten« Digitales, interaktives Informationsmedium zur Vor- und Nachbereitung des Ausstellungsbesuchs

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