Leseprobe

14 Einführung identifiziert wurde. Friedrich II. von Preußen dürfte hier das Leitbild der borussisch-deutschen Geschichtsforschung abgegeben haben. Johann Georg wird hingegen von Flathe abgesprochen, »männlich und kühn« an die Spitze der Evangelischen getreten zu sein, um »der anschwellenden katholischen Reaction einen Damm entgegenzuwerfen«.53 Im Hintergrund solcher historiographischer Zuschreibungen steht freilich das für die europäische Geschichte prägende Konzept hegemonialer Männlichkeit.54 Der genannte Friedrich der Große steht auch für eine weitere ›Tugend‹, einen dritten Fetisch dieser historischen Schule – den asketischen, ganz auf die Politik und die Aufgabe als Staatsmann ausgerichteten Lebensstil eines idealen Herrschers. Unvereinbar damit war freilich eine ›barocke‹, sinnliche Lebensart, die wiederum mit dem vermeintlich bigotten Katholizismus in Verbindung gebracht wurde.55 Schließlich ist viertens der nationale Gedanke anzusprechen, der ganz deutlich auch bei Flathe von Bedeutung ist, attestiert er Johann Georg doch bei allen Unzulänglichkeiten immerhin ein »aufrichtige[s] reichspatriotische[s] Pflichtgefühl« und hat dabei vermutlich eher das Deutsche Reich von 1871 als Folie vor Augen als die spezifische Situation des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation im 17. Jahrhundert.56 Wie bereits gesagt, hat sich der Blick auf Johann Georg in den letzten Jahrzehnten gewandelt, was freilich nicht nur mit empirischer Forschung, dem Auffinden neuer Quellen, dem Wandel von Methoden usw. zu tun hat, sondern auch und vor allem mit einem Wandel der Geschichtsbilder. Das Festhalten am Status quo, die Suche nach Kompromissen, die Sehnsucht nach Frieden als Charakteristika frühneuzeitlicher Politik sowie die spezifischen Formen höfischer und herrschaftlicher Repräsentation dieser Zeit werden heute anders, wohlwollender betrachtet.57 Das mag mit den vielschichtigen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts zusammenhängen, aber insbesondere auch mit einem nüchternen, weniger ideologischen und letztlich weniger gegenwartsbezogenen Blick auf die Vergangenheit. Eine neue Einschätzung Johann Georgs deutet sich bereits im biografischen Eintrag von Karlheinz Blaschke in der Neuen Deutschen Biographie von 1974 an.58 Betont wird hier die außenpolitische Kontinuität der sächsischen Kurfürsten seit dem 16. Jahrhundert, in der Johann Georgs an die Habsburger angelehnte Politik stand.59 Sein Handeln wird dementsprechend nicht vorrangig unter konfessionellen Vorzeichen und vor dem Hintergrund eines deutsch-österreichischen Gegensatzes betrachtet, sondern mit Blick auf die Verfassung und Struktur des Reiches, wobei Johann Georg diesbezüglich eine »damals bereits antiquierte[] Reichsgesinnung« attestiert wird, »die den Schlüssel zum Verständnis seiner Entscheidungen gegen die böhm[ischen] Konfessionsverwandten und seiner Abneigung gegen die reichsfremden Schweden darstellt.«60 Jagdleidenschaft und Trinklust werden zwar erwähnt, aber eher beiläufig am Ende des Artikels. Dagegen wird bereits eingangs auf Johann Georgs Fleiß und seine Fähigkeit zu eigenständigen Regierungsentscheidungen hingewiesen, auch wenn der Kurfürst »im Ganzen gesehen als Objekt des Geschehens, nicht als dessen Träger« erscheine. Blaschke selbst hat sich in diesem Sinne in den 1990er Jahren in weiteren, kleineren Beiträgen zu Johann Georg bzw. zum Dreißigjährigen Krieg geäußert.61 Ein ambivalentes, aber gegenüber der älteren Forschung doch differenzierteres Bild findet sich dann auch in biografischen Abrissen zu Johann Georg und den Synthesen zur sächsischen Geschichte der jüngeren Zeit:62 Während in der von Karl Czok herausgegebenen »Geschichte Sachsens« von 1989 noch mehrfach im Sinne der älteren Literatur auf die »wenig entschlossene« und »wankelmütige[]« Politik des Kurfürsten rekurriert wird,63 fehlen in Reiner Groß’ 2001 erstmals publizierter und 2012 in fünfter Auflage erschienener »Geschichte Sachsens« derartige Verweise auf das persönliche bzw. charakterliche Versagen des Kurfürsten. Stattdessen zeigen Begrifflichkeiten wie »Vermittlerrolle«, »Neutralitätspolitik«, »Erkennen politischer Realitäten« oder gelungenes »Taktieren« die Verschiebung der Bewertungsmaßstäbe.64 In eine ähnliche Richtung weist der betreffende Abschnitt in Katrin Kellers »Landesgeschichte Sachsen« von 2002, in dem insbesondere die kursächsischen »Vermittlungs- und Deeskalationsbemühungen«, aber auch die »politische Klarsicht« Johann Georgs hervorgehoben werden.65 Nicht verwunderlich ist vor diesem Hintergrund, dass Reiner Groß in seinem Wettiner-Buch von 2007 eine insgesamt doch recht positive Bilanz der Regierungszeit Johann Georgs und seines Agierens im Dreißigjährigen Krieg zeichnet: »Er galt [...] als friedfertig, trat für eine florierende Wirtschaft ebenso ein wie für den Zusammenhalt der deutschen Territorialstaaten und eine konstitutionelle Regierungsform, indem er seine Landstände immer wieder befragte. Die Geschichte kennt ihn aber auch als einen Landesfürsten, der 1620 die protestantischen Reichsstände in der böhmischen Sache verriet, dann 1631 den Kaiser und 1635 die Schweden. Aber immer wieder zog er daraus wohl doch in kühlem Abwägen der Notwendigkeiten und Möglichkeiten für sich und sein Land Vorteile.«66 Positiv verbucht werden in diesem Sinne die Ablehnung der böhmischen Königskrone 1619, die Sicherung der säkularisierten Stiftsgebiete 1620 und der Zugewinn der Lausitzen 1621 (endgültig 1635 bzw. 1648), das grundsätzliche Streben Johann Georgs nach Neutralität und seine kontinuierliche Suche nach einer Friedenslösung. Letztere gipfelte 1635 im Prager Frieden, der von Groß als »ein Religions- und Verfassungskompromiss« bezeichnet wird, der den Reichsfrieden wiederhergestellt und das Verfassungsmodell des Westfälischen Friedens vorgeprägt habe. »Dass der Westfälische Frieden das föderale Verfassungsprinzip festschrieb, war letztlich auch ein Ergebnis der reichstreuen Politik des sächsischen Kurfürsten

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