75 Einleitung: Fürstenkorrespondenz und ihre Erforschung In jüngerer Zeit standen bei der Untersuchung fürstlicher Korrespondenzen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit Briefe von Frauen im Fokus des Interesses. So wurde und wird etwa die wettinische Überlieferung wiederholt für instruktive Forschungen in diesem Feld herangezogen.1 Briefe bieten die seltene Chance, Habitus, Rollenverständnis und weibliche Inszenierung von Frauen, ihren Einfluss innerhalb der fürstlichen Familie sowohl in persönlichen und Alltagsangelegenheiten als auch in politischen Fragen auszuloten. Angeregt durch die Geschlechter- und Familienforschung hat aber auch die Einschätzung von Fürstenkorrespondenzen der Vormoderne im Allgemeinen ein neues Reflexionsniveau erreicht.2 Das Ziel der klassischen Briefforschung, insbesondere repräsentiert durch die Sammlung Steinhausens,3 ›private‹, ›unverstellte‹ Elemente der Fürstenbriefe aus der konventionellen Rhetorik herauszulösen und von den politischen Themen zu trennen, wurde mittlerweile aufgegeben. Gleichzeitig wurde auch die Kritik an der kanzleisprachlichen Konventionalität der Fürstenbriefe ad acta gelegt. Beide Paradigmen, also die Differenzierung zwischen privat und politisch sowie die Suche nach dem Privaten jenseits der Konvention sind, das dürfte mittlerweile Communis Opinio sein, unbrauchbare Forschungskonstruktionen. Man hat vielmehr erkannt, dass Briefformeln »keine inhaltsleeren, historisch gleichsam neutrale[n] Versatzstücke« sind, sondern »geteilte, verbindliche und grundlegende Auffassungen über soziale Gegenseitigkeit«.4 Rangkonventionen in Grußformeln, formale Konventionen beim Aufbau von Briefen und Formeln der sozialen Nähe zwischen den Briefpartnern sind drei Bestandteile der Konventionalität von Briefen, die einander bedingen und ergänzen. Vor allem die Formeln der sozialen Nähe bringen dabei ein fundamentales Loyalitäts- und Gegenseitigkeitsprinzip zur Anschauung, das die Briefpartner verbindet: Sich wie ein Vater, wie ein Sohn oder eine Tochter zu verhalten, bedeutet in einer entsprechenden sozialen Korrelation, sich richtig zu verhalten. Die Norm der Gegenseitigkeitsrhetorik ist unauflösbar, sie bildet die fundamentale Matrix jeder brieflichen Kommunikation zwischen den Familienmitgliedern, innerhalb derer sie jeweils die Position beziehen, die ihnen zukommt. Aus dieser Matrix, so die Beobachtung, gibt es für die Briefschreiberin oder den Briefschreiber kein Entrinnen. Nur innerhalb dieser Matrix und einer damit zusammenhängenden Konventionalität entsteht jener Bewegungsspielraum, innerhalb dessen Akteure oder Akteurinnen ihr Interesse, ihre Gestimmtheit zum Ausdruck bringen und versuchen können, Briefpartner zu beeinflussen und für sich einzunehmen.5 Fragestellungen Unter diesen Prämissen sollen im folgenden Beitrag Beispiele aus der bisher weitgehend unbekannten Korrespondenz zwischen dem sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. und seinem gleichnamigen ältesten Sohn beleuchtet werden. Ziel ist es einerseits, eine der noch wenig untersuchten Vater-Sohn-Beziehungen im Medium des Briefes exemplarisch in den Blick zu nehmen und nach den Konventionen sowie den Spielräumen innerhalb einer von Hierarchie, aber auch von sozialer Nähe geprägten Kommunikationssituation zu fragen. Zum anderen soll beobachtet werden, wie Briefe im Rahmen dieser VaterSohn-Beziehung für den Austausch und das Teilen von Nachrichten genutzt wurden, und zwar in Zeiten einer existenziellen Herausforderung des sächsischen Kurfürstentums, als dieses zum Kriegsschauplatz geworden war und Johann Georg I. wiederholt persönlich an den Feldzügen seiner Truppen teilnahm, während der Sohn in Dresden verblieb. Innerhalb dieser situativen Rahmung ist unter anderem danach zu fragen, wie Johann Georg I. gegenüber seinem Sohn in der Kommunikation mit den Erfolgen und auch Misserfolgen seiner Truppen umging. Denn wenn der Kurfürst auch nicht der eigentliche militärische Befehlshaber vor Ort war, sondern sich auf seine Truppenführer stützte, so gewann das Agieren des sächsischen Heeres durch die Präsenz des Oberhaupts des Kurstaates, das mit einem traditionellen Gottesgnadentum und einer besonderen fürstlichen Aura ausgestattet war, für die Zeitgenossen an Relevanz und Aufmerksamkeit. Erfolge wie Misserfolge wurden zweifellos in höherem Maße als sonst auch als Erfolge oder Misserfolge des Kurfürsten selbst betrachtet. Jugendjahre Johann Georgs II. Während der bisher nicht befriedigende Forschungsstand zur Regierungszeit Johann Georgs I.6 durch den vorliegenden Band auf einen neuen Stand gehoben wird, hat Johann Georg II. (geboren 1613, Kurfürst 1656–1680) bis dato noch deutlich weniger Aufmerksamkeit gefunden als sein Vater. Früher wurde er ähnlich wie dieser vorwiegend wegen einer angeblich ungezügelten Lebensführung kritisiert, inzwischen gilt er vor allem als kunstsinnig und als erster Förderer der Barockkultur am Dresdner Hof.7 Der Kurprinz wuchs mit zwei älteren und einer jüngeren Schwester sowie drei jüngeren Brüdern auf. Erziehung und Unterricht ab dem siebten Lebensjahr erfolgten im zeitgenössischen, typischen Rahmen.8 So ist für Johann Georg überliefert, dass er mit acht Jahren 76 Sprüche aus der Bibel, sechs Gebete, acht Psalmen, zehn Lieder und das Lesen erlernt hatte; wenig später begann er mit dem Lateinunterricht. Sein zwei Jahre jüngerer Bruder Moritz (1619–1681) überholte ihn allerdings bei seinem Lernfortschritt, da er im Alter von sieben
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