76 Der Kurfürst in seinem Umfeld Jahren bereits deutlich mehr Texte gelernt hatte und nun mit der Erlernung von Fremdsprachen sowie mit der Zeitungslektüre über das aktuelle Kriegsgeschehen beginnen sollte, um daraus politische Lehren zu ziehen, wie im Lehrprogramm festgehalten wurde.9 Dass auch die Abfassung von Briefen und damit die Beherrschung der zu erwartenden Stilistik und Rhetorik10 zum Lehrplan gehörten, ist offenbar in den sächsischen Instruktionen nicht eigens überliefert, aber als sicher anzunehmen, denn Moritz beispielsweise schrieb bereits mit sieben Jahren Briefe an seinen Vater, was in einer Zusammenstellung der Lernfortschritte der Kinder eigens lobend vermerkt wurde.11 Von dem noch jugendlichen Kurprinzen Johann Georg sind von 1623 und 1627 Briefe an seinen Vater überliefert, die er als Ältester zugleich für seine Brüder verfasste, während der Kurfürst auf Reisen war. Dieser seinerseits unterließ es nicht, seinen jugendlichen Söhnen auf deren Briefe zu antworten.12 1634 begleitete der Kurprinz in Vertretung seines Vaters, der während der Verhandlungen über einen zweiseitigen Frieden mit Kaiser Ferdinand II. (Vorvertrag von Pirna, November 1634) unabkömmlich war, zusammen mit seiner Mutter Magdalena Sibylla von Preußen (1586–1659)13 und seinem Bruder Moritz die Schwester Magdalena Sibylla (1617–1668) auf ihrem Brautzug nach Kopenhagen. Am 5. Oktober fand das Beilager mit dem dänischen Kronprinzen Christian (1603–1647) statt. Johann Georg schrieb während dieser Monate regelmäßig Briefe an seinen Vater und berichtete auch aus Kopenhagen ausführlich von seinen Reiseeindrücken.14 1638 heiratete der junge Johann Georg Magdalena Sibylla (1612–1687), Tochter des Markgrafen Christian von Brandenburg-Bayreuth (1581–1655). Die Eheschließung des Kurprinzen, ebenfalls in Kriegszeiten, fand mit der von ihm selbst gewählten Braut in Dresden statt. Zugleich wurde im dortigen Schloss, in dem der Kurprinz, im Gegensatz zu seinen Brüdern, auch als Erwachsener wohnen blieb, eine eigene Hofhaltung für das Paar eingerichtet. Dabei verfügte der junge Fürst bereits über einen eigenen Etat, aus dem der Prinz unter anderem eine eigene Hofkapelle nach Vorschlag von Heinrich Schütz unterhielt.15 Die Überlieferung Aus dem Zeitraum zwischen 1635 und 1644, der im Folgenden betrachtet werden soll, sind 157 Briefe (Vater: 64, Sohn: 93) über drei Aktenbände verteilt in der sogenannten Handschreiben-Korrespondenz des Kurprinzen überliefert,16 die in jüngerer Zeit praktisch unbeachtet geblieben ist.17 Die Briefe des Vaters liegen meist zugleich als Konzept einer Kanzleihand sowie als originale Handschreiben vor, die als Reinschrift den Postweg durchlaufen haben. Diese von einer Kanzleihand erstellten Schreiben hat der Kurfürst vor dem Versand in der Regel selbst mit der Schlussformel und seinem Namenszug, öfter auch mit kurzen zusätzlichen Bemerkungen versehen. Die Briefe des Sohnes aus diesem Zeitraum, die aus dem Postlauf stammen, hat dieser dagegen immer eigenhändig verfasst. Als ›Privatbriefe‹ sind jedoch auch diese nicht zu betrachten, da sich in Fürstenbriefen – und so auch hier – fast immer persönlich-familiäre mit politischen Gegenständen verbanden. Die Handschreiben-Korrespondenz der kursächsischen Fürstenfamilie ist vielmehr entsprechend der Ergebnisse der neueren Forschung zur Eigenhändigkeit von Fürstenbriefen der Vormoderne zu interpretieren. Danach war bereits mit dem zeitgenössischen Begriff ›Handschreiben‹ – eigenhändig verfasst oder nicht – »ein persönliches Schreiben mit Einbezug eines Sekretärs und eventuell einer Beratungsinstanz« gemeint. Die Eigenhändigkeit beschränkte sich dabei in der Regel auf die Unterschrift.18 Wenn der Kurfürst darüber hinaus eigenhändig weitere Mitteilungen anbrachte, muss dies als Herstellung von Nähe im Vater-Sohn-Verhältnis verstanden werden. Ebenfalls ist es ein Ausdruck von Nähe, aber auch die Markierung einer sozialen Hierarchie, wenn der Sohn seine Briefe an den Vater durchgängig selbst schrieb, obwohl er zweifellos einen Kanzlisten bzw. Schreiber zur Verfügung hatte. Ob Voll- oder Teilautograph, Handschreiben stellten immer eine gewisse soziale Nähe zwischen den Korrespondenzpartnern her, denn sie »waren eine Art Alter Ego des Fürsten«.19 Angesichts gestiegener Erwartungen an die Praxis von Eigenhändigkeit in der Korrespondenz zwischen Angehörigen einer Fürstendynastie sind Handschreiben mit nur geringen autographen Anteilen im dynastischen Familienkreis seit dem Spätmittelalter allerdings nur »als eine Notlösung vorwiegend für regierende Fürsten und Fürstinnen« zu betrachten. Zum Kriegsverlauf 1635 bis 1644 Die im Folgenden untersuchten Briefe der Korrespondenz zwischen Vater und Sohn aus dem Jahrzehnt zwischen 1635 und 1644 stammen aus der Phase nach dem Abschluss des Prager Friedens, in der Sachsen vermehrt zum Kriegsschauplatz zwischen sächsisch-kaiserlichen und schwedischen Truppen wurde.20 Im Prager Frieden vom Mai 1635 war Kursachsen aufgrund der Abwendung von Schweden und der Rückkehr zur Kooperation mit dem Kaiser unter anderem das Erzstift Magdeburg zugesprochen worden.21 Zur Inbesitznahme und zur weiteren Zurückdrängung der Schweden erfolgte von Sommer 1635 bis Herbst 1636 ein längerer Feldzug des sächsischen Heers in das Erzstift sowie in die angrenzende Mark Brandenburg. Kurfürst Johann Georg I. nahm an dem gesamten Feldzug persönlich teil.22 Im Rahmen dessen konnte im Juli 1636 das schwedisch besetzte Magdeburg erobert werden. Der Kurfürst nahm noch während seiner Anwesenheit in der Stadt deren Huldigung entgegen. Sein zweitgeborener Sohn August (1614–
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