Leseprobe

133 Ein Blick auf die Forschung zum Westfälischen Friedenskongress zeigt schnell, dass die Rolle Kursachsens ein Desiderat bildet.1 Dies überrascht und ist gleichzeitig doch naheliegend. Kursachsen war zwar ein führender Reichsstand, der bei zentralen Ereignissen im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges wiederholt eine wichtige Rolle spielte – hier seien vor allem das Eingreifen auf kaiserlicher Seite bei der Niederschlagung des böhmischen Aufstands sowie später der reichsinterne Frieden von Prag (1635) zwischen Kaiser und Kursachsen genannt. Entsprechend finden beide Aspekte deutlich mehr Beachtung in der Forschung.2 Dennoch waren Kursachsens Einfluss und seine Rolle für das Zustandekommen der Friedensschlüsse in Westfalen sehr begrenzt.3 Es kann also nicht verwundern, dass es von der Forschung zum Westfälischen Friedenskongress wenig Aufmerksamkeit erhalten hat.4 Nichtsdestotrotz war Kursachsen ein wichtiger Reichsstand, von dem nicht nur evangelische Reichsstände eine Führungsrolle in den Friedensverhandlungen erwarteten; anders als beim Prager Frieden war der sächsische Kurfürst jedoch nicht gewillt, diese einzunehmen. Dieses Spannungsverhältnis spiegelt sich in der Gesamtbewertung der kursächsischen Politik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Allgemeinen und der Person Johann Georgs I. im Besonderen: Gerade die ältere Forschung hat den Kurfürsten als sehr passiv und mehr an der Jagd und dem Alkohol als an der Politik interessiert dargestellt. Hinzu kam der Vorwurf, die protestantische Sache verraten zu haben.5 Tatsächlich scheint er zunächst stark von seinem Geheimen Rat dominiert worden zu sein.6 Frank Müller argumentiert gegen eine zu negative Bewertung Johann Georgs, dass dessen Politik an den von Dresden selbst gesteckten Zielen zu messen sei und nicht an späteren Vorstellungen, was eine angemessene Politik gewesen wäre, wie dies gerade ältere Arbeiten getan hätten.7 Auch wenn sich die jüngere Forschung von einer solchen Aburteilung Johann Georgs I. inzwischen distanziert hat, sind die Ansichten über seine Politik im Dreißigjährigen Krieg durchaus gespalten: Axel Gotthard verweist angesichts der betont kaisertreuen kursächsischen Haltung auf die »überaus großen, geradezu chronischen und immer wieder aufs neue enttäuschten [protestantischen] Erwartungen an die kursächsische Reichspolitik«8. Johannes Burkhardt hingegen streicht die verschiedenen Bemühungen um Frieden und Vermittlung von kursächsischer Seite hervor. Es sei Kursachsen immer wesentlich um einen Ausgleich zwischen den Konfessionen und die Einheit des Reiches gegangen. Der Prager Frieden 1635 habe Johann Georg I. dann »zum Signalgeber für den Frieden zwischen Kaiser und Reichsständen [...], der die deutsche Einheit wiederherstellte«9 gemacht. In diesem Sinne beschreibt Ralf-Peter Fuchs ihn auch seinem Selbstverständnis nach als »Brückenbauer«10 zwischen den Konfessionen. Gotthard sieht dagegen diese kursächsischen Ausgleichsbemühungen deutlich kritischer, letztlich hätten sie die konfessionelle Konfrontation im Reich sogar befördert, da die vermeintliche kursächsische Neutralität einer pro-kaiserlichen Haltung gleichgekommen sei und im Gegenzug die übrigen evangelischen Reichsstände noch weiter radikalisiert habe.11 Grundlage dieser Bewertungen ist in erster Linie die kursächsische Politik während des Dreißigjährigen Krieges, die abschließenden Friedensverhandlungen spielen nur bedingt eine gesonderte Rolle. Genau hier soll im Folgenden der Fokus liegen, denn obwohl Kursachsen keine dominierende Rolle in Westfalen einnahm, handelte es sich doch um einen zentralen evangelischen Reichsstand, dem – wie zu zeigen sein wird – eine potenzielle Machtposition von den anderen Akteuren zugeschrieben wurde. Wie Johann Georg I. und seine Berater ihre politische Zurückhaltung begründeten und wie sich dies auf die Handlungsmacht seiner Gesandten in Osnabrück auswirkte, soll im Folgenden untersucht werden. Dafür werden zunächst die Grundprinzipien der Politik Kursachsens und deren Niederschlag in der Hauptinstruktion für dessen Vertreter in Westfalen beleuchtet. Anschließend werden die Entscheidungsprozesse am Dresdner Hof mit Blick auf die Friedensverhandlungen betrachtet, bevor schließlich ein Blick auf die kursächsischen Gesandten selbst und ihren Umgang mit den kurfürstlichen Weisungen geworfen wird. Grundprinzipien kursächsischer Politik im Spiegel der Hauptinstruktion für die Friedensverhandlungen in Westfalen Gotthard beschreibt die Grundhaltung, die die kursächsische Politik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts prägte, treffend: Die »Formel ›Kaiser und Reich‹ [bezeichnete] in Dresden keinesfalls die Pole in einem dualistisch angelegten System, [...] sondern [stand] für ›organische‹ Einheit (das beliebte Bild vom ›Haupt und seinen Gliedern‹ kommt in den Dresdner Akten besonders häufig vor). Daß die Kurfürsten des Kaisers ›innerste, geheimste Räte‹ seien, war in Sachsen nicht abgestandene politische Leerformel, sondern Handlungsmaxime, Reichs- und Kaisertreue waren deckungsgleich.«12 In der Hauptinstruktion an seine Gesandten für die Westfälischen Friedensverhandlungen ist tatsächlich nicht nur wiederholt vom Kaiser als dem höchste[n] haubt der Christenheit 13 die Rede, sondern es wurde die Harmoni vnd heilsamer Verfaßung zwischen dem Römischen Keyser vnd denen ReichsStänden14 beschworen, die letztlich dauerhaft nur von den auswärtigen Mächten gestört würde. Diese Grundhaltung hatte ihre Wurzeln im 16. Jahrhundert in der Reformationszeit und hatte sich die meiste Zeit für Kursachsen als vorteilhaft erwiesen. Insbesondere die Übertragung der Kurwürde von der ernestinischen auf die albertini-

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