Leseprobe

136 Der Kurfürst in seinem Umfeld vnd denen Reichs Ständen, auß bisherigen, sonderlich aber folgenden actionen, nicht vndeutlichen zuverspüren.34 Ziel Frankreichs und Schwedens sei die Zerstörung des Reiches; die evangelischen Reichsstände würden sich hierzu instrumentalisieren lassen. Hier wird die ausgeprägte Reichs- und Friedensrhetorik sehr deutlich, die die kursächsische Instruktion, aber auch die späteren Resolutionen bestimmte. Immer wieder war vom Vaterland die Rede, das unter nichts so sehr, so hart, so iämmerlich, alß die frembden vnnd einhaimischen Kriegeswaffen35 leide. Das Kriegsleid im Reich war ein zentrales rhetorisches Argument, das die kursächsische Position, die für Ausgleich und eine schnelle Einigung unter den Reichsständen warb, untermauerte. Alle anderen, die eine solche rasche Einigung mit ihren Extremforderungen verhinderten und in der Folge ein starkes Auftreten gegenüber Frankreich und Schweden erschwerten, waren verantwortlich für das Leid, die Gewalt und die Opfer der Bevölkerung im Reich. Dies konnte dramatische Formen annehmen, wenn das Bild des Reiches in einem ewigen Krieg heraufbeschworen wird, falls man seitens der katholischen Reichsstände eine Einigung mit Hilfe der Schweden erpressen sollte, da auf diese Weise keine dauerhafte Versöhnung und Einigkeit hergestellt werden könne: Derogestalt geriethe vnßer armes Vaterland in einen ewigen, vnauffhörlichen krieg, da man doch nichts anders im munde führet, dann daß nechst Gott selbiges auß der verzehrenden Kriegsflamme zuretten, vnd dermahleins in gewünscheten Ruhestand zubefördern, diese handlung angesehen sey.36 Solche Argumentationsfiguren schließen an eine, insbesondere unter den evangelischen Reichsständen verbreitete Vaterlands- und Reichsrhetorik an, die gerade dann zutage trat, wenn die politische Ordnung des Reiches bedroht war, wobei sie meist »eine polemische und eine motivierende Funktion«37 erfüllte, also integrierend und gleichzeitig exkludierend wirkte. Zudem schließt sie an die kursächsischen Legitimationsstrategien in Folge des Prager Friedens an, der auch in Kursachsen selbst zum Teil heftig kritisiert worden war, weil er, so eines der Argumente, die protestantische Sache verrate. In den folgenden publizistischen Auseinandersetzungen legitimierte man von kurfürstlicher Seite den Friedensschluss mit dem besonderen Leid und der großen Not des Vaterlandes, die außergewöhnliche Maßnahmen erforderlich machten, und verwendete damit sehr ähnliche rhetorische Figuren wie knapp zehn Jahre später in der Hauptinstruktion für die Westfälischen Friedensverhandlungen.38 Gerade weil Kursachsen militärisch, finanziell und machtpolitisch geschwächt war, war der Rückgriff auf einen derartigen moralischen Diskurs ein Versuch, zumindest rhetorisch Gewicht entfalten zu können.39 Die kursächsische Position übersah mit dieser auf die Unabhängigkeit des Reiches fokussierenden Politik allerdings, dass die Internationalisierung des Konflikts eine reichsinterne Regelung unmöglich gemacht hatte. Auch trat der Kaiser längst nicht mehr ›nur‹ als Reichsoberhaupt auf, sondern war (katholische) Partei.40 Das kursächsische Insistieren auf einer kaisertreuen Politik, die sich von protestantischen Extremforderungen distanzierte, ignorierte diese Zuspitzung und setzte Kursachsen dem Vorwurf aus, »katholische Interessenspolitik«41 zu betreiben. Insgesamt hatte sich das Machtgefüge im internationalen System wie auch im Reich im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges so grundlegend verändert, dass die politischen Leitlinien – ein auf Kaisertreue basierender Reichspatriotismus – nicht länger tragbar waren und letztlich zur politischen Isolation Kursachsens auf dem Westfälischen Friedenskongress führten. Akteure und Entscheidungsprozesse der kursächsischen Kongresspolitik Nach langem Zögern und zusätzlichen Verzögerungen aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten trafen die kursächsischen Gesandten Hans Ernst von Pistorius auf Seußlitz und Dr. Johann Leuber im April 1646 schließlich in Osnabrück ein.42 Mit einem adligen Vertreter als Primargesandten und einem bürgerlichen promovierten Juristen als Sekundargesandten hatte man sich für eine klassische, gerade unter den größeren reichsständischen Delegationen gebräuchliche Besetzungspraktik entschieden.43 Beide standen seit Längerem in kursächsischen Diensten: Pistorius war seit 1635 in der kurfürstlichen Verwaltung tätig, seit 1645 war er Hof-, Justitien- und Appellationsrat. Leuber, der einige Jahre älter war, hatte bereits verschiedene diplomatische Missionen im Auftrag des Kurfürsten erfüllt, unter anderem war er auf den Kurfürstentag in Nürnberg 1640, den Reichstag in Regensburg 1640 sowie den Reichsdeputationstag in Frankfurt 1643 entsandt worden.44 Schon im Juli 1647 berief Johann Georg I. Pistorius nach Dresden und ließ Leuber mit einer stark verkleinerten Gesandtschaft auf dem Kongress zurück. Grund hierfür war die prekäre finanzielle Situation des Kurfürstentums. Dass mit Pistorius der ranghöhere Gesandte abgezogen wurde, könnte sinnbildlich für die ablehnende Haltung Johann Georgs I. gegenüber dem Kongress stehen, da er keine eigene, vom Kaiser unabhängige Politik anstrebte und entsprechend keinen Wert auf eine standesgemäße Repräsentation legte.45 Tatsächlich dürften dahinter vor allem sachdienliche Gründe gestanden haben: Als promovierter Jurist war Leuber qualifizierter für die Verhandlungen. Auch in der gemeinsamen Zeit ist er derjenige, der prägnanter in den Quellen hervortritt als sein Kollege.46 Dass ein Sekundargesandter sich in den Verhandlungen als der dominante Part erwies und bei einer Verkleinerung der Gesandtschaft allein zurückblieb, war keineswegs ungewöhn-

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