239 Obwohl Johann Georg I. mit seiner Regierungszeit von 1611 bis 1656 zu den am längsten amtierenden Herrschern in der Geschichte des Kurfürstentums Sachsen gehört, blieben sein Wirken als Bauherr und seine sichtbaren Vermächtnisse in architektonischer Gestalt von kunst- und kulturgeschichtlicher Seite bislang weitgehend unbeachtet. Bauten wie Schloss Merseburg, der Riesensaal des Residenzschlosses Dresden und das Berg- und Lusthaus Hoflößnitz fanden in den letzten Jahren in Zusammenhang mit denkmalpflegerischen Maßnahmen zwar eine verstärkte Aufmerksamkeit.1 Wenig berücksichtigt wurden dabei jedoch historische Kontexte und der jeweilige Bezug zum Bauherrn in einem übergreifenden Zusammenhang. Mit Blick auf das die Regierungszeit des Kurfürsten dominierende Kriegsgeschehen wurde vorschnell der Schluss gezogen, dass aufgrund der politischen und – davon abhängig – wirtschaftlichen Situation Johann Georg I. für die Bau- und Architekturgeschichte keine oder höchstens marginale Bedeutung habe. »Die Leistungen Johann Georgs I. [...] beschränkten sich auf die Jagd«, meinte Fritz Löffler2 und Joachim Menzhausen zählte kulturell nur die Berufung von Heinrich Schütz zu des Kurfürsten »wesentlichen Taten«.3 Dass dieses einseitige Bild der weiteren Überprüfung nicht stand hält, zeigen die in den letzten Jahren erfolgten Forschungen zur Dresdner Kunstkammer in der Zeit Johann Georgs I. insbesondere von Dirk Syndram und Jutta Kappel.4 Im Folgenden soll nun für den Kurfürsten und die Architektur seiner Zeit in Sachsen eine erste Revision erfolgen. Ziel ist es, auf Forschungsdefizite aufmerksam zu machen und eine Übersicht zu vermitteln. Es muss aber weiteren und insbesondere archivalischen Forschungen vorbehalten bleiben, das Thema vertiefend zu behandeln.5 Biografisches Umfeld und erste Prägung In seiner Kindheit und Jugend, die Johann Georg hauptsächlich in Dresden verbracht hat, erlebte er noch einen Abglanz jener prachtvollen Hofkultur der Renaissance, die unter seinem Großvater August erblüht war und unter seinem Vater Christian I. einen kurzen rauschhaften Höhepunkt erfahren hatte. August starb knapp ein Jahr nach der Geburt Johann Georgs 1586, Christian I. fünf Jahre später, so dass der Sohn auch diesen kaum erlebt hatte. Da Johann Georgs Bruder Christian II. damals gleichfalls noch minderjährig war, übernahm gemäß väterlichem Testament Friedrich Wilhelm I. von Sachsen- Weimar als Administrator des Sächsischen Kurstaates die Regentschaft und zugleich die Vormundschaft über die kurfürstlichen Prinzen. Während jener hauptsächlich in Schloss Hartenfels in Torgau residierte, wo er verschwenderisch Hof hielt,6 blieben die Prinzen wohl mehrheitlich in Dresden. Die von Christian I. unvollendet hinterlassenen Bauprojekte wurden unter dem Administrator eingestellt – so der prunkvolle Bau des Lusthauses auf der Jungfernbastei – oder erst nach Auseinandersetzungen verzögert fortgesetzt – so die kurfürstliche Grablege im Hohen Chor des Freiberger Domes. Auf den Fortgang beider Projekte wird weiter unten näher eingegangen. Das Wohnumfeld der kurfürstlichen Familie befand sich baulich in einem guten Zustand und bot ausreichend Raum für alle Bedürfnisse. Die Jugendzeit Johann Georgs spielte sich demnach nicht auf Baustellen ab und stand nicht im Zeichen größerer Bauvorhaben. Vielmehr wuchs er mit der ererbten Pracht der erst zwei Generationen zuvor entstandenen Anlage des Dresdner Residenzschlosses und dessen unmittelbarem, städtebaulich unter Christian I. nach florentinischem Vorbild gestalteten Umfeld auf. Während mit dem Namen Kurfürst Augusts die Vollendung des Dresdner Residenzschlosses und der Bau etwa des Zeughauses (Albertinum), zahlreicher Nebenresidenzen und Jagdschlösser – allen voran Schloss Augustusburg – verbunden war,7 fand das bauliche Wirken Christians I. in Projekten wie dem Neuen Stall mit Langem Gang und Stallhof (1586–1591), dem schon erwähnten Lusthaus auf der Jungfernbastei und der kurfürstlichen Begräbniskapelle am Freiberger Dom (beide begonnen 1589) sowie fortifikatorischen Bauten in Dresden und auf den Festungen Sonnenstein und Königstein seinen Ausdruck.8 Die aktuellen internationalen Formen fürstlicher Repräsentation und Festkultur wurden in Sachsen in einem angemessenen architektonischen Rahmen rezipiert. Giovanni Maria Nosseni für den engeren Hof, Hans Irmisch für die staatlichen Verwaltungsbauten und Paul Buchner für die militärischen Projekte gaben dabei architektonisch und künstlerisch den Ton an.9 Johann Georg wuchs somit in einem entsprechend differenzierten Umfeld auf, das ihn in seinen Vorstellungen und Absichten geprägt haben dürfte. Als Christian II. 1601 volljährig wurde und die Regierung übernahm, ging er zunächst daran, die durch die Jahre der Vormundschaft unterbrochenen oder ins Schleppen geratenen Projekte seines Vaters Christian I. zu vollenden. Es war ihm aber nicht vergönnt, starke eigene Akzente in der Baukultur Sachsens zu hinterlassen – dafür war letztlich seine nur zehn Jahre andauernde selbstständige Regierungszeit zu kurz. Sein Bruder Johann Georg hatte hingegen bereits in jenen Jahren als jugendlicher Herzog in Merseburg die Möglichkeit, seine Vorstellungen auch baulich umzusetzen – nicht zuletzt unter dem Eindruck seiner knapp zweijährigen Kavalierstour nach Süddeutschland und Italien, zu welcher er unmittelbar nach Regierungsantritt Christians II. aufgebrochen war.10
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