Leseprobe

240 Höfische Repräsentation zur Zeit Kurfürst Johann Georgs I. Schloss Merseburg und sein Baumeister Melchior Brenner Schon mit knapp sechs Jahren wurde Herzog Johann Georg nach dem Tod seines Vaters 1591 die weltliche Administration des durch die Reformation an die albertinischen Wettiner gelangten Hochstifts Merseburg übertragen, womit er über eigene Einkünfte verfügte, die jedoch zunächst vormundschaftlich verwaltet wurden. Nachdem Christian II. 1601 tatsächlich die Regierung antreten konnte, gewährte dieser dem jüngeren Bruder Johann Georg im folgenden Jahr eine Apanage, die ihm nach seiner Volljährigkeit 1603 erhöht wurde. Damit sah sich jener in der Lage, in Merseburg als Bauherr in Erscheinung zu treten, nachdem er nun auch offiziell sein Amt ausüben durfte. Da er zweifellos mit einer Lebensaufgabe in Merseburg rechnete, ließ er das frühere Bischofsschloss, das seit Weggang des letzten Bischofs 1558 nicht mehr zu repräsentativen Wohnzwecken genutzt worden war, zu einer zeit- und standesgemäßen fürstlichen Residenz ausbauen.11 Planung und Ausführung vertraute er dem bereits seit den 1580er Jahren in kurfürstlichen Diensten stehenden Steinmetzen und Baumeister Melchior Brenner an, der wohl aus Freiberg stammte.12 Brenner war als Mitarbeiter Hans Irmischs ab 1586 an der Erneuerung des Jagdschlosses Moritzburg beteiligt gewesen und hatte 1595 zwei eingestürzte Gewölbefelder im Dom zu Meißen neu eingewölbt. Im Auftrag Johann Georgs erstellte er einen Entwurf samt Modell und Kostenvoranschlag für das Merseburger Schloss. Der Herzog selbst präsentierte dann am 30. März 1604 zum Stiftstag den Kapitelsherren das Projekt mit den Worten: [Da] das Schloß alhier, nicht allein unformlich, undt ungemechlich, sondern auch dermaßen baufelligk befunden, [sei es unumgänglich,] solch hauß forderlichst in dach undt fach zu vorbessern, auch zur wonungk förmlich und bequem, dieses stiffts zue nuczs, und ehren, zu vorneuern.13 In der 1611 verfassten Beschreibung des Chronisten Caspar Voccius wurde zudem hervorgehoben, dass das alte Bischofsschloss zur Wohnung eines Fürsten mit Gemahlin und Hofstaat viel zu eng und generell ungeeignet und deshalb der Bau eines neuen, geschmackvollen, prächtigen und geräumigen Schlosses nötig gewesen sei.14 Die Stiftsstände genehmigten das Vorhaben, dessen Gesamtkosten auf 20 523 Gulden, 15 Groschen und 6 Pfennige veranschlagt war, so dass am 10. April 1605 die Grundsteinlegung erfolgen konnte. Bis 1608 entstand dann die mächtige Dreiflügelanlage auf der Nordseite des mittelalterlichen Domes. Dabei bezog Brenner nicht nur wesentliche Teile der spätgotischen Vorgängerbauten ein, also den Westflügel, die östlichen und unteren Bereiche des Nordflügels sowie den nördlichen Teil des Ostflügels, sondern berücksichtigte auch die vorhandene spätgotische Formensprache, indem er etwa das charakteristische Motiv der Vorhangbogenfenster aufgriff und somit die neuen Bauteile gleichsam historistisch mit den älteren verband. Auch bestehende Wappentafeln und plastische Schmuckelemente wurden belassen, wodurch die historische Tradition des Schlosskomplexes hervorgehoben wurde. Die neue Residenz bildete »zeichenhaft [...] die gewünschte Einheit zwischen dem evangelischen Domkapitel und seinem Administrator ab.«15 1 Schloss Merseburg, 1605–1608, Innenhof nach Nordosten, Foto: Reinhard Hentze

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