Leseprobe

269 Am Tag seines Todes konnte Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen auf ein langes, von vielen Höhen und Tiefen bestimmtes Leben zurückblicken. Nahezu die Hälfte davon wurde durch die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges geprägt. Während sich Sachsen in den späteren Jahren dieser Katastrophe zu einem der Hauptkriegsschauplätze entwickelte und infolgedessen massive Leiden, Zerstörungen und den Verlust vieler Menschenleben zu ertragen hatte, begann der Dreißigjährige Krieg für Johann Georg I. mit einigen Ereignissen, an die er sich offenbar bis ins hohe Alter gern zurückerinnerte. Von herausragender Bedeutung war für ihn zeitlebens die erfolgreiche Belagerung Bautzens, die im Folgenden zunächst in einem historischen Abriss und anschließend in einer Analyse relevanter Bildwerke genauer betrachtet wird. Als am 23. Juni 1611 sein älterer Bruder, Kurfürst Christian II. von Sachsen, kinderlos starb, übernahm Johann Georg I. unverhofft die Macht als Kurfürst von Sachsen und wurde gleichzeitig zum Erzmarschall des Heiligen Römischen Reiches. Bereits in den Jahren zuvor hatten sich die konfessionellen Gegensätze im Reich verschärft, was am 14. Mai 1608 zur Gründung der Protestantischen Union führte. Als Reaktion darauf trafen sich im Juli 1609 die Vertreter katholischer Fürsten und Städte in München, wo unter Führung Maximilians I. von Bayern die Katholische Liga ins Leben gerufen wurde. In dieser sich zuspitzenden Situation war Johann Georg I., der das Habsburger Kaiserhaus prinzipiell unterstützte, bestrebt, die Neutralität seines Landes zu wahren. Union und Liga bemühten sich gleichermaßen um die Zuneigung des Kurfürsten von Sachsen, was sich durch häufige Besuche ranghoher Persönlichkeiten beider Lager und durch vielfältige Geschenke an Johann Georg I. belegen lässt.1 Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz warb ab 1614 für die Unterstützung seiner Politik und schickte in den folgenden Jahren drei bedeutende Geschenke an den Kurfürsten von Sachsen, wobei er im November 1617 zusammen mit dem Kurfürsten von Brandenburg sogar persönlich an den Dresdner Hof kam. Seine Versuche, Kursachsen in die Protestantische Union einzubinden, scheiterten dennoch. Nicht zuletzt die sich häufende Anwesenheit von Vertretern sowohl des protestantischen als auch des katholischen Lagers in Dresden zeigt, in welchem Maß sich das Konfliktpotenzial verstärkt hatte. Nur drei Monate vor dem Besuch der Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz und Johann Sigismund von Brandenburg hielten sich vom 25. Juli bis zum 13. August 1617 Kaiser Matthias, dessen Bruder Maximilian sowie der erst im Juni gewählte und frisch gekrönte Böhmische König Ferdinand (der spätere Kaiser Ferdinand II.) in der kursächsischen Residenz auf. Unverzüglich nach seiner Königswahl brach Ferdinand mit den Zusicherungen, die Kaiser Matthias den böhmischen Ständen gegeben hatte. Die konsequente Umsetzung der Rekatholisierungsmaßnahmen, mit denen Ferdinand die böhmischen Stände nicht nur ihrer Religionsfreiheit zu berauben versuchte, sondern auch danach trachtete, sie in ihren grundlegenden Rechten einzuschränken, brachte die ohnehin aufgeheizte Stimmung in Böhmen zum Überkochen. Mit dem Prager Fenstersturz am 23. Mai 1618 und dem sich daraus entwickelnden Böhmischen Ständeaufstand eskalierte die Situation. Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen blieb aber seiner Neutralitätspolitik zunächst treu und setzte sich für einen friedlichen Ausgleich zwischen dem Kaiser und den Aufständischen ein. Er tat alles in seiner Macht Stehende, um zwischen der neu geschaffenen böhmischen Direktorialregierung und dem Kaiserhaus zu vermitteln. Doch die Entsendung von Unterhändlern nach Prag und Wien war letztendlich vergebens. Unterdessen bereitete man sich in Böhmen auf den drohenden Konflikt vor und schloss im Herbst 1618 bzw. im Frühjahr 1619 Bündnisse mit Schlesien, Mähren sowie der Ober- und der Niederlausitz. Im Spätsommer 1619 überschlugen sich die Ereignisse. Nachdem die böhmische Direktorialregierung den Grafen von Schlick2 nach Dresden geschickt hatte, um Johann Georg I. die Wenzelskrone anzubieten – die dieser aufgrund des damit verbundenen Gefahrenpotenzials jedoch ablehnte – wurde Ferdinand II. am 23. August formell als König von Böhmen abgesetzt. Drei Tage später wählte man Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz zum böhmischen König, was nicht nur die militärische Auseinandersetzung zwischen Protestantischer Union und Katholischer Liga unausweichlich machte, sondern auch zum Bruch innerhalb des protestantischen Lagers führte. Ungeachtet der Ereignisse in Böhmen wurde Ferdinand II. am 28. August 1619 in Frankfurt am Main mit der Stimme Kursachsens zum Kaiser gewählt und am 9. September gekrönt. Noch auf der Reise von Frankfurt nach Wien machte dieser Halt in München, um ein Bündnis mit Herzog Maximilian I. von Bayern und der Katholischen Liga zu schließen. Tatsächlich gelang es Ferdinand II. am 8. Oktober 1619 mit dem Vertrag von München, Maximilian I. unter großen Zugeständnissen an sich zu binden. Etwa zu dieser Zeit trafen sich auch Vertreter der Protestantischen Union in Rothenburg ob der Tauber, wo man Friedrich V. riet, die Wahl zum König von Böhmen abzulehnen, um den bevorstehenden Krieg zu verhindern. Trotz seiner offensichtlichen Isolierung auch innerhalb des protestantischen Lagers ignorierte Friedrich V. alle Warnungen, zog in Prag ein und ließ sich und seine Frau Elizabeth Stuart, Tochter des englisch-schottischen Königs James VI./I., am 4. bzw. 7. November 1619 als König Friedrich I. von Böhmen krönen. Spätestens durch die vollzogene Krönung Friedrichs hatte sich die Lage so bedrohlich zugespitzt, dass sämtliche Bemühungen für eine friedliche Lösung durch unmittelbare Kriegsvorbereitungen verdrängt wurden.

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