11 Der Dreißigjährige Krieg war ein europäisches Ereignis, er hatte sogar – wie man jüngeren globalgeschichtlichen Arbeiten entnehmen kann – weltweite Konsequenzen.1 Und nicht zuletzt war er ein Ereignis, das das Heilige Römische Reich und seine Territorien in politischer, verfassungsrechtlicher, konfessioneller, ökonomischer und sozialer Hinsicht und seine Bewohner vor Ort in ihrem alltäglichen Leben betraf, forderte und veränderte. Diese Ebenen – Europa, Reich, Territorien, Stadt und Land – sind eng miteinander verknüpft, die eine lässt sich nicht ohne die andere denken und verstehen. Zugleich ist der Ereigniszusammenhang ›Dreißigjähriger Krieg‹ so vielschichtig und komplex, dass eine Integration der verschiedenen Ebenen in historiographischer Hinsicht schwerfällt. Dies zeigen die Überblickswerke zum Thema, die in jüngerer Zeit im Umfeld des 400-jährigen ›Jubiläums‹ des Kriegsausbruchs 2018 erschienen sind und deren Autoren sich – sicherlich jeweils aus guten Gründen – für bestimmte Schwerpunkte und Perspektiven entschieden haben:2 Peter Wilson und Georg Schmidt fokussieren auf das Reich, die Reichsverfassung und – vor allem letzterer – auf die ›teutsche‹ Libertät,3 Herfried Münkler sucht nach Lehren aus dem Trauma des Dreißigjährigen Krieges für die Konflikte der Gegenwart,4 Hans Medick erarbeitet die Geschichte des Krieges ganz aus der Perspektive der Gewalterfahrungen der Bevölkerung5 und Johannes Burkhardt sucht im Krieg nicht nach dem Krieg, sondern nach dem Frieden.6 Ein wieder anderes Konzept verfolgen dagegen Olaf Asbach und Peter Schröder, die mit ihrem ›Ashgate Research Companion to the Thirty Years’ War‹ die vielfältigen Perspektiven ohne narrative Klammer in Einzelbeiträgen zusammenbinden, wobei insbesondere auch die verschiedenen Länder Europas zu ihrem Recht kommen.7 Eine umfassende europäische Geschichte des Dreißigjährigen Krieges aus einer Hand fehlt jedoch, soweit ich sehe. Sie findet sich am ehesten in dem in jüngerer Zeit in zweiter Auflage erschienenen Studienbuch von Christoph Kampmann.8 Unser Sammelband, der die Ergebnisse der Tagung ›Kurfürst Johann Georg I. und der Dreißigjährige Krieg in Sachsen‹ am 12. und 13. November 2020 in Dresden sowie des nachfolgenden Workshops zur Ausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ›Bellum et Artes‹9 am 3. und 4. September 2021 präsentiert, geht einen völlig anderen Weg.10 Im Gegensatz zu den genannten ›Meistererzählungen‹ wird die Zeit des Dreißigjährigen Krieges in regionaler Perspektive mit Blick auf ein einzelnes Territorium, nämlich Kursachsen behandelt. Ziel ist es, mit dieser Beschränkung auf einen Reichsstand den Krieg in seiner ganzen Komplexität analysieren zu können – insbesondere mit Blick auf die kursächsischen Akteure, die europäischen Dimensionen der sächsischen Politik, die höfische Repräsentation in Zeiten des Krieges und schließlich den Kriegsalltag und die Folgen. Landesgeschichte und Dreißigjähriger Krieg Forschungen zum Dreißigjährigen Krieg haben, so hat es Michael Kaiser vor einiger Zeit formuliert, »von jeher eine starke landesgeschichtliche Verwurzelung gehabt – kein Wunder, haben doch regionale Überlieferungen ihre spezifische Sicht auf die Ereignisse dieser Zeit geboten und damit oft auch eine eigene historische Tradition begründet.«11 So richtig diese Einschätzung mit Blick auf die Quellenlage ist, muss doch hinsichtlich der Forschungserträge stark differenziert werden. Zwar gibt es im gesamten deutschsprachigen Raum Darstellungen zum Dreißigjährigen Krieg auf landes-, stadt- oder ortsgeschichtlicher Ebene. Aber nicht immer konturieren diese Arbeiten die Rolle des betreffenden Territoriums, seines Fürsten und der Führungselite im großen Kriegstheater genauer und sind anschlussfähig an den Diskussionsstand der allgemeinen historischen Forschung. Vielmehr verfolgen sie nicht selten Detailfragen oder setzen sich mit einzelnen – sicherlich lohnenden – Quellenfunden auseinander. Je tiefer man in die diesbezügliche ›Vor-Ort-Literatur‹ einsteigt, desto konkreter respektive positivistischer wird es in der Regel. Von einer regionalspezifischen Forschungstradition zum Dreißigjährigen Krieg auf der Höhe des historiographischen Diskurses lässt sich sicherlich für die Kurpfalz,12 Bayern13 sowie das habsburgische Österreich14 – als wichtigste Kriegsparteien im Reich – und natürlich für Böhmen15 sprechen. Ob diese Arbeiten aus einem landes- oder einem allgemeinhistorischen Arbeitskontext resultieren, spielt dabei letztlich keine Rolle. Substanzielle Studien liegen darüber hinaus für den Südwesten des Reiches,16 Brandenburg17 und Hessen18 vor. Auch für die ein oder andere Reichsstadt wurden grundlegende Analysen vorgelegt.19 In jüngerer Zeit stärker in den Fokus gerückt sind zudem der Westen des Reiches,20 Norddeutschland21 und nicht zuletzt der mitteldeutsche Raum mit den Anhalter Territorien und den wettinischen Herzogtümern.22 Hinzuweisen ist zudem auf jüngere Bestrebungen, auch die Friedensbemühungen und -kongresse der Zeit in dezidiert landesgeschichtlicher Perspektive zu diskutieren und damit auch die kleineren fürstlichen Akteure in den Blick zu bekommen.23 Sachsen im Dreißigjährigen Krieg Für das Kurfürstentum Sachsen ist mit Blick auf den Forschungsstand eine gemischte Bilanz zu ziehen: Sachsen und sein Kurfürst sind sicherlich keine Unbekannten im großen Kriegsgeschehen, ihre Rolle in einzelnen Phasen zu wichtig, der Kriegsschauplatz – man denke an Breitenfeld (17. September 1631)24 und Lützen (16. November 1632)25 – zu prominent, als dass der Kurstaat in der Spezialforschung, aber auch in den großen Synthesen zum Dreißigjährigen Krieg ignoriert werden könnte.
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