12 Einführung Allerdings kann kaum von einem befriedigenden, substanziellen Forschungsstand gesprochen werden. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert hat sich die Forschung in der üblichen positivistischen Manier dem ein oder anderen Detail zugewandt, was aufgrund der damit einhergehenden Archivstudien auch für die heutige Forschung durchaus noch von Nutzen sein kann.26 Ein breiteres Interesse an dieser Phase der sächsischen Geschichte, das mit Blick auf die Zugänglichkeit der vorhandenen Archivalien insbesondere in Dresden natürlich aus der Region selbst hätte kommen müssen, hat es danach bis in die 1990er Jahre praktisch nicht gegeben.27 Eine Ausnahme bilden nur die ungedruckte Leipziger Dissertation von Hans-Joachim Schreckenbach von 1952 zu Kursachsen auf dem Westfälischen Friedenskongress28 sowie die ebenfalls nur im Manuskript vorliegende Dissertation von Ursula Starke von 1957 zu den Landständen, die freilich in Göttingen entstanden ist, aber von einer gebürtigen Chemnitzerin verfasst wurde, was möglicherweise das Interesse erklärt.29 In jedem Fall nutzen beide Arbeiten die Dresdner Bestände. Die bahnbrechenden Neuansätze zur Erforschung von Dreißigjährigem Krieg und Westfälischem Frieden seit den späten 1950er Jahren in der Bundesrepublik wurden für Sachsen in der Folge jedoch nicht fruchtbar gemacht.30 Aktuelle Forschungen zu Sachsen im Dreißigjährigen Krieg sind immer noch vergleichsweise rar und nicht alle Phasen des Krieges gleichermaßen intensiv analysiert. Die Einschätzung von Michael Kaiser, dass wir »einfach viel zu wenig darüber [wissen], wie der Dresdner Hof seine Politik konzipiert und durchgeführt hat«, ist durchaus noch aktuell.31 Für die kursächsische Politik liegt als größere Studie aus jüngerer Zeit lediglich die grundlegende Arbeit von Frank Müller von 1997 zu Sachsens Haltung im Böhmischen Aufstand, also der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges, vor.32 Es handelt sich um eine bei Konrad Repgen in Bonn verfasste, äußerst solide und detaillierte Arbeit, die zu einer grundsätzlichen Revision hinsichtlich der Einordnung und Interpretation des Agierens Kurfürst Johann Georgs I. und seines Umfelds kommt. Die Ergebnisse sind dabei nicht nur für die Phase des Böhmischen Krieges, sondern auch darüber hinaus relevant, denn Müller zeigt die grundsätzliche Ausrichtung der kursächsischen Politik im Dreißigjährigen Krieg auf das Reich und sein Verfassungsgefüge sowie die lange Kontinuität, in die sich diese reichstreue Politik seit dem 16. Jahrhundert einordnete. Studien von entsprechender analytischer Tiefe zur kursächsischen Politik im weiteren Verlauf des Krieges fehlen.33 Hinzuweisen ist allerdings auf die große und mit einer mehr als 200 Seiten umfassenden Einleitung versehene Aktenedition zum Prager Frieden von 1635 von Kathrin Bierther von 1997,34 die ohne Zweifel ebenso zur Neubewertung Johann Georgs in der neueren Forschung beigetragen hat wie die Studie von Müller. Dezidiert herausgearbeitet wird hier das konsequente Bemühen des Kurfürsten um Frieden zwecks Bewahrung der Reichsverfassung.35 Nach den älteren Studien von Ernst Dürbeck von 190836 und Adam Wandruszka von 195537 bietet die Edition eine hervorragende Grundlage für eine neue Auseinandersetzung mit dem Thema, auch und insbesondere aus kursächsischer Perspektive.38 Darüber hinaus sind die fortlaufenden Arbeiten an den Acta Pacis Westphalicae (APW) zu nennen und hier insbesondere die Edition der Kurfürstenratsprotokolle, deren erster von Winfried Becker bearbeiteter Band für die Jahre 1645 bis 1647 bereits 1975 erschienen ist und deren zweiter, von Marie- Elisabeth Brunert bearbeiteter Band für 1648 noch aussteht.39 Für die kursächsische Seite besonders aufschlussreich sind die Ergebnisse des Habilitationsprojekts von Lena Oetzel zu den kaiserlichen und reichsständischen Gesandten auf dem Westfälischen Friedenskongress, zumal die Verfasserin über die Kurfürstenratsprotokolle hinaus weitere Quellen, etwa das Diarium des kursächsischen Sekundärgesandten Dr. Johann Leuber (1588–1662), intensiv einbezieht und eine vergleichende 1 Belagerungsszene, Gravur auf der Rückseite einer Pulverflasche, Teil eines Geschenks des Leipziger Rats an Kurfürst Johann Georg I. 1623 (vgl. S. 275). Bein gedrechselt, Einfassung Silber graviert, Schnepper Eisen, Höhe 9,7 cm, Gewicht 110 g. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Rüstkammer, Inv.-Nr. X 0759, Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut
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