13 Andreas Rutz – Das große Welttheater vor Ort Perspektive anlegt.40 Zu Kursachsens Verhandlungsführung auf dem Westfälischen Friedenskongress liegt als Spezialstudie bislang lediglich die erwähnte Dissertation von Schreckenbach vor;41 der Nürnberger Exekutionstag wurde von Antje Oschmann ausführlich analysiert, die allerdings – kurz vor dem Mauerfall – die Dresdner Archivbestände nicht einbezogen hat.42 Vor dem Hintergrund eines – zumal angesichts der Bedeutung Sachsens – eher schmalen Forschungsstands ist es nicht verwunderlich, dass präzise Überblicksdarstellungen zum Thema fehlen. In den bekannten Handbüchern zur sächsischen Geschichte nimmt der Dreißigjährige Krieg jeweils nur wenige Seiten ein, der Fokus liegt zudem auf der Ereignisgeschichte.43 Gleiches gilt für eine Reihe von kürzeren Aufsätzen, die zumeist im Umfeld von Jubiläen den Versuch unternehmen, das Geschehen zusammenzufassen.44 Auch der Band von Christian Kunath, der den Anspruch einer Gesamtdarstellung erhebt, ist ereignisgeschichtlich orientiert und bedient sich dafür aus der älteren Literatur, ohne substantielle eigene Analysen vorzulegen.45 Mit Blick auf die militärischen Ereignisse ist zudem auf die umfangreichen Arbeiten von Roland Sennewald zu verweisen, der akribisch die Bewegungen und Kämpfe des kursächsischen Heeres im Dreißigjährigen Krieg rekonstruiert hat.46 Dabei berücksichtigt er auch alltags- und sozialgeschichtliche Aspekte, also Themen der Neuen Militärgeschichte, bleibt aber letztlich einer mit zahlreichen Details angereicherten positivistischen Perspektive verpflichtet. Einen breiten, nicht zuletzt auch kulturgeschichtlichen Ansatz vertritt hingegen das 1998 zum 350. Jubiläum des Westfälischen Friedens erschienene Dresdner Heft ›Sachsen im Dreißigjährigen Krieg‹.47 Die Publikationen im Umfeld der Ausstellung ›Bellum & Artes‹, die in zeitlicher Nähe zum 400. Jubiläum des Ausbruchs des Dreißigjährigen Krieges erschienen sind, behandeln auch, aber nicht ausschließlich Sachsen.48 Kurfürst Johann Georg I. Ähnlich wie die Forschung zum Dreißigjährigen Krieg in Sachsen ist auch die Literatur zum sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. (reg. 1611–1656) bislang eher disparat und zumal in der Interpretation seiner Regierungszeit und seines Agierens im Dreißigjährigen Krieg recht zwiegespalten. Eine Neubewertung deutet sich schon seit einigen Jahrzehnten an, wie sich insbesondere in den oben genannten Publikationen von Müller und Bierther zeigt. Es bedarf aber noch weiterer grundlegender Untersuchungen, um diese, zumal für die unterschiedlichen Phasen des Krieges, zu stützen. Die ältere Forschung hat Johann Georg I. vor allem seine Kaisertreue und damit gleichsam Verrat an der protestantischen Sache vorgeworfen. Er habe, wie Heinrich Theodor Flathe 1881 in der Allgemeinen Deutschen Biographie schreibt, »trotz zahlreicher warnender und zur Eintracht mahnender Anzeichen sich zu seinen Glaubensgenossen nicht in ein klares und harmonisches Verhältniß zu setzen« gewusst:49 Von der Kurpfalz und der protestantischen Union habe ihn nicht nur der durch seinen Hofprediger Matthias Hoë von Hoënegg50 beförderte Gegensatz zwischen Luthertum und Calvinismus getrennt, sondern auch »politische Eifersucht«. Zudem habe er »Argwohn« gegenüber den ernestinischen Vettern gehegt, sie könnten sich doch noch Hoffnungen auf die Wiedererlangung des sächsischen Kurhuts machen. Seit dem jülich-klevischen Erbstreit habe es zudem Spannungen mit Brandenburg gegeben. »Die Folge war, daß dem einmüthigen und geschlossenen Vorgehen der katholischen Partei die Evangelischen gespalten gegenüberstanden«51 – und das nicht nur am Beginn des Krieges, sondern auch im weiteren Verlauf. Die Spaltung der protestantischen Partei ist ein Aspekt des Narrativs, mit dem jegliches politische Handeln Johann Georgs von Flathe als völlig verfehlt beurteilt wird. Ein zweiter Aspekt ist seine vermeintliche Zögerlichkeit und mangelnde Führungsstärke. Johann Georg, »der doch noch immer als der vornehmste der evangelischen Reichsstände, als der geborene Schirmherr des Protestantismus galt«, habe es beim Ausbruch des Böhmischen Aufstands und auch später nicht verstanden, »sich der Leitung der Begebenheiten mit starker Hand zu bemächtigen«. Gründe hierfür werden – und das ist der dritte Aspekt des Narrativs – in der Persönlichkeit des Kurfürsten gefunden: »der Jagdlust und dem Trunke bis zum Uebermaß ergeben, theologisch in der sprichwörtlich gewordenen Kurfrömmigkeit befangen, die Augen immer nur auf das Nächste gerichtet, ohne zielbewußten weitangelegten Plan, ließ er sich fast willenlos von den Ereignissen treiben und gerieth dadurch nicht blos selbst immer tiefer in Verwickelungen, sondern half auch bei allem ehrlichen Willen und aufrichtigem reichspatriotischen Pflichtgefühl, das ihn beseelte, das ganze Reich in dieselben stürzen.« Johann Georg – ein Spalter, Zauderer, Trunkenbold? Ohne dieses für die ältere Forschung charakteristische Fürstenporträt hier im Detail analysieren zu können, sei doch darauf hingewiesen, dass sich darin sehr deutlich verschiedene Elemente eines Geschichtsbilds versammelt finden, das seit der zweiten Hälfte des 19. und im frühen 20. Jahrhundert in Deutschland maßgeblich war:52 Das ist an erster Stelle die Dominanz (preußisch-) protestantischer Geschichtsschreibung und die konfessionell, weltanschaulich und politisch begründete Ablehnung alles Katholischen, die für die Historiographie der Frühen Neuzeit gepaart war mit der geradezu reflexartigen Ablehnung des Kaisers, der ja nicht nur katholisch, sondern auch noch Österreicher war. Zum zweiten ist es die Glorifizierung starker Männer, wobei ›männlich‹ mit Entschlussfreude, Kühnheit, Kampfesgeist, Kriegsfreude, aber auch Weitsicht
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