Leseprobe

14 Götzes Weg zum Bild ist nicht der übliche. Er hat als Siebdrucker angefangen, nicht als Zeichner. Gewöhnlich wird über die Zeichnung zuerst das künstlerische Selbstverständnis gewonnen, da entsteht die wörtlich zu nehmende Handschrift. Zeichner arbeiten sich an Alltagseindrücken ab, dokumentieren einfache Gegenstände, Interieurs und urbane Arrangements, Landschaften, Früchte, Pflanzen, Tiere, gerne Dinge, die sich nicht bewegen und wackeln, Muscheln, Nüsse, schrumpelige Südfrüchte, Faltenwürfe – das sind Objekte für Einsteiger. Es entstehen Selbstbefragungen im abgezeichneten Spiegelbild. Das Suchende und Tastende, sogar die Qual gibt solchen Blättern eine rührende Note. Dann fängt das normale Subjekt an, zu malen und die Druckgrafik zu erkunden und auch das unter Komplikationen. Götze ist ohne Demut vor der zeichnerischen Fleißarbeit, keine Qual mit immer wieder wegradierten Konturlinien. Formfindungsprozesse. Das Tasten und Suchen überlässt er anderen. Er hat sich die Mühsal des Naturstudiums erspart und all die Übungen weggelassen. Ohne Schaden. Blätter, denen der Arbeitsfleiß anzusehen ist, gibt es bei ihm nicht. Er geht vom Siebdruck zur Malerei und dann erst zur Zeichnung. Er ist der Arbeiter an der Maschine. Folien bezeichnen, Motive kopieren, Siebe belichten und auswaschen, Passer festlegen, Papier anlegen, das Sieb in die Maschine einspannen, Farben anrühren und auf das Sieb bringen, den Rakel einlegen, Farbe nach Farbe drucken und die Papiere in den Stapeltrockner legen, alle Gerätschaften säubern, die Ränder des Druckstapels beschneiden – das ist eine Reihe von rund zwei Dutzend Arbeitsgängen des Siebdruckers, Nachlässigkeit führt dazu, dass die ganze Auflage nur noch Makulatur ist. Der Mann ist Praktiker, fängt oben an, erschließt sich über die Technik die Grafik. Schaffenskrisen kennt er so wenig wie ein Automechaniker. Perspektive, Anatomie, die Geschichte der Kunst hat für alle relevanten Fragen ausreichende Problemlösungen vorgelegt, abrufbar für den Mechaniker. Großes Vertrauen in den Pantone-Fächer. Der Drucker denkt in RAL-Farben. Malen nach Zahlen. Sein Siebdruck wird geordnet durch eine feine Linie, die die monochromen Farbfelder klar abtrennt. Zum Schluss legen sich noch einmal schwarze Konturen auf das Bild, wie Stege, die eine ausgegossene Farbe eindämmen, um unsaubere Ränder zu verhindern. Die klar getrennten Farbfelder erklären das Schattenlose dieser Welt, in der jedes Objekt von innen erleuchtet scheint. Götze ist Linearzeichner, er modelliert nichts über den Schatten. Ein Peter Schlemihl, der nichts vermisst. Kein Nebel über den Tälern oder der See, Wolken sind nicht aus Zuckerwatte, sondern kompakt wie Bauschaum, keine Farbverläufe in den Binnenflächen, selbst das Erröten der jungen Damen zeigt sich bei Götze in klar konturierten rosafarbenen, symmetrischen Ovalen.

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