Leseprobe

17 mit Scheren- oder eher Cutterschnitten aus lichtundurchdringlichem Karton. Diese Schrift hat Signalwirkung, die GötzeNorm mit gutem Wiedererkennungswert. Götze pflegt einen souveränen Umgang mit der Orthografie. Das sieht manchmal wie Absicht aus, wie Ironie und Scherz. Schriftsprache ist Verhandlungssache. Normen werden überbewertet. Für Götze ist das Arbeit im Prozess, Regelverstöße lässt er als Fehler sichtbar stehen. Der schöne Reiz der groben Korrektur erinnert daran, dass Kommunikation immer von Missverständnissen durchwachsen ist. Selten erreicht den Empfänger etwas so, wie es sich der Absender gedacht hat. Die Anregung für die Stabreime in den Titeln und Sprechblasen der Akteure kam durch die assoziativen Texte von Matthias BAADER Holst (1962– 1990). Götze verband eine enge Freundschaft mit dem halleschen Poeten. Holst trat zu den Eröffnungen auf, und die erste Publikation seiner Texte besorgte Götze als gebundenes Siebdruckbuch schon unter dem Label Hasenverlag.3 Aus so etwas hätten Andere behaglich größere Werkgruppen gemacht. Das wäre ausbaufähig gewesen, schon wegen des unschlagbaren Sujets – hinterhältige Soldaten, die sich im Gebüsch verstecken – und wegen der spontanen, fleckig kleckernden und krakligen Zeichnung. Götze hat es drauf, aber meidet ansonsten die Impression. Ausbaufähig auch wegen des politischen Motivs. Möglicherweise hat ihn das Beispiel seines Vaters Wasja Götze abgeschreckt – einer der drei Pop-Art-Künstler der DDR. Ein großartiger Maler, von dem Moritz Götze vieles gelernt hat, wenn auch unter Reibereien. Wasja Götze sagt selbst, dass ihm mit dem Ende der DDR seine Quälgeister, aber auch die Motive verlustig gingen. Götze springt da gleich wieder ab. Von da an zeigt sich sein Talent zum Staatsmaler im wiedervereinten Deutschland, alles, was klemmt in der Geschichte, bringt er auf die Bühne. Ein riesiger Berg, Geschichtsmüll als poppebunte Sondermülldeponie, Jeder findet das, was er sich wünscht. Und überall spuken die Gespenster der Vergangenheit. Die wollen nichts Böses, sie wollen nur dabei sein, ihre alten Rituale aufführen. Die Paraden, Empfänge, als hätte Adolf von Menzel (1815–1905) sein Eisenwalzwerk und das Flötenkonzert und die Krönung Friedrich Wilhelms I. auf einmal gemalt. Historie ist unübersichtlich. Der pädagogische Effekt fraglich. Als Trauerbewältigung werden unten rechts die Heroenköpfe der Sozialkämpfe in dem Zitat der Liebknecht-Pieta von Käthe Kollwitz (1867– 1945) ausgetauscht, das geht fast unter in der Bildfülle. Auch wenn das immer funktioniert, was er da zusammenmixt, schwingt bei den Betrachtern die Frage mit: Hat er eigentlich eine Ahnung davon, was er da macht? Das hat Spiegelbildfunktion. Haben wir eine Ahnung von dem, was wir anstellen? Die Inseldarstellungen im Werk vom Moritz Götze sind eine eigens zu untersuchende Topografie, Forschungsgebiet für aufstrebende Kunstwissenschaftlerinnen und Kunstwissenschaftler. Die Insel in der Vorstellungswelt Götzes ist Schauplatz von Robinsonaden. Sehnsuchtsort oder dystopischer Endpunkt einer katastrophalen Entwicklung: Gilligans Insel,4 Lummerland, Eisenbahnplatte, Schrebergarten, die Insel Felsenburg, die Spitze des Berges Ararat mit der gestrandeten Arche, das Eiland aus Shakespeares Der Sturm, das Happy End eines Katastrophenfilms. Verbannungs- oder Urlaubsort? Auf alle Fälle kommt man zu sich selbst. Die Akteure, die einzigen Überlebenden, stehen in gelassener Haltung zwischen den Trümmern einer ramponierten Zivilisation. Alles bereinigt, das Treibgut ist nicht Müll, sondern eine Ansammlung sprechender Artefakte. Das Pendant zur Insel ist der Planet des kleinen Prinzen. Da ist man noch ungestörter. Es ist eine unnütze Frage, welches Buch oder welche Schallplatte Götze mit auf die einsame Insel mitnehmen würde. Die Antwort aus dem das Gedächtnis trainierenden Kinderspiel »Ich packe 4 Gilligan’s Island, amerikanische Sitcom, 98 Folgen, CBS 1964– 1967. S. 99 S. 50 S. 144–145

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