Leseprobe

31 Der Kunstbetrieb ist sich weitgehend darin einig, Moritz Götzes farbkräftige Bildproduktion für eine zeitgemäße Pop-Art des 21. Jahrhunderts zu halten. Hinzu tritt die Einschätzung, dass in seiner Kunst der Gestus des romantischen Künstlers in das postmoderne Zeitalter eingetreten sei, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass in seinen Werken immer mal wieder die blaue Blume der Frühromantiker und das am Netzkabel hängende Smartphone des digitalen Nomaden gemeinsam zitiert werden. Sein Markenzeichen, so herrscht Konsens, ist der gemeisterte Balanceakt zwischen dem Populären und Singulären, zwischen Pathos und Ironie, zwischen Leichtigkeit und Tiefe, Romantik und Rokoko. Und die mit solchen Herleitungen durchwirkten Elogen an den 1964 in Halle (Saale) geborenen Maler – der nun vorm Erreichen seines 60. Lebensjahres im Zenit seiner ungewöhnlichen Laufbahn als Künstler steht – reichen bis hin zum nachhaltigen Urteil des Weggefährten Christoph Tannert (*1955), der einmal knapp und zutreffend formuliert hatte, Moritz Götze sei für ihn einfach ein genialer »Kidnapper auf dem Feld des Populären«.1 POP-ART IN DER DDR Wenn man sich dem Mikro- und Makrokosmos seiner Darstellungen nähert, wird schnell deutlich, dass es sich bei Moritz Götzes Bildwelten nicht um affirmative oder leicht zu konsumierende Zeichensysteme handelt, welche die Muster und Mittel der Pop-Art mit gehörigem Zeitverzug adaptieren. Sein spezifischer East German Pop ist vollends originär und besteht aus einer ganz eigenen Mixtur der Elemente. Zwar zeigt sich bei ihm die Einflusskraft der amerikanischen Pop-Art – etwas stärker noch die Prägung durch seine zeitgleich entstandene englische Variante, die der effektvoll verbildlichten Ding- und Massenkultur des Kapitalismus eher distanziert-ironisch gegenüberstand, doch gründet Moritz Götzes Pop-Art auf der besonderen Geschichte dieser Kunstform in der DDR. Insofern handelt es sich bei seinem Bezug keinesfalls um eine epigonale Adaption, vielmehr um eine eigenständige Entwicklung unter den Bedingungen eines repressiven Systems. Als erster Künstler im Osten Deutschlands war es der Dresdner Künstler Willy Wolff (1905–1985), der im Nachklang zweier Englandreisen (1957 und 1958) ab Mitte der 1960er-Jahre mit Strukturelementen der Pop-Art experimentiert hatte. Nicht die Artefakte der kapitalistischen Massenproduktion und Konsumwelt, die zum Motivarsenal der westlichen Pop-Art wurden, interessierten Wolff, sondern die Fermente der ideologischen Selbstfeier des kommunistischen Systems. Sein Gemälde Lenin zum 100. Geburtstag von 1970 [ Abb. 1 ] thematisiert beispielhaft die Ermattung der kommunistischen Utopie und die damit einhergehende propagandistische Stilisierung ihres Führungspersonals. Der einstige Meisterschüler von Otto Dix (1891–1969), 1 Tannert 1995, S. 4–7. [ 1 ] Willy Wolff Lenin zum 100. Geburtstag 1970, Nachlass Willy Wolff, Privatbesitz

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