Leseprobe

32 der sich in den 1960er-Jahren seinen Lebensunterhalt als Führungsassistent der Staatlichen Kunstsammlungen verdienen musste, stieß mit seinen Werken lange Zeit auf gründliche Ablehnung, die erst durch eine museale Ehrung 1976 im Pretiosensaal des Dresdner Schlosses abgeschwächt werden konnte. Die Chance auf eine direkte Begegnung mit Pop-Art-Originalen, wie sie Willy Wolff noch erleben konnte, hatten jüngere Künstler wie Wasja Götze und Hans Ticha (*1940) später nicht. Für die beiden, welche erst nach dem Mauerbau 1961 ihren Berufsweg beschritten, blieb daher in der hermetisch vom Westen abgeschirmten DDR nur der sekundäre Stellvertreterblick auf das internationale Kunstgeschehen. So steckte sich Wasja Götze, angetrieben von einem gehörigen »Hunger nach Bildern«, in einer Art ästhetischen Mundraubes an den Ständen der Westverlage auf der Leipziger Buchmesse die betreffenden Kataloge ungefragt in die Tasche. Und für den Ostberliner Maler Hans Ticha gerieten selbst propagandistische Texte, welche die westliche Kunst zum Teufelszeug erklärten, zu einem schöpferischen Initialerlebnis: So sah er seine ersten Pop-Art-Werke in Michael Lifschitz’s Krise des Hässlichen, einer 1971 im Dresdner Verlag der Kunst erschienenen Abrechnung mit der Westkunst vom Kubismus zur Pop-Art, die neben dem unverdaulichen Text schlecht gedruckte Schwarz-Weiß-Abbildungen einiger Werke von Andy Warhol und Tom Wesselmann (1931–2004) enthielt. Die verordnete Isolation der beiden Akteure – Wasja Götze und Hans Ticha lernten sich erst 2019 (!) in der vom Autor zusammen mit Christoph Tannert kuratierten Leipziger Ausstellung Point of No Return persönlich kennen2 – macht die Situation deutlich, in der diese Maler in den 1960er- und 1970er-Jahren im DDR-Kunstsystem in Halle (Saale) und im Ostberliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg unabhängig voneinander operierten. Wasja Götze war dabei einer der am stärksten von staatlicher Repression betroffenen Künstler. Diese Feindsetzung begann bereits kurz nach seinem Studium an der Burg Giebichenstein in Halle (Saale). Wegen einer inoffiziellen »Hofausstellung« im Innenhof seines Wohnhauses wurde er im Mai 1969 in Halle zur Persona non grata erklärt; 1976 gehörte er zu den Erstunterzeichnern der Petition von Kunstschaffenden gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann (*1936). Der Ostberliner Maler, Grafiker und Buchillustrator Hans Ticha begann 1979 mit einem Werkzyklus von Gemälden, die er später »politische« Bilder nannte. Das Besondere an diesen in den 1980er-Jahren entstandenen Werken war nicht nur der Rückgriff auf Stilmittel der PopArt, sondern ebenso, dass sich Tichas Zyklus in ganz direkter Weise hochpolitischen Themen zuwendete, was den Bildern den Zugang zur Öffentlichkeit erst nach dem Ende der DDR ermöglichte. Beide Künstler zeigten die obskure Welt der Diktatur – die Todeszone der Mauer, den Stechschritt der Mitläufer und die 2 Vgl. Kaiser/Tannert/ Weidinger 2019, S. 142f. u. S. 378–381. 3 Vgl. Kaiser: 2015, S. 9–18 u. Kaiser 2016, S. 93–109. [ 2 ] Hans Ticha Unser Ziel, 1986/1991 Courtesy Galerie LÄKEMÄKER GmbH

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