Leseprobe

In der »Geschichte der fließenden Beziehungen« zwischen Bayern und Österreich spielt Salzburg eine besondere Rolle.1 Die engen Verflechtungen zwischen dem bayerischen Herzogtum und dem späteren Fürsterzbistum Salzburg verdichteten sich in den Zeiten von Baiuwarenmission und Bistumsorganisation im 7./8. Jahrhundert. Das Gebiet der Erzdiözese und das altbayerische Stammesgebiet überschnitten sich weitgehend, und »[v]om Frühmittelalter bis in das 14. Jh. galt Salzburg unbestritten als Teil von Bayern«, bis 1328 die Bestrebungen um die Abgrenzung der territorialen Hoheitsrechte zur Eigenständigkeit des Erzstiftes führten.2 Dessen Besitzungen und landesherrliche Strukturen dehnten sich auch im Gebiet westlich von Saalach und Salzach aus, das erst 1816 endgültig dem neuen Königreich Bayern zugeschlagen werden sollte, während das Gebiet östlich davon zu Österreich kam. Bis dahin führten die Flussläufe als Hauptverkehrswege und Lebensadern mitten durch das zu beiden Ufern gelegene Salzburger »Außergebirg«,3 dessen später bayerischer Teil sich nach der Abtrennung als »Rupertiwinkel«4 eine neue Identität in der Tradition des Salzburger Bistumspatrons konstruierte. Dort liegt Abtsdorf, dessen Kirche und Wandmalereien der Spätgotik hier kurz vorgestellt werden sollen.5 In diesem Zusammenhang von einem »salzburgisch-bayerischen Grenzgebiet« zu sprechen, entspringt eher einer neuzeitlichen Perspektive auf moderne Staatsgebiete; wobei im Hoch- und Spätmittelalter freilich immer wieder um Herrschafts- und Nutzungsrechte gestritten wurde und wichtige Orte durch Kauf, Verpfändung, Tausch und militärische Konflikte vom Erzstift zum Herzog und wieder zurück wanderten. Für die Kunstgeschichte liegt kaum eine nennenswerte Aussage in einer solchen Bezeichnung.6 Über die bekannten »Salzburger« Künstler der Zeit wissen wir vor allem von deren Mobilität, die sich in den Akten niederschlug. So kam beispielsweise Conrad Laib (um 1405–nach 1457) aus der Grafschaft Öttingen über Ulm und Nürnberg nach Salzburg; Rueland Frueauf (um 1440/1450–1507) ist als Bürger von Salzburg nachgewiesen, wo er vielleicht auch geboren ist, und dann als Bürger von Passau, wo er 1507 verstarb; Hans Valkenauer (um 1448–nach 1518) wurde 1479 in Salzburg eingebürgert; wo er zuvor ansässig war, ist umstritten.7 Sie folgten, wie viele andere, ungeachtet von Grenzverläufen dem Ruf der institutionell und individuell weitläufig vernetzten geistlichen und weltlichen Auftraggeber. Wandmalereien stehen für Ortsfestigkeit schlechthin. Allerdings verlangte deren Ausführung von Meistern und Mitarbeitern, dass sie überall dort ihre Werkstatt aufschlugen, wo ihre Kunstfertigkeit gefragt war. Architektur und die architekturgebundenen Künste tragen deswegen – ein nur scheinbares Paradox – einen wesentlichen Anteil an Austauschbeziehungen und Grenzüberschreitungen, nämlich über die beteiligten Akteure auf allen Ebenen eines Bau- und Ausstattungsprojektes. In dem oben kurz umrissenen Gebiet, das der Verwaltung des erzstiftischen Vizedomamts unterstand, boten im 15. Jahrhundert zahlreiche Kirchenneubauten attraktive Aufträge für umfangreiche Wandmalereien. Die dort ansässigen oder begüterten Mitglieder des Adels, der Ministerialität, der Geistlichkeit u. a. ließen nahezu ausnahmslos ältere Pfarr- und Filialkirchen erneuern oder ersetzen und neue Ziele lokaler Wallfahrten errichten.8 Ein Beispiel dafür ist die Kirche St. Philippus und Jakobus im genannten Abtsdorf, auf einer Anhöhe über dem südöstlichen Ufer des gleichnamigen Abtsdorfer oder kurz Abtsees gelegen (Abb. 1). Die nahe bischofseigene Stadt Laufen mit Pfleg-, Stadt- und Landgericht verfügte mit ihrer reichen Bürgerschaft über potente Auftraggeber für ortsansässige und auswärtige Künstler.9 Abtsdorf wiederum war, ausweislich einer Quelle vom Ende des 12. Jahrhunderts, Sitz eines erzbischöflichen Urbaramts mit zwei Höfen und einem weiteren umfangreichen hofurbarischen Gut.10 Eine Kirche wird erstmals 1463 in der Agenda der Pfarrei Salzburghofen genannt. Es heißt dort, dass am Tag der Apostel Philippus und Jakobus (d. J., 1. Mai) das Kirchenvolk aus Saaldorf und Surheim, das waren weitere Filialen derselben Pfarrei, zum Patrozinium der Kirche nach Abtsdorf kamen, wo zwei Priester die Messe bzw. die Predigt hielten; erwähnt wird außerdem ein Kirchenpfleger, der beide entlohnte, was nach Roth auf eine regelmäßige priesterliche Versorgung schließen lässt.11 Ein heute nicht mehr nachweisbarer Ablassbrief aus dem Jahr 1466 könnte mit Bau- oder Ausstattungsmaßnahmen in Verbindung stehen.12 Konkrete Hinweise auf die Datierung der bis heute bestehenden Kirche und ihre nicht zwingend bauzeitlichen Wandmalereien lassen sich daraus aber nicht ableiten. Die Bauform der Chorkirche findet sich in zahlreichen weiteren Beispielen in der Region, ohne dass eine genauere Datierung innerhalb des 15. Jahrhunderts präzisiert werden kann. Der außen schmucklose, verputzte Saalbau über umlaufendem Sockel mit dreiseitiger, nicht abgesetzter Apsis wird von einem steilen Satteldach gedeckt (Abb. 1). Bündig mit der Westwand schneidet ein einstöckiger Dachreiter mit spitzem Knickhelm, Blendgliederung und vier spitzbogigen Schallöffnungen ein, der 1847 anstelle des ursprünglichen Westturms errichtet wurde.13 An der Südseite wird das Kirchendach nahtlos über einen den

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