Leseprobe

q 304 Simone Hespers rellen, vielleicht sogar aus nostalgischen Gründen« überholte Bezeichnungen der Erdzeitalter beizubehalten.7 Entsprechend überrascht war er über die LonglistNominierung von Alpha für den NDR-Sachbuchpreis.8 Im Folgenden sollen exemplarisch erzählerische Möglichkeiten dieser Werkkonzeption aufgezeigt, aber auch einzelne Kritikpunkte angebracht werden. Vor dem Hintergrund erzähltheoretischer Überlegungen wird ein Fokus auf die formale Gestaltung gelegt, unter besonderer Berücksichtigung der Verwendung kunsthistorischer Bildvorlagen. Dabei kann hier keine vollständige Analyse vorgenommen werden, vielmehr wird beispielhaft vorgegangen, um einen ersten Einblick in dieses komplexe und vielschichtige Werk zu geben. Erzählstrategien: Horizontales und vertikales Erzählen Die Bände sind inhaltlich in Kapitel gegliedert, die sich an den Erdzeitaltern sowie an den historischen Epochen der westlichen Geschichtsschreibung orientieren. Die Kapitelbezeichnung findet sich in den Kopfzeilen jeder Buchseite. Die in kräftigen schwarzen Linien holzschnittartig angelegten Bilder sind lagenweise monochrom koloriert. Zwar transportiert diese wechselnde Farbigkeit explizit das Motiv der Veränderung, inwiefern hierin aber mehr zu sehen ist als eine dramaturgische Anreicherung des Werkes (etwa als Referenz auf das Entwicklungsmoment, welches sowohl der Evolution als auch der Geschichte aneignet), kann nur vermutet werden. Die Erzählung selbst entfaltet Harder in einer Kombination aus Bildern und Textbestandteilen, allerdings werden Bild und Sprache hier nicht – wie im Comic üblich – zu einer homogenen Ausdrucksform verschränkt.9 Die direkt und ohne Rahmen auf die Seite gesetzten, typografisch zurückhaltenden Textzeilen fallen zwischen den expressiv-monochromen, meist durch Rahmen klar als distinkte Einheiten definierten Panels10 zunächst kaum auf, auch weil sie sparsam und unregelmäßig auftreten. Zahlreiche Seiten zeigen sogar ausschließlich Bilder. Auch strukturell gibt es nur vereinzelt Bezüge. In der Regel reichen die Textzeilen über die gesamte Seitenbreite, womit sie je nach Seitenarchitektur ein oder mehrere Bilder begleiten. Auf die Rezeption des Comics dürfte die Zurückhaltung des Textes durchaus Einfluss haben, werden beide Medien insgesamt doch als komplementär zueinander wahrgenommen.11 Dieses Nebeneinander der beiden Ausdrucksformen setzt sich auf der Ebene der Erzählung als »ausgeprägte Text-Bild-Schere«12 fort, betrachtet man die Art und Weise, wie jene in beiden Medien unterschiedlich realisiert wird. Der Text ist in einer verhältnismäßig sachlichen und im Präsens gehaltenen Sprache verfasst und hat eher informierend-darstellerischen als erzählenden Charakter, was durch die nicht näher bestimmbare Erzählinstanz gestützt wird. Damit erzeugt er insgesamt mehr eine faktuale denn eine fiktionale Welt, die die Leser:innen schlaglichtartig in den zeitlichen Ablauf der Natur- und Kulturgeschichte einführt.13 Die Bildfolgen hingegen haben fiktionalen Charakter. Versatzstückartig montiert Harder visuelle, nicht zusammengehörende Einzelinformationen zu etwas Neuem, womit er nicht das wirklich Gewesene und Geschehene rekonstruiert und nacherzählt, sondern die »künstlerische Konstruktion einer möglichen Wirklichkeit«14 vorlegt. Die Bilderzählung deshalb als rein fiktiv einzustufen, greift jedoch zu kurz. Denn die hier verwendeten Einzelbilder und Bildausschnitte verweisen teilweise auf durchaus reale gewesene Dinge. Allerdings existieren (oder existierten) sie eben nicht in der hier präsentierten Zusammenschau. Die Grenze zwischen Fiktion und Realität bleibt in der Erzählung also fließend.15 Den chronologisch-horizontalen Erzählfluss des Textes unterbricht Harder durch Auswahl und Anordnung der Bilder immer wieder und fokussiert visuell auf einzelne Aspekte und Ereignisse, die er von verschiedenen Seiten beleuchtet oder deren Entwicklung und Auswirkungen er in Sprüngen bis in die Gegenwart hinein verfolgt – eine Methode, die »als eine Art vertikales Erzählen«16 bezeichnet wurde. Gleichzeitig lässt er die Leser:innen jedoch im Unklaren darüber, in welcher Beziehung die Bilder im Kontinuum des Erzählflusses zueinander stehen. Hier sind drei Aspekte erwähnenswert, die letztlich beeinflussen, wie ein Comic wahrgenommen, »gelesen« wird: Der erste betrifft die formale Struktur des Mediums Comic, das sich durch die sequenzielle Anordnung der Bilder bestimmt.17 Der zweite stellt die Frage nach der Reihenfolge, in der die Bilder auf der Seite betrachtet, also gelesen, werden. Der dritte schließlich betrifft die symbolische Struktur von Bildern (und anderen visuel-

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