16 der Aufnahmen nach einem Jahr über die Entwicklung der Persönlichkeiten, das Gleichgebliebene und das Veränderte?«6 Knapp 40 Jahre später, 2011/12, wiederholte Margit Emmrich diese Versuchsanordnung an selber Stelle, wiederum mit Schüler*innen einer 7. bzw. 8. Klasse. Ein weiteres Beispiel für diese Art von Vergleichsstudie sind die Wohnzimmerporträts, Farbfotografien, an denen Margit Emmrich ab Mitte der 1970er Jahre mit einer alten hölzernen Großformatkamera arbeitete (S. 32–38). Wichtig war es ihr, ein möglichst breites Spektrum der Bevölkerung abzubilden. Das betraf sowohl die Berufe als auch das Alter der dargestellten Personen. Angeregt worden war die Werkgruppe durch ein Projekt der von Wolfgang G. Schröter geleiteten Arbeitsgruppe für Farbfotografie in der Zentralen Kommission Fotografie. Die meisten Aufnahmen entstanden in Leipzig, einige aber auch in der Magdeburger Börde, wo sich die Fotografin während ihrer Aspirantur vorübergehend als Betreuerin einer Gruppe Studierender aufgehalten hatte. Die Methode machte Schule. Wenige Jahre später blickte Herlinde Koelbl in westdeutsche Wohnzimmer, veröffentlicht 1980 unter dem Titel Das deutsche Wohnzimmer. 1983 und dann erneut 1993 nach dem Ende der DDR widmete sich Christian Borchert in Ostdeutschland mit seinen Familienporträts demselben Thema. Beide arbeiteten im Gegensatz zu Emmrich in Schwarzweiß. Während Koelbl einen vergleichbaren Ansatz wie ihre ostdeutsche Kollegin verfolgte, konzentrierte sich Borchert stärker auf die Porträtierten, bildete sie in strenger Frontalität ab und bot so zugleich weniger Kontextinformationen, etwa bezüglich der Größe und Einrichtung der Räume. An der Werkgruppe der Frauen in Festkleidern (S. 45–51) hat Margit Emmrich zunächst in der DDR (1977/78) und nach ihrer Ausreise auch in der BRD (1981/82) gearbeitet. Insofern bietet sie Raum für grenzüberschreitende Vergleiche. Die Frauen wählten ihre Bekleidung und den Platz in ihrem Wohnzimmer selbst aus. Da die Fotografin aus konzeptionellen Gründen als Belichtungszeit eine Sekunde gewählt hatte, erscheinen die Posen eher statisch und damit demonstrativ. Aus soziologischer Sicht wie bildgeschichtlich stellen sowohl die Wohnzimmerporträts als auch jene der Frauen in Festkleidern wichtige Zeitdokumente dar. In der Inneneinrichtung, der Kleidung, den Frisuren und den Haltungen der Menschen bildet sich neben dem individuellen immer auch der Zeitgeschmack ab. Hier zeigt sich die Stärke der Fotografie als Medium gesellschaftlicher Selbstreflexion. Dabei halten sich Individualität und Kollektivität die Waage. Completely different aspects of Margit Emmrich’s work are revealed in Industrial Floors (2009). The documentary content of the pictures here takes on a markedly different form. Without any additional information about the context in which they were created, we see only abstract forms reminiscent of the contours of animals and people from a distance. Emmrich photographed the floors in industrial factories in Leipzig that were shuttered after 1990. In this respect, they tell of the social upheaval of the time and are also testimonies of (inter-)personal situations. Margit Emmrich’s documentary groups of works are conceived as inventories of a distinct historical and geographical situation, in other words, of a specific group of people in a specific place at a specific time. However, they also clearly point beyond their respective time of origin and are universally valid testimonies of humanity. Like most documentary photographers, Margit Emmrich has intensively explored the question of how to create authentic images. Kai Uwe Schierz emphasizes that such an attitude is decidedly political, especially under the conditions of dictatorship: “Insisting on the truthfulness of one’s own observations was tantamount to a refusal of the demands of Socialist Realism and the common images in the mass media, the price of which was often considerable restrictions when attempting to make one’s own work public.”7
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