12 Margit Emmrichs Werk wurzelt unverkennbar in der ebenso vielgestaltigen wie einflussreichen Tradition der humanistisch geprägten sozialdokumentarischen Fotografie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Begriff bezeichnet zweierlei: eine bestimmte reportagehafte Bildsprache (nah an den Menschen, in der Regel aufgenommen mit einer Kleinbildkamera in Schwarzweiß), aber eben auch eine bestimmte formwerdende Haltung zum Sujet, ein Ethos: das Streben nach soziologisch exakten, aufrichtigen und möglichst repräsentativen Bildern des Menschen an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, getragen von Empathie und Respekt. Für die Repräsentativität und die soziologische Exaktheit bürgt die Fotografin als Autorin. Kai Uwe Schierz erkennt in diesem Ansatz ein Charakteristikum der »Leipziger Schule der Fotografie«, wie sie sich vor allem in den Fotoklassen der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) ausgebildet habe.4 Margit Emmrich hat ihr Studium an der HGB 1969 begonnen, und sie beendete es 1974 mit dem Diplom, gefolgt von einer Aspirantur zwischen 1976 und 1978. Ihre Studienzeit fiel somit in die letzten Jahre vor der Neuorientierung des Studiengangs in Richtung einer stärker künstlerisch orientierten Auffassung des Mediums unter Peter Pachnicke.5 Am Beginn des Schaffens von Margit Emmrich steht ihre Diplomarbeit, ein Buch zum Thema Pubertät mit dem Titel Die Zeit dazwischen (1974). Sie dokumentiert darin die Zeit des Übergangs von der Kindheit ins Erwachsenenleben mit großer Sensibilität, zugleich aber ohne jede Gefühligkeit. Wir begegnen den Jugendlichen in allen erdenklichen Situationen, in der Schule, zu Hause, in der Freizeit, sehen ihre Posen, den Überschwang, aber auch die Ängste und Unsicherheiten. Einige Jahre später unternahm Evelyn Richter gemeinsam mit dem Berliner Entwicklungspsychologen Hans-Dieter Schmidt ein vergleichbares Projekt – Entwicklungswunder Mensch – über die frühkindliche Entwicklung, an dem Margit Emmrich maßgeblich beteiligt war. Margit Emmrich’s work is unmistakably rooted in the equally varied and influential tradition of humanist, social documentary photography from the second half of the 20th century. This term characterizes two things: a certain visual language tied to reportage (close to the people, normally black and white, taken with a 35mm camera), as well as a certain formative attitude toward the subject, an ethos: the strive for sociologically accurate, sincere and representative images of a specific place at a specific time, sustained by empathy and respect. The essential focus is on human dignity. This shapes the photographer’s attitude toward the people being portrayed – and it is required from all of us, from society. As an author, the photographer vouches for representativity and sociological accuracy. In this approach, Kai Uwe Schierz recognizes a characteristic of the Leipzig School of Photography, as it emerged from the photo classes at the Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB), the Academy of Fine Arts.4 Margit Emmrich began her studies at the HGB in 1969, completing her degree in 1974, followed by a traineeship from 1976 to 1978. Her time there coincided with the years leading up to the program’s reorientation toward a more artistic approach to the medium under Peter Pachnicke.5 Margit Emmrich
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