Leseprobe

»Eine Frau als Gloria Köpnick Rainer Stamm Museumsdirektorin« Hanna Hofmann-­ Stirnemann

SANDSTEIN

»Eine Frau als Hanna Hofmann-­ Stirnemann (1899–1996) Gloria Köpnick Rainer Stamm Museumsdirektorin«

Die vorliegende Publikation wurde großzügig ermöglicht durch die

6 Vorwort 10 1899–1927 Elternhaus, Schulbildung und Studium 16 1927–1929 Beginn der Berufslaufbahn am Landesmuseum Oldenburg 38 1929 Einrichtung des Heimatmuseums Greiz 48 1930–1935 Hanna Stirnemann in Jena 114 1935–1945 Erzwungener Rückzug ins Private 124 1945–1950 Beruflicher Neubeginn – Landesmuseumspflegerin von Thüringen und Direktorin des Schlossmuseums Rudolstadt 148 1950–1996 Leben in West-Berlin und Arbeit für den Werkbund 160 Schriftenverzeichnis 164 Literaturverzeichnis 168 Register 172 Impressum Inhalt

1899–1927 Elternhaus, Schulbildung und Studium Hanna Stirnemann, Mitte der 1920er Jahre, Fotografie, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg

Die Stadt Weißenfels (heute zu Sachsen-Anhalt gehörend), mit dem repräsentativen Schloss Neu-Augustusburg, das lange Residenz der Herzöge von Sachsen-Weißenfels gewesen war, liegt rund 30 Kilometer südlich bzw. südwestlich von Halle (Saale) und Leipzig. In der kleinen Stadt an der Saale, die ein Zentrum für die Verarbeitung hochwertiger Eichhörnchen-Pelze war, lebten um 1900 rund 28000 Einwohner. Johanna Margarete Luise Stirnemann wird hier am 12. Oktober 1899 als älteste Tochter von Albert Stirnemann und dessen aus Hanau stammender Ehefrau Margarethe (geb. Elsaß) geboren.1 Albert Stirnemann besitzt in der Jüdenstraße 17, im Zentrum der Stadt, ein Geschäft für Eisenwaren, Haus- und Küchengeräte, welches der Familie ein gutes Einkommen und der Tochter eine höhere Bildung ermöglicht. Von 1906 bis 1916 besucht sie das Lyzeum in Weißenfels. Nach Unterbrechung im Ersten Weltkrieg setzt sie die Schulbildung von 1919 bis 1922 an der Oberrealschule von Weißenfels fort, die sie zu Ostern 1922 als eine der ersten weiblichen Absolventinnen mit dem Abitur abschließt.2 Die auf männliche Absolventen ausgelegten Zeugnisvordrucke belegen ihren zu dieser Zeit noch ungewöhnlichen Lebensweg. Unweit ihrer Geburtsstadt, in die Stirnemann während der Semesterferien immer wieder zurückkehrt,3 schreibt sich Stirnemann am 2. Mai 1922 zunächst für das Studium der Philosophie an der Philosophischen Fakultät der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg in Halle (Saale) ein.4 Streichungen und Ergänzungen im Anmeldebuch sowie Stirnemanns Aufzeichnungen belegen den baldigen Wechsel des Studienschwerpunkts hin zur Kunstgeschichte. Sie belegt darüber hinaus Kurse in Literaturwissenschaften, Psychologie und Pädagogik.5 Selbstbewusst gibt Stirnemann als Zweck des Studiums früh schon die »Doktorpromotion« an.6 Zeitweise gehört sie dem Akademischen Studentenausschuss (Asta) an.7 Im ersten Semester besucht Stirnemann mehrere Kurse zu »Deutscher Kunst im Mittelalter« – darunter eine Veranstaltung bei Paul Frankl (1878–1962), ihrem späteren Doktorvater.8 Bereits im zweiten Semester belegt sie drei von 15 Veranstaltungen bei Frankl und eine bei dem Archäologen Georg Karo (1872–1963), der später Zweitgutachter ihrer Doktorarbeit sein wird. Während ihrer ersten Semester belegt sie Veranstaltungen zur Philosophie, Literatur und Psychologie. Bald zeichnet sich, sowohl in der Wahl der Vorlesungen als auch der praktischen Übungen, ihre Fokussierung auf Kunstgeschichte ab. Inhaltlich ist ein Großteil der Veranstaltungen auf die italienische, französische, niederländische und deutsche Kunst vom Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert ausgerichtet. Kurt Gerstenbergs (1886–1968) Vorlesung über die Deutsch-Römer des 19. Jahrhunderts bietet einen der weitesten Vorstöße in die Gegenwart. Die Semestergebühren liegen im November 1923 – auf dem Höhepunkt der Inflation – bei 99 Milliarden Mark.9 Das freundschaftliche Netzwerk zu ihren Kommilitonen, das sie in diesen Jahren ausbildet, insbesondere den Schülern des 1921 an die Universität in Halle berufenen und 1933 entlassenen Professors der Kunstgeschichte Paul Frankl, wird ihren weiteren Lebensweg prägen. Dem Kreis ihrer Kommilitonen gehören u. a. Werner Meinhof, Walter Dieck, Walter Timmling, Hans Volhard,10 Hellmuth Allwill Fritzsche und Heinz Köhn an, mit denen Stirnemann in den folgenden Jahren in unterschiedlichsten Konstellationen verbunden bleiben wird.

12 Vereinigte Friedrichs-Universität Halle- Wittenberg, Promotionsurkunde Johanna Stirnemann v. 27. Dezember 1929, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg Hanna Stirnemann, Der Stilbegriff des »Spätgotischen« in der altdeutschen Malerei, Dissertation, Straßburg 1929, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg

1899 – 1927: Elternhaus, Schulbildung und Studium 13 Ihr Studium in Halle unterbricht sie 1924/25 für ein Semester an der Universität Wien, wo sie Vorlesungen bei den konkurrierenden Hauptvertretern der sog. Wiener Schule, Julius von Schlosser (1866–1938) und Josef Strzygowski (1862–1941), hört.11 Bei Julius von Schlosser belegt sie die Vorlesung zur »Italienischen Kunstgeschichte«, »Praktische Übungen« sowie »Übungen an österreichischen Kunstdenkmälern«. Bei Strzygowski hört sie die Vorlesung »Planmäßige Kunstbetrachtung«. Darüber hinaus besucht sie in Wien Max Eislers (1881–1937) Vorlesungen »Der Künstler als Kritiker« und »Von Goya bis Gogh«. Bei Karl Swoboda (1889–1977), einem Schüler Schlossers, besucht sie eine Veranstaltung zur »Geschichte der gotischen Plastik und Malerei«. Ferner hört Stirnemann bei dem Philosophen Moritz Schlick (1882–1936) eine Vorlesung »Systeme der großen Denker«. Schließlich besucht sie eine archäologische Vorlesung zum Thema »Meisterwerke der griechischen Plastik«. Alles in allem umfasst ihr Studium 16 Wochenstunden – ein volles Programm, vorwiegend der älteren Kunstgeschichte gewidmet, das sich in ihre halleschen Studienschwerpunkte fügt. Während ihres Studiums verfasst Stirnemann auch Gedichte, die das melancholische Pathos der Jugendlichkeit in sich tragen. Als Beispiel sei hier eines der von dem Dessauer Historiker Bernd Nowack wiederentdeckten Gedichte Stirnemanns zitiert: »Sprich nicht von Untergang und nahem Ende, wenn nächstens die Lemuren geistern. Der Engel wacht! Und seine Flammenhände, die furchtlos das Gezücht der Vipern meistern, beschirmen Dich. Es bleibt gebannt. Von seinem Blick ward der Skorpion gebrannt, und Menschen, die in seinem Flügelrauschen der Atem Gottes anweht, sie vertauschen das Nessushemd der Angst mit kühler Seide. Sie ruhn getrost mit Herden auf der Weide, kein Wolf kann reißen sie in dieser Nacht, vertan, verloren ist der Mahre Macht! [. . .].«12 Stirnemanns poetische Versuche belegen ihr ausgeprägtes Interesse für Sprache und Literatur. Unter den wenigen Büchern, die sich aus ihrer Studienzeit erhalten haben, zählt die bei Paul Cassirer erschienene Erstausgabe der »Theorie des Romans« von Georg Lukács, mit der sich Stirnemann 1925 auseinandergesetzt hat. In ihrer beruflichen Laufbahn wird das Verfassen von kunstwissenschaftlichen Texten, Ausstellungsberichten und Rezensionen zu einem roten Faden ihrer Arbeit. Während ihres Studiums belegt sie über fünf Semester Abendkurse in der Buchbindeklasse von Otto Pfaff (1896–1983) an der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle (Saale).13 An der wegweisend modernen Kunstgewer-

Beginn der Berufslaufbahn am Landesmuseum Oldenburg Das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte im Oldenburger Schloss, ca. 1930, Fotografie, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg 1927–1929

Direktor des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg war seit 1921 der aus Frankfurt am Main kommende Kunsthistoriker und Advokat der Moderne Walter Müller-Wulckow (1886–1964). Als Gründungsdirektor des vom Freistaat Oldenburg neu geschaffenen Museums hatte er die heterogenen Bestände des ehemaligen Kunstgewerbemuseums, der bescheidenen Staatlichen Galerie Neuerer Malerei und die Reste der ehemaligen Großherzoglichen Gemäldegalerie im ehemaligen Residenzschloss der Großherzoge von Oldenburg zu einem modernen Landesmuseum vereinigt, das im Februar 1923 eröffnet wurde.1 Ein Herzstück seiner Museumsgründung war die zur Eröffnung des Museums eingerichtete Moderne Galerie im Erdgeschoss des Schlosses, die moderne Meisterwerke der Brücke-Maler Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff aus der Zeit ihres Aufenthalts in Dangast sowie Werke von Paula Modersohn-Becker, Max Beckmann und Franz Radziwill zeigte. Das Landesmuseum Oldenburg und seine Assistenten Bei der täglichen Museumsarbeit und der Bearbeitung der Bestände wurde Muller-Wulckow von wissenschaftlichen Assistenten unterstützt.2 Von 1922 bis Ende 1927 war Otto Holtze (1892–1944) als Assistent am Landesmuseum tätig. Auf ihn folgten verschiedene Frankl-Schüler, wobei bislang unklar ist, woher der Kontakt – und auch das Vertrauen – zwischen Frankl und Müller-Wulckow stammten, der mit Herbert Kunze, Walter Dieck, Hanna Stirnemann, Werner Meinhof und Heinz Köhn fünf seiner sieben wissenschaftlichen Mitarbeiter aus Halle übernahm.3 Frankl und Müller-Wulckow standen offenbar im kontinuierlichen Austausch über die Besetzungsmöglichkeiten der Mitarbeiterstelle am Landesmuseum. So bedankt sich Müller-Wulckow im November 1926 für Frankls Empfehlung, Walter Dieck als Assistenten einzustellen: »Der von Ihnen mir damals so freundlich Empfohlene hat sich hier in der praktischen Museumsarbeit vollauf bewährt als ein fleißiger und in jeder Weise zuverlässiger Mitarbeiter, sodaß ich Ihnen für diesen Vorschlag sehr zu Dank verpflichtet bin.«4 Im Frühjahr 1927, nach dem Wechsel Diecks an das Städtische Museum Erfurt und während Otto Holtze, der zum Oktober als Assistent Walter Riezlers an das Stadtmuseum Stettin wechselt, aushilfsweise in Hameln arbeitet, um hier die Ausstellung »Oberweserkunst« einzurichten,5 ist der Posten erneut vakant: »Ich möchte mich nun bei Ihnen erkundigen, welcher Nachwuchs bei Ihnen zur sofortigen Übernahme der hiesigen Stelle zur Verfügung stehen würde«, fragt der Museumsdirektor daher bei Frankl an,6 der postwendend Hanna Stirnemann empfiehlt: »ich empfehle Ihnen auf wärmste und entschiedener als seiner Zeit Dr. Dieck diesmal Frl. Dr. Hanna Stirnemann.«7 Bereits wenige Tage später bewirbt sich die frisch promovierte Kunsthistorikerin in Oldenburg: »Sehr geehrter Herr Direktor. Ihrer Aufforderung, mich um die vakante Stelle am Landesmuseum in Oldenburg zu bewerben, beeile ich mich, mit Dank nachzukommen. Von Professor Dr. Frankl-Halle erfuhr ich die Anstellungsbedingungen und äußerte schon ihm gegenüber mein Einverständnis, was ich hier gern wiederhole, und zudem betonen möchte, wieviel mir daran läge, unter Ihrer Anleitung arbeiten zu dürfen.« Im beigefügten Lebenslauf berichtet sie über ihren bisherigen Werdegang:

18 Walter Timmling, Am Stau in Oldenburg, 1929, Aquarell, 32,4 x 41 cm, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg Walter Müller-Wulckow (Entwurf), Werbeplakat für das Landesmuseum Oldenburg, 1924, Farblithografie, 55,8 x 34,5 cm, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg

1927– 1929: Beginn der Berufslaufbahn am Landesmuseum Oldenburg 19 »Als älteste Tochter des Kaufmannes Albert Stirnemann, bin ich, Hanna Stirnemann, am 12. 10. 99 in Weißenfels Pr. geboren, ich bin evangelischen Glaubens. – Von Ostern 1906 bis Ostern 1916 besuchte ich das Lyzeum in Weißenfels Pr. Von 1916–1919 blieb ich im Hause meiner Eltern, da der Krieg uns keine festen Entschlüsse fassen ließ. – Ostern 1919 ging ich dann nach meinem Wunsche auf die Oberrealschule in Weißenfels u. verließ diese Schule mit dem Abitur. – Ostern 1922 wurde ich an der Universität in Halle Pr. immatrikuliert für: Kunstgeschichte, Germanistik, Philosophie u. Pädagogik. Bis auf 1 Semester in Wien und größere Reisen, auf denen ich auf breiter Basis sehen u. sammeln konnte, war ich immer in Halle als Schülerin Professor Dr. Frankls. – Ende Februar dieses Jahres promovierte ich in Halle zum Dr. phil. [...].«8 Walter Müller-Wulckow schilderte Stirnemann daraufhin die Bedingungen für die Anstellung in Oldenburg: »Wie Sie durch Herrn Professor Frankl gehört haben werden, handelt es sich bei der hier wieder zu besetzenden Stelle um eine Volontärtätigkeit zur Erlangung von Museumspraxis. Als Entschädigung steht für dieses Etatjahr 1.000 RM zur Verfügung und außerdem ein einfaches, aber sehr geräumiges Zimmer im Seitenflügel des Schlosses mit elektrischem Licht, Heizung und Gasanschluß. Die Stellung ist monatlich kündbar und es kann natürlich, selbst im Falle der Bewährung, keine Verpflichtung zu dauernder Beschäftigung übernommen werden, da die dafür vorgesehenen Mittel ausdrücklich für vorübergehende Hilfsleistung im Etat eingesetzt sind. [...] Die Vergütung gemäß den Bezügen der Referendare ist mit 128.– RM angesetzt, wovon nach Abzügen etwa 115.– RM verbleiben. Einen gewissen Ausgleich schafft das zur Verfügung stehende Zimmer. [...] Ich nehme an, daß Sie, falls diese Darlegungen Sie nicht noch abschrecken sollten, alsbald die Stellung antreten und bitte daher um Nachricht über den Zeitpunkt Ihres Kommens.«9 Am 12. Mai 1927 beginnt Hanna Stirnemann ihre Museumslaufbahn am Landesmuseum Oldenburg.10 Die Möglichkeit, ein Zimmer im Schloss zu bewohnen, nimmt sie gerne an: Noch das 1929 erschienene »Jahrbuch der Deutschen Museen« nennt die Adresse des Schlosses »Oldenburg, Schloßplatz 1« als Anschrift Stirnemanns.11 Kurz nach ihrer Einstellung monierte das Oldenburgische Ministerium des Innern die fehlende Genehmigung und bemängelte, dass zu prüfen gewesen wäre, ob eine Nachbesetzung des Postens von Walter Dieck über-

20 haupt erforderlich gewesen wäre.12 Bis zum Ende des Jahres 1927 zieht sich die Korrespondenz zwischen dem Museum und dem Ministerium über die Anstellung Stirnemanns und ihre Vergütung als Volontärin oder »wissenschaftliche Hilfskraft« hin.13 Während diese Frage im Arbeitsalltag so gut wie keinen Unterschied bedeutete, variiert die Höhe der Vergütung zwischen 50 RM – für Volontäre – und den genannten 128 RM für wissenschaftliche Hilfskräfte, die das Ministerium schließlich bewilligt. Nach zähen Verhandlungen und mehreren Vertragsverlängerungen wird Stirnemann bis Ende März 1929 am Landesmuseum Oldenburg beschäftigt. Ihr kommt hierbei die lange Vakanz der Assistentenstelle zu Gute, die durch Holtzes Weggang entstanden war. Sie rückt somit von einer Hilfsarbeiterin zur Assistentin auf,14 und ihre Vergütung erhöht sich sukzessive auf 250 RM pro Monat.15 Aufgabenvielfalt Als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin und Assistentin am Landesmuseum Oldenburg lernt Stirnemann den typischen Arbeitsalltag im Museum kennen. Dem Ministerium ist besonders an der möglichst vollständigen Inventarisierung der Sammlung gelegen:16 »Meine Arbeit macht mir wie immer Freude. Das Schreckgespenst der Inventarisation ist wieder einmal durch einen Vierteljahresbericht an das Ministerium gebannt worden«, berichtet Stirnemann im Juli 1928.17 Darüber hinaus erwirbt sie Einblicke in Auf-, Ausbau und Präsentation der Dauerausstellung, Planung und Durchführung von Sonderausstellungen sowie ein Grundverständnis für Neuerwerbungen und finanzielle Einschätzungen von Kunstwerken.18 Ferner lernt sie, Pressetexte zu verfassen sowie Führungen und Vorträge zu halten. Besonders die Einrichtung von Stilzimmern, wie sie in den 1920er Jahren in kulturgeschichtlichen Museen üblich waren, ist eine prägende Erfahrung, die ihr auch in ihrer eigenverantwortlichen Arbeit in Greiz, Jena und Rudolstadt dienlich sein wird: An allen drei Orten wird ihr die museale Gestaltung einstiger Residenzschlösser obliegen. Walter Müller-Wulckow, 1931, Foto: Felicitas von Baczko, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg

1927– 1929: Beginn der Berufslaufbahn am Landesmuseum Oldenburg 21 Auch wenn Stirnemann bereits im Studium praktische Übungen absolviert hatte, erlernte sie die Museumsarbeit und damit ihr Handwerkszeug am Landesmuseum Oldenburg. Walter Müller-Wulckow vermittelt ihr, eine Sammlung auf ihre Qualitäten hin zu untersuchen, zu schärfen und auszubauen. Spuren ihrer Arbeit finden sich – identifizierbar anhand ihrer markanten Handschrift bzw. ihres Namenskürzels »St.« bzw. »H.St.« – bis heute in den Akten und Inventaren des Oldenburger Museums. Sie belegen, dass Stirnemann in nahezu alle Belange des Museums einbezogen war und auf diese Weise ihre beruflichen Kenntnisse und – in der Korrespondenz mit Kolleginnen und Kollegen – ihr Netzwerk auf- und ausbauen konnte. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit übernahm Hanna Stirnemann in Vertretung der Museumssekretärin Maria Goens auch Sekretariatsarbeiten und verwaltete zeitweise offenbar die Finanzen des Museums, was ihr detaillierte Einblicke in Ein- und Ausgaben vermittelte und als Vorbereitung auf weitere berufliche Stationen dienlich war.19 Im Mai 1928 bereist sie zu Recherchen über die kunstgewerblichen Arbeiten des Oldenburger Hofmalers Johann Heinrich Wilhelm Tischbein das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, das Thaulow-Museum in Kiel und das Schloss in Eutin: »Im Hamburger Museum für Kunst u. Gewerbe erwartete mich [dessen Direktor Max] Sauerlandt mit einer Hilfsbereitschaft Die Moderne Galerie im Landesmuseum mit Gemälden von Erich Heckel (Dangaster Landschaft und Häuser in Dangast), Karl Schmidt-Rottluff (Die gelbe Öljacke und Kühe am Deich), Emma Ritter (Ziegelei), Ernst Ludwig Kirchner (Bube mit Bonbons) und Franz Radziwill (Deich mit Hecks), um 1930, Fotografie, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg

Einrichtung des Heimatmuseums Greiz 1929 Reußisches Heimatmuseum der Stadt Greiz, 1929, Foto: Heinrich Fritz, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg, Nachlass Walter Müller-Wulckow

Nachdem das Oldenburger Ministerium des Innern Stirnemanns Vertrag mehrfach verlängert hatte, machte die Behörde deutlich, dass sie einer Vertragsverlängerung über den 31. März 1929 hinaus nicht zustimmen werde.1 Hanna Stirnemann musste sich daher bereits während ihrer Anstellung in Oldenburg nach einer neuen Betätigungsmöglichkeit umsehen. Gegenüber Frankl hatte Müller-Wulckow bereits seine Begeisterung über die Arbeit Stirnemanns zum Ausdruck gebracht. »Es genügt eigentlich zu sagen, dass er Frl. Stirnemann im Grunde als Assistentin angestellt hätte, wenn in Oldenburg die Widerstände gegen die Weiblichkeit nicht unüberwindlich gewesen wären«,2 berichtet Frankl dem Direktor des Jenaer Stadtmuseums Paul Weber daher, als er von dessen Suche nach einer Kuratorin für das zu gründende Heimatmuseum in Greiz erfährt. Müller-Wulckow und Frankl vermitteln ihr daraufhin ein Vorstellungsgespräch bei Paul Weber,3 der in die Greizer Planungen involviert ist.4 Im September 1928 erhält Hanna Stirnemann schließlich ein Stellenangebot vom Oberbürgermeister der Stadt Greiz, Reinhard Erbe (1885–1946): »Geehrtes Fräulein Stirnemann! Herr Professor Weber in Jena hat Anfang dieses Jahres darauf aufmerksam gemacht, dass Sie gegebenenfalls bereit wären, die Neueinrichtung unseres Heimatmuseums zu übernehmen. Es handelt sich lediglich um eine Arbeit von einigen Monaten, nicht um eine Dauerstellung. Ich frage hiermit ergebenst bei Ihnen an, ob Sie zur Zeit frei und bereit sind, eine solche Arbeit zu übernehmen. Es handelt sich darum, dass verschiedene Sammlungsgegenstände, die sich für ein Heimatmuseum eignen, bis jetzt in Kisten und Kasten verpackt stehen und nunmehr in schöne lichte Räume des früheren Fürstlichen Schlosses untergebracht und dadurch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen.«5 Für Hanna Stirnemann bietet die Offerte aus Greiz eine großartige Chance: Das Stellenangebot gibt ihr die Möglichkeit, in ihre Heimatregion zurückzukehren, und mit der Einrichtung und Ausgestaltung eines ehemaligen Residenzschlosses zu einem modernen Museum ist sie durch ihre Arbeit in Oldenburg bestens vertraut. Abgesehen von der Klärung der Kündigungsfristen in Oldenburg stellt sie zunächst einige Rückfragen, bittet, ihr mitzuteilen, »welche Zeitspanne etwa für die dortigen Arbeiten in Betracht kommt, was an monatlicher Vergütung vorgesehen ist, welche Mittel für Einrichtungsmaterial und Schaugerät zur Verfügung stehen«, erkundigt sich nach dem Vorhandensein eines Sammlungsverzeichnisses und – offensichtlich aus der Erfahrung ihrer Arbeit im Oldenburger Schloss – danach, ob die betreffenden Räume während der Wintermonate ausreichend beheizt und beleuchtet werden können.6 Nachdem Stirnemann die entsprechenden Auskünfte (Mittel für die Neueinrichtung sind nicht festgelegt, Beheizung und Beleuchtung sind dürftig, eine Verzeichnis existiert nicht usw.) erhalten hat, berät sie sich mit Walter Müller-Wulckow und bittet, die befristete Projektstelle zum

40 1. April 1929 antreten zu dürfen.7 In der Zwischenzeit wird Müller-Wulckow um eine Einschätzung ihrer Leistungen gebeten: »Fräulein Dr. Stirnemann, die nunmehr seit anderthalb Jahren hier tätig ist, hat sich – was wir Museumsbeamte keineswegs bei allen von den Universitäten zu uns kommenden Kunsthistorikern feststellen können – in der Praxis aufs beste bewährt. Eine rege Einfühlungsfähigkeit und natürliche praktische Veranlagung macht sie vielen männlichen Kollegen gerade auch in dieser Beziehung überlegen, sodaß sie mit gefühlsmäßiger Sicherheit rasch zu positiven Arbeitsergebnissen kommt. Dabei fehlt ihr keineswegs die wissenschaftliche Gründlichkeit, die sie der vorzüglichen Schulung durch Professor Frankl in Halle verdankt. Der selbständigen Einrichtung eines Museums kommt ausserdem ihr sicherer Geschmack und gediegenes Qualitätsgefühl zustatten.«8 Ende Oktober 1928 erhält Stirnemann die Einstellungszusage, verbunden mit der Versicherung, im April 1929 mit der neuen Aufgabe beginnen zu können.9 Sie erhält eine Vergütung in Höhe der Reichsbesoldungsgruppe A2c (450,50 RM pro Monat).10 Ihre Berufung wird am 4. November 1928 in den Oldenburger Nachrichten bekannt gegeben,11 und wenig später meldet auch die Zeitschrift des Deutschen Museumsbundes: »Am 1. April 1929 ist die wiss. Hilfsarbeiterin Dr. H. Stirnemann zur Einrichtung des Museums nach Greiz berufen worden.«12 Stirnemann, die bereits am 5. April 1929 von Müller-Wulckow in Greiz besucht wird,13 erhält die Möglichkeit, in der ostthüringischen Residenzstadt aus den disparaten Sammlungen der ehemals im Unteren Schloss ansässigen Fürsten Reuß ältere Linie ein Museum einzurichten. »Das reussische Heimatmuseum besass nur einen kleinen magazinierten Grundstock«, beschreibt sie die vorgefundene Situation. »Etwa ²/₃ der Bestände wurden erst von mir ermittelt, gesammelt und für das Museum erworben. Die Schlossräume mussten nach eigenen Plänen für die Aufstellung der Bestände und dem Charakter des Museums entsprechend teilweise umgestaltet werden. Das Schaugerät wurde nach eigenen Angaben gefertigt.«14 Innerhalb von sieben Monaten gelingt es ihr, aus dem verlassenen Schloss und der eingelagerten Sammlung ein modernes Museum zu formen. In dieser Zeit überwacht und begleitet sie nicht nur die baulichen Veränderungen der Schlosssäle und entwickelt selbst die Gestaltung von Ausstellungsvitrinen, sondern katalogisiert und erweitertet die Sammlung grundlegend: »Die Museumsgegenstände lagen seit 7 Jahren im Heizungskeller einer Schule ohne Pflege u. ohne Sachverzeichnis. Im unteren Schloss hatte die Stadt von der Thüringer Regierung 12 Räume gemietet. Die Stadtverwaltung ließ mir völlig freie Hand in Bezug auf Planung und Einrichtung. Bauliche Veränderungen, Wandanstriche, Zeichnen des

1929: Einrichtung des Heimatmuseums Greiz 41 Hanna Stirnemann: Führer durch das Reußische Heimat-Museum der Stadt Greiz, Greiz 1929, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg Reußisches Heimatmuseum der Stadt Greiz, Weißer Saal mit Stadtgeschichte und Stadtmodell, 1929, Foto: Heinrich Fritz, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg, Nachlass Walter Müller-Wulckow

Hanna Stirnemann in Jena 1930–1935 Das Stadtmuseum Jena in der Weigelstraße, 1930, Fotografie, Stadtmuseum Jena

Nach dem erfolgreichen Aufbau des Museums in Greiz, der auch in Jena aufmerksam registriert worden war,1 hatte Paul Weber Hanna Stirnemann zum 15. November 1929 als seine Assistentin an das Stadtmuseum Jena geholt.2 Die thüringische Stadt zählte 1931 rund 59000 Einwohner und war damit in etwa so groß wie Oldenburg. Die im 16. Jahrhundert gegründete Universität, die optische Industrie, das Zeiss-Planetarium und die Glaswerke verhalfen der Wissenschaftsstadt zu wirtschaftlicher Prosperität. Für Stirnemann war es – nach den ehemaligen Residenzstädten Oldenburg und Greiz – ein Ort der Moderne und der kulturellen Vielfalt, war Jena doch ebenso der Sitz eines der ruhmreichsten Kunstvereine der Moderne. Auch das architektonische Wirken von Henry van de Velde, Walter Gropius und Ernst Neufert ist im Stadtbild, das zu dieser Zeit noch über eine unzerstörte, gewachsene Altstadt verfügte, sichtbarer Beleg des modernen Geistes. Das Stadtmuseum Jena war 1901 von dem Kunsthistoriker Paul Weber gegründet und 1903 eröffnet worden. Dass er Vertrauen in die fachlichen Fähigkeiten einer Frau besaß, war schon früher deutlich geworden: Von 1921 bis 1926 war bereits Gertrud Paul (1894–1933) als Assistentin am Stadtmuseum tätig gewesen.3 Stirnemann, die als Assistentin zunächst eine Vergütung von 200 RM im Monat für ihre Teilzeittätigkeit mit fünf Stunden pro Tag erhielt,4 stürzte sich auch hier in die Arbeit, erkundete die Sammlungen und unterstützte den Direktor in allen Belangen. Als Paul Weber am 28. Januar 1930 nach einer Operation überraschend verstarb, übernahm Stirnemann zunächst kommissarisch die Führung des Museums und bewarb sich im Februar 1930 offiziell auf die hauptamtliche Leitung. Der Oberbürgermeister von Jena, Alexander Elsner, hatte Stirnemann dafür bereits im Blick gehabt: »Es ist dabei daran gedacht, dass der Assistent gegebenenfalls in einigen Jahren die Leitung des Museums überhaupt übernehmen müsste, da Herr Professor Weber in Rücksicht auf sein Alter diese in absehbarer Zeit abzugeben gedenkt.«5 Elsner suchte jemanden, der »die toten Sammlungen [...] lebendig macht«. In ihrer Bewerbung gab sie fünf Personen als Referenzen an: ihren Doktorvater Paul Frankl, Walter Müller-Wulckow, den Vorsitzenden der Oldenburger Vereinigung für junge Kunst und Richter am Landgericht Oldenburg Ernst Beyersdorff, den Greizer Oberbürgermeister Erbe sowie den Justizrat Alfred Junge (Leiter des städtischen Heimatmuseums Weißenfels).6 Die entsprechenden Empfehlungen und Zeugnisse von Frankl, Müller-Wulckow und Erbe finden sich noch heute in ihrer Personalakte. Museumsdirektorin in Jena Müller-Wulckow, der mit ihr am längsten zusammengearbeitet hatte, hebt vier Bereiche hervor, in denen Stirnemann sich besonders bewiesen habe: die Verwaltung und Pflege der Sammlungsbestände, das ausgezeichnete Qualitätsgefühl bei der Vermehrung der Bestände, die »lebendige Nutzbarmachung des Museums für das Publikum« sowie ihren Einsatz für eine wirkungsvolle Ausstellungsgestaltung. Er schlussfolgert daher: »Da sich also die Eigenschaften des sorgsamen Verwaltungsbeamten, des geschickten Kaufmanns, des warmherzigen Lehrers wie regsamen Propagandisten und des schöpferischen Gestalters mit umfassenden kunstgeschichtlichen Kenntnissen vereinen, ausserdem – was für eine gedeihliche Auswirkung eines Museums besonders wichtig ist – ein lebendiges Verständnis für die Erfordernisse der Gegenwart sowie die Vertraut-

50 heit mit der Kunstproduktion der eigenen Zeit vorhanden sind und – last not least – die besten Charaktereigenschaften, so bin ich überzeugt, dass Frau Dr. Stirnemann den Wirkungsbereich in Jena [. . .] aufs beste ausfüllen wird.«7 Stirnemann selbst gibt im Lebenslauf an, sieben Monate »Stellvertretende Direktorialassistentin«8 gewesen zu sein. Ein Amt, das es formell zwar nicht gab und in das sie offiziell nicht berufen worden war, doch bildete die Formulierung vermutlich recht treffend die Einschätzung ihrer Tätigkeiten in Oldenburg ab. Am 1. April 1930 wird sie – nach einem Beschluss des Theater- und Museumsauschusses der Stadt Jena vom 10. März 1930 – mit 30 Jahren zur Museumsdirektorin berufen.9 Zunächst ist die Leitung auf ein Jahr befristet. Zusätzlich zum Haupthaus des Stadtmuseums übernimmt sie auch die Leitung des Siedelhofes.10 Das von Weber vor dem Abbruch gerettete Weinbauerngehöft – »ein gotischer Ständerbau mit romanischen Grundmauern und Renaissanceportal«11 – wird von ihr museal ausgebaut, und bereits Ende Juli 1930 veröffentlicht sie einen Führer hierzu.12 Unterstützt wird Stirnemann von einem kleinen Team, das – neben einer geringen Zahl an Aufsichtskräften – zu dieser Zeit lediglich aus zwei weiteren Personen besteht: dem im Museumsgebäude wohnenden Museumswart Hermann Harrass,13 der bereits seit 1925 für das Museum tätig ist,14 und der seit 1926 am Stadtmuseum tätigen Sekretärin Helene Marcus.15 Während Paul Weber lediglich einen Ehrensold von jährlich 2 000 RM erhalten hatte,16 bezieht Stirnemann als Direktorin – ausgestattet mit einem Privatvertrag – ein Jahresgehalt von etwa 4 880 RM, Helene Marcus von etwa 2045 RM, Harrass von etwa 2 730 RM.17 Der Siedelhof in Jena, ca. 1930, Fotografie, Stadtmuseum Jena

1930 – 1935: Hanna Stirnemann in Jena 51 Aufgrund von Sparmaßnahmen der Stadt wird Helene Marcus jedoch zum 31. Dezember 1931 entlassen.18 Welche Lücke die Sekretärin hinterließ, verdeutlicht deren Aufgabenrepertoire, das über längere Zeit von Stirnemann abgefangen werden muss: Neben der Korrespondenz (das Briefbuch verzeichnet 1926 noch 341 Positionen, 1929 bereits 1064, 1931/32 1500 Nummern)19 obliegen ihr die Akten- und Buchführung, die Inventarisierung der Neuzugänge, die Verwaltung der Bücherei, die Durchsicht der Zeitungen und Zeitschriften, die Durchsicht von Auktionskatalogen in Hinblick auf mögliche Erwerbungen, die Pflege des Fotoarchivs, die Erstellung von Beschriftungen und Plakaten, die Erteilung von Auskünften, die Bearbeitung des Leihverkehrs sowie bei Bedarf die Veranstaltung von Führungen durch das Museum.20 Das Maß an Selbstausbeutung, das für Stirnemanns frühe Berufsjahre in Jena kennzeichnend ist, wird nicht zuletzt an den Bemerkungen Wilhelm Wagenfelds deutlich, der dem Oldenburger Museumsdirektor im September 1930 aus Weimar berichtet: »hanna ist seit langer zeit in jena wie durch eine chinesische mauer von uns getrennt. sie wollte längst einmal kommen.«21 Nach Marcus’ Entlassung ist die Museumsleiterin mit dem Museumswart, für den sie aufgrund seines umfangreichen Aufgabenspektrums eine Höhergruppierung22 erreicht und dessen Frau das Museumsteam als Reinigungskraft unterstützt,23 weitestgehend auf sich gestellt. Ab 1934 erhält sie erneut Unterstützung durch eine Sekretärin. Offenbar erkennt die Stadtverwaltung damit an, dass die Entlastung dringend erforderlich ist: In der Planung für 1935 ist das Stundenkontingent der Büroangestellten mit 48 (statt bisher 30) Wochenstunden verzeichnet.24 Die kurzzeitige Unterstützung durch die Volontärin Irmgard Koska (1912–1945) im Jahr 1932 hat – soweit wir heute sehen können – keine nennenswerten Spuren hinterlassen.25 Stirnemann gelingt es stattdessen, den wesentlich älteren Kunsthistoriker Walter Thomae (1875–1949),26 ehemals wohl zeitweise Assistent von Paul Weber, in ihre Arbeit einzubeziehen. Er hält u. a. Vorträge im Museum. Auch der Förderverein des Museums, der bereits von Paul Weber gegründet worden war und 1931 163 Mitglieder zählt, unterstützt Stirnemanns Arbeit.27 Von der Ernennung Stirnemanns als hauptamtliche Museumsdirektorin berichtete als erstes Medium das Jenaer Volksblatt: »Der Jenaer Stadtrat wählte am Donnerstag abend die bisherige Mitarbeiterin des verstorbenen Professors Weber, Dr. Hanna Stirnemann, zur Leiterin des Stadtmuseums.«28 Nach kurzer Zeit wurde die Nachricht auch im gesamten Deutschen Reich verbreitet:29 »Eine Frau als Museumsdirektorin«, meldete die Zeitschrift des Bundes Deutscher Frauenvereine Die Frau im Mai 1930 die sozialgeschichtliche Sensation.30 Sowohl dem Bonner-General-Anzeiger, dem Münchner Illustrierten Sonntag als auch der Illustrierten Die Woche war die Nachricht eine Meldung mit Portraitfoto wert: »Zur Museumsdirektorin in Jena wurde Frl. Hanna Stirnemann ernannt. Sie ist die erste Frau, die in Deutschland einen solchen Posten bekleidet.«31 Auch in der Werkbund-Zeitschrift Die Form erschien unter der Rubrik »Von unseren Mitgliedern« am 1. Mai 1930 ein Hinweis auf Stirnemanns Berufung.32

Erzwungener Rückzug ins Private Hanna Hofmann, Hainichen, um 1944, Fotografie, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg 1935–1945

Das berufliche Ende am Stadtmuseum Jena kam für Hanna Hofmann-Stirnemann nicht unerwartet, doch bildete ihre Entlassung einen entscheidenden Einschnitt in ihrer Karriere. Zunächst planen Hanna und Otto Hofmann in Jena zu bleiben, »da hier der boden für unsere arbeit noch am besten ist und ein wirtschaftliches fundament bildet«, wie Otto Hofmann im April 1935 an Wassily Kandinsky nach Paris schreibt.1 Noch im Oktober 1935 kann Otto Hofmann sich an einer Ausstellung des Kunstvereins zum »Graphischen Schaffen der Gegenwart« beteiligen,2 die vom Städtischen Museum Erfurt zusammengestellt wurde und dort zuvor zu sehen war. Zum 1. Dezember 1935 geben Hanna und Otto Hofmann ihre Wohnung in Jena auf.3 Sie ziehen nach Berlin, wo das Paar hofft, neue Betätigungsfelder zu finden. Bis Ende 1937 wohnen sie in einer Dachgeschosswohnung in der Regensburger Str. 28 in Berlin-Wilmersdorf. »Uns geht es seelisch-geistig gut, wirtschaftlich schlecht, Grundstimmung ist zuversichtlich u. ich selber lerne immer mehr [. . .] dieses in der Luft hängen«, berichtet sie dem befreundeten Ehepaar Heide im Frühjahr 1936 aus Berlin: »Als der 15. 1. kam, dachte ich etwas wehmütig an das ausbleibende Gehalt. Dieses Jonglieren und Balancieren ist nicht ohne Spannungsmomente. Mit der Arbeitslosenunterstützung klappt es nämlich noch immer nicht. Ottos Bedürftigkeit muss erst geprüft werden, ferner die Vermögenslosigkeit von Urahne, Grossmutter, Mutter u. Kind. Das dauert natürlich lange. Also Autarkie. [...] Im Übrigen bin ich in erweitertem Sinne Hausfrau mit tägl. Kochen, Reinemachen, Aufwaschen, und habe trotz anfängl. Rückenschmerzen Spass daran. Am beglückendsten ist, dass der Mann von früh bis spät malt u. schöne Bilder entstehen [. . .]. Schön sind die Museumsgänge für nur 10 Pf. Eintritt mit Wiedersehen vieler schöner alter Meister. Der Kreis von Menschen mit dem wir zusammen sind, ist sehr lebendig u. unabhängig.«4 Für ihre »vielen Bewerbungsschreiben« lässt sich »Dr. Hanna Hofmann-­ Stirnemann« ein eigenes Briefpapier drucken.5 So versucht sie beispielsweise im Feuilleton des Berliner Tageblatts unterzukommen: »Neulich war ich bei dem Berliner Tageblattmann ([Erich] Pfeiffer-Belli), einem jungen, sehr gelassenen, etwas blasierten Gentleman, der sehr höflich war, durchaus nicht ablehnend aber grenzenlos undurchsichtig und unpersönlich. Ich liess bisher Geschriebenes dort u. warte nun auf meine ›Berufung‹«, teilt sie dem Ehepaar Heide mit.6 Gemeinsam werben Hanna und Otto Hofmann für Subskribenten für Otto Hofmanns Grafiken: Im April 1936 haben sie schließlich sechs Abonnenten gefunden, die für fünf Mark monatlich eine Druckgrafik abnehmen – und dem Ehepaar somit einen Großteil der Miete finanzieren. Otto Hofmann erteilt darüber hinaus Privatunterricht. Bereits im Vorjahr hatte er mit seinem ehemaligen Bauhaus-Kommilitonen Hans Thiemann, mit dem er sich gegen Ende der gemeinsamen Studienzeit in Dessau überworfen hatte,7 geplant, eine Malschule zu eröffnen. Thiemann, der nach der langen Kontaktlosigkeit zunächst unentschlossen war, bat Kandinsky um Rat. Dieser empfahl: »Selbst habe ich nur gute Erfahrungen mit ihm [Otto Hofmann] und habe nie etwas Negatives über ihn gehört. Er ist begabt und die Energie selbst. [...] Man könnte aber vielleicht eine spezielle ›Damen-Malschule‹ gründen [...]. Sonst ist eine

116 Kunstschule kein schlechtes und uninteressantes ›Geschäft‹. Ich glaube, Sie beide würden sich gut gegenseitig ergänzen [...]. Ich glaube auch, daß die beiden Hofmanns sehr geschickte ›Geschäftspartner‹ abgeben würden, was in solchem Fall nicht ohne Wichtigkeit ist.«8 Die Pläne einer gemeinsamen Malschule werden jedoch alsbald verworfen. Thiemann berichtet: »Aus der Malschule mit Hofmann, an der ich jetzt [. . .] teilnehmen würde, ist leider noch nichts geworden, und zwar hat Hofmann selbst den Plan fallen gelassen – wenigstens vorläufig. Wahrscheinlich hat er bei seiner Übersiedlung nach Berlin zuviele Pläne geschmiedet, und sicher wird er jetzt schon froh sein, wenn er nur die Hälfte davon verwirklichen kann. Auch hat er wohl viele seiner Rechnungen ohne die Reichskulturkammer gemacht, die über alle staatlichen und privaten Schulen strenge Aufsicht führt [...].«9 Auch wenn sich das Unternehmen zerschlägt, bleibt die freundschaftliche Verbindung zu Thiemann erhalten. Hanna Hofmann versucht sich darüber hinaus im Vertrieb von Keramiken Otto Lindigs: »Mein Lindig-Laden brachte auch einige Verkäufe u. etliche stehen noch bevor«.10 Zu den Abnehmern gehörte auch Karl Nierendorf, der »eine große Vase für seine Galerie« erwirbt. Die Galerie Nierendorf am Berliner Lützowufer zeigt noch im Februar 1937 Gemälde und Aquarelle Otto Hofmanns.11 Im März 1936 erleben Hanna und Otto Hofmann den Propagandaflug der zwei Zeppeline »Hindenburg« und »Graf Zeppelin« über Berlin, das im Jahr der Olympiade noch einmal ein weltoffenes Gesicht zu zeigen versucht: »Neulich sahen wir lange die 2 Zeppeline von unserem Dach aus. Ganz unwirklich u. abstrakt diese grosse[n] silbernen Tiere an einem blaugrünen Himmel über den Dächern Berlins.«12 In ihrem späteren Wiedergutmachungsantrag wird Hanna Hofmann-Stirnemann angeben, dass sie während der Jahre 1936 und 1937 kunstgeschichtliche Privatkurse »für einen kleinen Kreis jüdischer Freunde in Berlin« gab.13 Darüber hinaus ist sie publizistisch aktiv: In der seit 1934 im Verlag von Walter De Gruyter in Berlin erscheinenden Zeitschrift Geistige Arbeit. Zeitung aus der wissenschaftlichen Welt veröffentlicht sie vor allem Rezensionen, aber im April 1936 auch ihren Aufsatz »Das lebendige Museum«, mit dem sie sich – wie bereits in ihrer Jenaer Amtszeit – für moderne Museumsarbeit einsetzt: Das Museum habe nicht ein Ort von »ollen Klamotten« zu sein, sondern einer, der Besucherinnen und Besucher zum aktiven Schauen und Entdecken anregt. Einen zentralen Aspekt sieht Hofmann-Stirnemann in der Frage angemessener Beschriftungen, wobei ihre Überlegungen nach wie vor aktuell wirken: »Ein Zuviel enthebt den Beschauer zu sehr der eigenen Leistung oder lenkt ihn dergestalt ab, daß er länger liest als anschaut, ein Zuwenig, was aus ästhetischen Gründen lange propagiert wurde, erschließt manches nicht, was aufschlussreich und hilfreich wäre.«14 Nach der Eröffnung der Ausstellung »Entartete Kunst« im Juli 1937 in München und dem Beginn der gleichnamigen Beschlagnahmeaktion moderner Kunst in deutschen Museen, der auch Otto Hofmanns Zeichnung »Abendflug zie-

1935 – 1945: Erzwungener Rückzug ins Private 117 Otto Lindig (Keramik) und Otto Hofmann (Bemalung und Dekor), Teller mit stilisierter Landschaft, 1935, Ton, dunkelbraune Engobe, Glasur in gesprenkeltem Weißgrau, 3,2 cm (Höhe) × 14,8 cm (Durchmesser), Geschenk von Herbert Kunze 1964, Angermuseum Erfurt Otto Lindig (Keramik) und Otto Hofmann (Bemalung und Dekor), Teller mit stilisierten Blumen, 1935, Ton, dunkelbraune Engobe, ca. 15 cm (Durchmesser), Privatbesitz hender Vögel« aus der Sammlung des Städtischen Museums Erfurt zum Opfer fällt, bemüht sich das Ehepaar Hofmann-Stirnemann im September des Jahres um ein Visum für Frankreich. In Neuilly-sur-Seine bei Paris planen sie, Nina und Wassily Kandinsky zu besuchen, der sich beim französischen Konsulat für das Paar einsetzt.15 Aufgrund »unserer Mittellosigkeit [misslang] eine Emigration«, erinnert Hofmann-Stirnemann später.16 Durch ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus geraten Hanna und Otto Hofmann unter Beobachtung: »alle Versuche, ein neues Arbeitsverhältnis zu bekommen, scheiterten, sodass wir wegen erneuter politischer Verdächtigung durch den Blockwart unseres Wohnviertels u. aus wirtschaftlichen Gründen Ende 1937 unseren Wohnsitz in Berlin aufgaben [...].«17

118 Hofmann-Stirnemann und ihr Mann ziehen daraufhin erneut in die Nähe ihrer Heimat, nach Hainichen bei Dornburg an der Saale. In dem kleinen, abgelegenen Dorf, 14 Kilometer von Jena entfernt, gab es »keine Ortsgruppe der NSDAP«,18 erinnert Hanna Hofmann später. Hier können ihr Mann und sie untertauchen. An ihre erste Zeit in Hainichen erinnert sie sich: Wir lebten »in einem kleinen Dorf in Thüringen, das nur 115 Einwohner zählte. Es liegt auf einer Hochebene und lehnt sich an einen schönen Bauernwald, in dem jetzt im Frühling ein Teppich von gelben Primeln, Anemonen und Märzenbechern blüht [...]. Unser Haus war Ende des 17. Jahrhunderts als Gemeindeschenke gebaut worden [...]. Unser Einzug bedeutete für das Dorf ein spannungsvolles Ereignis. Da wir auf Befragen nach unserm Beruf zunächst noch ungesprächig angegeben hatten, dass wir zu Hause arbeiteten, erregten wir ihr Misstrauen. [...] Unsere grosse Bibliothek brachte uns in den für bäuerliches Denken besten Ruf, sehr reich zu sein, weil man doch etwas so Überflüssiges nur besitzen könne, wenn man alles andere schon habe.«19 Hanna Hofmann-Stirnemann: Der Grand Prix für Otto Lindig in Dornburg a. d. S., in: Jenaische Zeitung v. 10. Dezember 1937

1935 – 1945: Erzwungener Rückzug ins Private 119 Von Hainichen aus arbeitet das Ehepaar mit dem befreundete Keramiker Otto Lindig zusammen, der nach wie vor im lediglich vier Kilometer entfernten Dornburg ansässig ist. Otto Hofmann bemalt und dekoriert von Lindig gestaltete Teller, Krüge und Fliesen. Vor allem die mit Ritzdekor verzierten Fliesen waren leicht herzustellen und konnten in größeren Mengen gewinnbringend verkauft werden: »Eine Hilfe für alle damals«, wie Lindig erinnert.20 Nachdem der Keramiker für seine große Vase von 1936/37 auf der Pariser Weltausstellung von 1937 mit dem Grand Prix ausgezeichnet worden war, publizierte Hofmann-Stirnemann im Dezember des Jahres einen Bericht über einen Werkstattbesuch bei Otto Lindig in der Jenaischen Zeitung: »Ein spannungsvolles Ereignis bedeutet von Mal zu Mal das Öffnen des vermauerten Brennofens, dicht angefüllt mit der gebrannten Ware, nun im leuchtenden Glanze der Glasuren: metallisches Schwarz und Goldbraun, Mandelgrün vom Scherben rötlich durchschimmert, stumpfes Taubenblau, sahniges Weiß und seidig glänzendes Graurot. Wunderbare Zufallswirkungen bringt oftmals eine Unregelmäßigkeit im Brennprozess hervor, wenn die Glasur ›unvorschriftsmäßig‹ zusammenläuft oder stärker verbrennt, wenn durch das Übergießen der Glasur zuweilen die Farben sich wölken wie ein Stück abendlichen Himmels. Ein solches, fertiges Gefäß behutsam in die Hand zu nehmen Hanna Hofmann mit ihren Tieren, Hainichen, um 1940, Fotografie, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg

Beruflicher Neubeginn Landesmuseumspflegerin von Thüringen und Direktorin des Schlossmuseums Rudolstadt Die Heidecksburg in Rudolstadt, Postkarte, ca. 1957, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg 1945–1950

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird Hanna Hofmann-Stirnemann rehabilitiert.1 »Unbelastet« vom Nationalsozialismus wird die ungewöhnliche »Frau Doktor« im August 1945, nach dem Rückzug der US-Truppen und der Übergabe Thüringens an die Rote Armee, durch den Landrat des Kreises Stadtroda zur Bürgermeisterin von Hainichen berufen.2 Im Februar 1946 wird sie Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), die unter dem Druck der sowjetischen Besatzungsmacht im April 1946 mit der Kommunistischen Partei (KPD) zur Sozialistischen Einheitspartei (SED) zwangsfusioniert wird. In diesem Frühjahr gelingt Hanna Hofmann-Stirnemann noch einmal die Rückkehr in ihren Beruf: Nachdem sie sich – offenbar ohne Erfolg – im Januar 1946 um die Leitung des Herzoglichen Museums in Gotha beworben hatte,3 wird sie am 1. April 1946 zur Direktorin des Schlossmuseums Rudolstadt und Landesmuseumspflegerin von Thüringen ernannt. Landesmuseumspflegerin In der Funktion der Museumspflegerin ist Hofmann-Stirnemann für die Beratung von 102 Museen Thüringens zuständig und bereist von Mai bis November 1946 eine Vielzahl an Einrichtungen, um zunächst zu erkunden, welche Museen es noch gibt, wer ihre Leiter sind und über welche politische Vergangenheit diese verfügen. Zerstörungen der Museumsgebäude, zerstörte oder verschleppte Bestände: Die Probleme sind vielseitig und umfangreich. Mit Bahn und Auto besucht sie u. a. Altenburg, Apolda, Bad Liebenstein, Camburg, Eisenach, Gera, Gotha, Greußen, Schmalkalden, Weimar und Weida sowie ihre ehemaligen Wirkungsstätten in Greiz und Jena. In ihrem ausführlichen »Bericht über die Museumsarbeit des Landes Thüringen seit 1945« schreibt sie: »Mit den Bürgermeistern (z. T. Neubürgern) wurde über die Aufgaben und Ziele des betreffenden Museums gesprochen, seine Bedeutung für die demokratische Umerziehung und für eine lebensnahe Heimatkunde. [...] Bei diesen Besuchen war es häufig notwendig bei den örtlichen Instanzen mit gewissen nicht unberechtigten Vorurteilen aufzuräumen, die sich aus der Darbietung der Museen als Antiquitätenkabinetten, um nicht zu sagen Rumpelkammern, herausgebildet hatten. [...] Bei dieser ersten Überprüfung mußten die kleinen Museen auch vielfach noch von militaristischen und nazistischen Beständen gereinigt werden, die trotz vorausgegangener schriftlicher Aufforderung noch darin verblieben waren [...]. Eine Reihe von Museen, die als solche gemeldet waren, konnten nach dieser Besichtigung nicht mehr als Museen geführt werden wegen der Geringfügigkeit und Bedeutungslosigkeit ihrer Bestände, die mehr zufällig da zusammengekommen waren und keine sinnvolle Abfolge oder auch nur eine für den Ort bemerkenswerte Abteilung ergeben hätten. [...] Bei einer Reihe von Museen wurde die Anregung gegeben, die Abteilungen, die für den betr. Ort besonders charakteristisch sind, noch sinnfälliger und anschaulicher darzustellen und aufzubauen [...].

126 Manche Heimatmuseen wiederum, die durch Zufall ein Vermächtnis oder durch falsch geleiteten Sammeleifer Bestände besitzen, die dort ortsfremd oder beziehungslos sind, im Bestand eines größeren Museums (vor allem eines Zentralmuseums) jedoch eine wichtige Ergänzung bilden würden, wurden zu der Einsicht gebracht, diese Bestände abzugeben. (Das ist nicht immer leicht, weil Kirchturmpolitik, Mißtrauen der örtlichen Stellen gegen Zentralisierungsabsichten usw. oft sehr groß sind).«4 Unter den Bedingungen von Materialmangel, »Kälte und Stromsperren«, Einbrüchen »und ›Entnahmen‹ von Museumsgut durch die Besatzungstruppen«5 berät sie ihre Kolleginnen und Kollegen zu Möglichkeiten der Aktualisierung der Präsentation und Verbesserung der Aufbewahrung der Bestände. Vor allem den kleineren Häusern gibt sie auch ein Schema zur Inventarisierung der Sammlungen an die Hand. Eine Besonderheit stellt die Bodenreform dar, durch die einst in fürstlichem Besitz befindliche Schlösser zu öffentlichen Museen und Kulturstätten werden.6 Manch drängende Themen kann auch Hofmann-Stirnemann nur ins Ministerium ›mitnehmen‹, wie den Hinweis auf den Mangel an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zur Lösung empfiehlt sie u. a., Kunstgeschichtsstudierende zur Katalogisierung von bislang nicht erfassten Beständen einzusetzen. Als erfahrene Museumsfrau konstatiert sie: »Auch eine das Auge führende Beschriftung wurde besprochen. Diese Hilfsstellung ist unerläßlich, da auch hier die ehrenamtlichen Leiter mehr heimatforschend oder kulturpolitisch interessiert und nur zum kleinen Teil künstlerisch begabt sind, jedoch eine museumstechnisch moderne Darbietung die Dinge erst optisch wirksam macht, damit sie im wörtlichen und übertragenen Sinne der Anschauung dienen.« Hanna und Otto Hofmann im Innenhof der Heidecksburg, um 1948, Fotografie, Thüringer Landesmuseum Heidecksburg

1935 – 1945: Erzwungener Rückzug ins Private 127 Ist ein Museum eröffnungsbereit und von Hofmann-Stirnemann und ihren Kollegen überprüft, kann bei der Sowjetischen Militäradministration (SMA) ein Antrag auf (Wieder-)Eröffnung gestellt werden. Sofern keine Einwände bestehen, wird die Eröffnung von der Abteilung Volksbildung der Militäradministration angeordnet. Zum Teil kommt es dabei – wie Hofmann-Stirnemann berichtet – zu mehrmonatigen Wartezeiten: Von den einst 102 Museen in Thüringen werden, in ihrer Amtszeit, bis 1949 rund 60 wiedereröffnet. Aufgrund ihres besonderen Engagements und ihrer außerordentlichen Leistungen wird Hofmann-Stirnemann vom thüringischen Volksbildungsministerium zum 1. September 1948 die ehrenamtliche Leitung des Museumsreferats übertragen.7 Noch im selben Jahr begrüßt sie in dieser Funktion die Teilnehmer des von der Deutschen Verwaltung für Volksbildung in der Sowjetischen Besatzungszone durchgeführten Museumsleiterseminars, das vom 19. bis 24. September in Jena stattfindet. Theo R. Pianas Bericht über die Tagung ist voller Aufbruchspathos und knüpft an die Utopien der Museumsreformbewegung und die Avantgardekonzepte der Zwanziger Jahre an: »Den einzelnen Museumsleitern wird empfohlen, sich angesichts der immer noch schwierigen Arbeitsverhältnisse zu einem Block zusammenzuschließen, der, wenn nötig, Kritik an den Ministerien und an der Verwaltung für Volksbildung üben soll«, heißt es in der Vorstellung der Ergebnisse, die durch Fotografien der modernistischen Museumsinterieurs des Kölner Kunstgewerbemuseums und des Museums Folkwang aus der Weimarer Republik Hanna und Otto Hofmann im Innenhof der Heidecksburg, um 1948, Fotografie, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg

128 illustriert ist, um die Diskrepanz zwischen der angestrebten Modernisierung und der Realität deutlich zu machen. Die Realität beschreibt Piana allerdings in düsteren Farben: »Überaltertes Personal, fehlender Nachwuchs, Mangel an jeglichem Material, an Glas, Baustoffen, Holz, Nägeln, Farbe, Pappe, scheint auf den ersten Blick ein unlösbares Problem; aber über allem steht die Forderung nach einer durchgreifenden Reform. [...] Die Museen sind keine Orte für gemütliche Bastelstunden oder Experimente einzelner weltfremder Träumer. [. . .] Allen kulturpolitisch verantwortungsbewußten Persönlichkeiten und Organisationen [...] muß jetzt zum Bewußtsein kommen, daß von ihrer Initiative und Tatkraft die Zukunft einiger unserer hervorragendsten und nach der Zerstörung wertvoller Kulturdenkmäler noch wichtiger gewordenen Bildungsstätten abhängt.«8 Im Januar 1949 lädt Hanna Hofmann-Stirnemann zu einer weiteren Museumleitertagung nach Weimar ein. Nach dem Tod des Germanisten und Archivdirektors Hans Wahl im Februar 1949 übernimmt sie vom März bis Mai des Jahres zudem die interimistische Leitung des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar.9 Auch hier macht sie sich sofort mit den neuen Aufgaben vertraut und übernimmt die Beantwortung zahlreicher Benutzeranfragen.10 So reagiert sie auf eine Anfrage aus Erfurt im April des »Goethe-Jahrs« 1949 hilfsbereit: »Nachstehend geben wir Ihnen folgende Literatur zu Ihrem Vortrag über ›Goethe als Jurist‹ bekannt [...].«11 Wie in Jena greift Hofmann-Stirnemann auch in Weimar das Thema Bestandsschutz auf und entwickelt in Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei Leitlinien, um die Sicherheit der Archivschätze zu verbessern.12 Aufgrund des »ständigen Eingreifen[s] der Besatzungsmacht und [der] Verständnislosigkeit der zuständigen Stellen des Volksbildungsministeriums«13 legt sie das Amt der Museumspflegerin für Thüringen und Leiterin des Museumsreferats jedoch bereits Ende August 1949 nieder, um sich ganz auf ihre Arbeit in Rudolstadt zu konzentrieren. Auch das Ausbleiben einer angemessenen Vergütung mag dabei eine Rolle gespielt haben: »In den anderen Ländern der Zone sind für diese Aufgabenbereiche 3 bezahlte Stellen vorhanden (Museumsleiter, Landesmuseumspfleger, Referent)«, hatte sie gegenüber dem Ministerium für Volksbildung im Mai 1949 argumentiert, »und ich bin grundsätzlich der Auffassung, daß in meinem Falle die Vergütung nicht der geleisteten Arbeit entspricht und damit auch nicht im Einklang steht mit der Verordnung der DWK [Deutsche Wirtschaftskommission] zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der schaffenden Intelligenz.«14 Museumsdirektorin in Rudolstadt Als Direktorin des Schlossmuseums auf der Heidecksburg kann sie an ihre Vorkriegstätigkeit in Jena anknüpfen. Aus dem ehemals fürstlichen Schloss entwickelt sie ein kunst- und kulturgeschichtliches Museum in historischen Schlossräumen, erweitert die Sammlungen, führt Ausstellungen und Veranstaltungen durch und richtet die Räume neu ein: »So ließ ich in Rudolstadt trotz großer Materialschwierigkeiten vier Räume für solche monatlich wechselnden

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1