Leseprobe

40 1. April 1929 antreten zu dürfen.7 In der Zwischenzeit wird Müller-Wulckow um eine Einschätzung ihrer Leistungen gebeten: »Fräulein Dr. Stirnemann, die nunmehr seit anderthalb Jahren hier tätig ist, hat sich – was wir Museumsbeamte keineswegs bei allen von den Universitäten zu uns kommenden Kunsthistorikern feststellen können – in der Praxis aufs beste bewährt. Eine rege Einfühlungsfähigkeit und natürliche praktische Veranlagung macht sie vielen männlichen Kollegen gerade auch in dieser Beziehung überlegen, sodaß sie mit gefühlsmäßiger Sicherheit rasch zu positiven Arbeitsergebnissen kommt. Dabei fehlt ihr keineswegs die wissenschaftliche Gründlichkeit, die sie der vorzüglichen Schulung durch Professor Frankl in Halle verdankt. Der selbständigen Einrichtung eines Museums kommt ausserdem ihr sicherer Geschmack und gediegenes Qualitätsgefühl zustatten.«8 Ende Oktober 1928 erhält Stirnemann die Einstellungszusage, verbunden mit der Versicherung, im April 1929 mit der neuen Aufgabe beginnen zu können.9 Sie erhält eine Vergütung in Höhe der Reichsbesoldungsgruppe A2c (450,50 RM pro Monat).10 Ihre Berufung wird am 4. November 1928 in den Oldenburger Nachrichten bekannt gegeben,11 und wenig später meldet auch die Zeitschrift des Deutschen Museumsbundes: »Am 1. April 1929 ist die wiss. Hilfsarbeiterin Dr. H. Stirnemann zur Einrichtung des Museums nach Greiz berufen worden.«12 Stirnemann, die bereits am 5. April 1929 von Müller-Wulckow in Greiz besucht wird,13 erhält die Möglichkeit, in der ostthüringischen Residenzstadt aus den disparaten Sammlungen der ehemals im Unteren Schloss ansässigen Fürsten Reuß ältere Linie ein Museum einzurichten. »Das reussische Heimatmuseum besass nur einen kleinen magazinierten Grundstock«, beschreibt sie die vorgefundene Situation. »Etwa ²/₃ der Bestände wurden erst von mir ermittelt, gesammelt und für das Museum erworben. Die Schlossräume mussten nach eigenen Plänen für die Aufstellung der Bestände und dem Charakter des Museums entsprechend teilweise umgestaltet werden. Das Schaugerät wurde nach eigenen Angaben gefertigt.«14 Innerhalb von sieben Monaten gelingt es ihr, aus dem verlassenen Schloss und der eingelagerten Sammlung ein modernes Museum zu formen. In dieser Zeit überwacht und begleitet sie nicht nur die baulichen Veränderungen der Schlosssäle und entwickelt selbst die Gestaltung von Ausstellungsvitrinen, sondern katalogisiert und erweitertet die Sammlung grundlegend: »Die Museumsgegenstände lagen seit 7 Jahren im Heizungskeller einer Schule ohne Pflege u. ohne Sachverzeichnis. Im unteren Schloss hatte die Stadt von der Thüringer Regierung 12 Räume gemietet. Die Stadtverwaltung ließ mir völlig freie Hand in Bezug auf Planung und Einrichtung. Bauliche Veränderungen, Wandanstriche, Zeichnen des

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