Nach dem erfolgreichen Aufbau des Museums in Greiz, der auch in Jena aufmerksam registriert worden war,1 hatte Paul Weber Hanna Stirnemann zum 15. November 1929 als seine Assistentin an das Stadtmuseum Jena geholt.2 Die thüringische Stadt zählte 1931 rund 59000 Einwohner und war damit in etwa so groß wie Oldenburg. Die im 16. Jahrhundert gegründete Universität, die optische Industrie, das Zeiss-Planetarium und die Glaswerke verhalfen der Wissenschaftsstadt zu wirtschaftlicher Prosperität. Für Stirnemann war es – nach den ehemaligen Residenzstädten Oldenburg und Greiz – ein Ort der Moderne und der kulturellen Vielfalt, war Jena doch ebenso der Sitz eines der ruhmreichsten Kunstvereine der Moderne. Auch das architektonische Wirken von Henry van de Velde, Walter Gropius und Ernst Neufert ist im Stadtbild, das zu dieser Zeit noch über eine unzerstörte, gewachsene Altstadt verfügte, sichtbarer Beleg des modernen Geistes. Das Stadtmuseum Jena war 1901 von dem Kunsthistoriker Paul Weber gegründet und 1903 eröffnet worden. Dass er Vertrauen in die fachlichen Fähigkeiten einer Frau besaß, war schon früher deutlich geworden: Von 1921 bis 1926 war bereits Gertrud Paul (1894–1933) als Assistentin am Stadtmuseum tätig gewesen.3 Stirnemann, die als Assistentin zunächst eine Vergütung von 200 RM im Monat für ihre Teilzeittätigkeit mit fünf Stunden pro Tag erhielt,4 stürzte sich auch hier in die Arbeit, erkundete die Sammlungen und unterstützte den Direktor in allen Belangen. Als Paul Weber am 28. Januar 1930 nach einer Operation überraschend verstarb, übernahm Stirnemann zunächst kommissarisch die Führung des Museums und bewarb sich im Februar 1930 offiziell auf die hauptamtliche Leitung. Der Oberbürgermeister von Jena, Alexander Elsner, hatte Stirnemann dafür bereits im Blick gehabt: »Es ist dabei daran gedacht, dass der Assistent gegebenenfalls in einigen Jahren die Leitung des Museums überhaupt übernehmen müsste, da Herr Professor Weber in Rücksicht auf sein Alter diese in absehbarer Zeit abzugeben gedenkt.«5 Elsner suchte jemanden, der »die toten Sammlungen [...] lebendig macht«. In ihrer Bewerbung gab sie fünf Personen als Referenzen an: ihren Doktorvater Paul Frankl, Walter Müller-Wulckow, den Vorsitzenden der Oldenburger Vereinigung für junge Kunst und Richter am Landgericht Oldenburg Ernst Beyersdorff, den Greizer Oberbürgermeister Erbe sowie den Justizrat Alfred Junge (Leiter des städtischen Heimatmuseums Weißenfels).6 Die entsprechenden Empfehlungen und Zeugnisse von Frankl, Müller-Wulckow und Erbe finden sich noch heute in ihrer Personalakte. Museumsdirektorin in Jena Müller-Wulckow, der mit ihr am längsten zusammengearbeitet hatte, hebt vier Bereiche hervor, in denen Stirnemann sich besonders bewiesen habe: die Verwaltung und Pflege der Sammlungsbestände, das ausgezeichnete Qualitätsgefühl bei der Vermehrung der Bestände, die »lebendige Nutzbarmachung des Museums für das Publikum« sowie ihren Einsatz für eine wirkungsvolle Ausstellungsgestaltung. Er schlussfolgert daher: »Da sich also die Eigenschaften des sorgsamen Verwaltungsbeamten, des geschickten Kaufmanns, des warmherzigen Lehrers wie regsamen Propagandisten und des schöpferischen Gestalters mit umfassenden kunstgeschichtlichen Kenntnissen vereinen, ausserdem – was für eine gedeihliche Auswirkung eines Museums besonders wichtig ist – ein lebendiges Verständnis für die Erfordernisse der Gegenwart sowie die Vertraut-
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