Leseprobe

18 | Ulrike Weinhold | Theresa Witting Die überwiegende Mehrzahl dieser punktpunzierten Gewichtsangaben muss im Zuge der von August dem Starken betriebenen Einrichtung des Grünen Gewölbes zum Schatzkunstmuseum in den frühen 20er Jahren des 18. Jahrhunderts an den Objekten angebracht worden sein, oft auch auf in den Fuß der Gefäße eingesetzten Silberplatten. Die jeweils daneben einpunzierte Nummer bezieht sich auf den entsprechenden Objekteintrag, etwa im Silberinventar 1723 oder im Pretioseninventar von 1725 (Abb. 2). Zusätzlich zu diesen Markierungen finden sich an einigen Goldschmiedearbeiten eingeschlagene Nummern, deren Bezug trotz intensiver Recherchen nicht restlos geklärt werden konnte. Es handelt sich dabei um Einschläge einzelner Punzen der Ziffern 0 bis 9, die in Kombination ein- bis dreistellige Zahlen ergeben (Abb. 3).1 Insgesamt 33 der im Katalog bearbeiteten Objekte weisen derartige Kennzeichnungen auf, die von den Nummern 1 und 2 (Kat.-Nr. 14) bis zur 760 (Kat.-Nr. 71) reichen. Fast ausnahmslos2 handelt es sich dabei um Stücke mit exotischen Naturalien oder Steinen. Da in zwei Fällen – bei der mit der Zahl 503 bezeichneten Perlmutterflasche (Kat.-Nr. 163) und der mit 545 bezeichneten Seychellennusskanne (Kat.-Nr. 186) – eben jene Nummern im Inventar der Kunstkammer von 1640 beschrieben sind (»unten am Fuße die zahl 503 geschlagen« bzw. »einen silbernen fuß an deßelben seite, die zahl 545 gesenckt«), muss das Markierungssystem zuvor eingeführt worden sein.3 Es liegt nahe, dass es in späterer Zeit nicht mehr in Gebrauch war, da sich die eingeschlagenen Nummern auf keinem nach 1640 entstandenen Objekt finden.4 Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch zwei gleichermaßen gekennzeichnete, nicht im Grünen Gewölbe befindliche Goldschmiedearbeiten: eine 1609 entstandene Taufgarnitur (mit der Nummer 98) aus der ehemaligen Sophienkirche (Abb. 4)5 sowie eine große Deckelkanne (mit der Nummer 529), die vermutlich als Geschenk Kurfürst Johann Georgs II. von Sachsen in den Besitz der böhmischen Grafen Clary und Aldringen nach Teplitz/Teplice, dem bevorzugten Badeort der Wettiner, gelangte.6 Auch wenn die mit dem Nummernsystem in Bezug stehenden konkreten Quellen (Listen, Verzeichnisse oder Inventare) bislang nicht ausfindig gemacht werden konnten, so bleibt zu vermuten, dass die Markierungen möglicherweise von der Rentkammer veranlasst bzw. angebracht wurden, der ältesten und wichtigsten Finanzbehörde des sächsischen Hofes, welche die landesherrlichen Eigeneinkünfte verwaltete. Ein Inventar aus dem Jahr 16107 umfasst sehr unterschiedliche Objekte: Münzproben, Edelmetall, Schmuck, Bruchsilber, Trinkgefäße, Lavabos, Tischtücher,8 Bestecke und Tafelsilber – dieses mit Nummern (offenbar der Silberkammer) versehen –, aber auch Schlüssel sowie Urkunden. Eine kleine Gruppe von fünf Trinkgeschirren, darunter die beiden Greifen (Kat.-Nr. 106), wird mit der Bemerkung aufgeführt, sie sei von Christian II. zu Fastnacht 1609 in die Kammer gegeben worden.9 Ein weiteres umfangreiches Konvolut von Trinkgeschirren war, so der Vermerk, 1607 aus dem Lusthaus auf dem Sonnenstein zu Pirna in die Rentkammer gelangt (siehe auch S. 24 f.).10 Ebenfalls verzeichnet ist silbervergoldetes Trinkgeschirr aus dem Besitz der 1585 verstorbenen Kurfürstin Anna.11 Einige Einträge wurden mit dem Kommentar »nicht vorhanden« versehen. Vermerke wie »gehört der Silber Cammer«,12 »ist auf den Stall kommen«13 oder »ist auf die Kunstcammer gegeben«14 lassen vermuten, dass die Rentkammer, die im Residenzschloss in unmittelbarer Nachbarschaft der Silberkammer untergebracht war,15 eine Art Schaltstelle war, die Ein- und Ausgänge verwaltete bzw. Objektbewegungen überwachte und koordinierte. 1 Die Einschläge weisen Unterschiede auf, vermutlich, da einzelne Punzen im Laufe der Zeit ersetzt wurden. 2 Ausnahmen bilden Kat.-Nrn. 3 und 14. 3 Inventar Kunstkammer 1640, fol. 112 r, 135 v. 4 Der erst 1668 in stark beschädigtem Zustand angekaufte Jaspispokal (Kat.-Nr. 80) erhielt vermutlich eine aus Teilen älterer Werke generierte neue Silbermontierung, was die Erklärung sein könnte für die am Fuß eingeschlagene Nummer 501. 5 Heute ist das Lavabo Teil der Dauerausstellung Kunstkammer. Weltsicht und Wissen um 1600 im Dresdner Residenzschloss. 6 Wohl Sachsen, 2. Viertel 16. Jh. Im Jahr 2008 befand sich die Kanne im Bremer Kunsthandel. Eine Untersuchung zur Provenienz des Objekts von Ernst-Ludwig Richter, Freudental, vom 21. 12. 2009 liegt vor (AGG). 7 Inventar Rentkammer 1610. 8 Ebd., fol. 4 r: »Drasuer Quelen«. 9 Ebd., fol. 9 v. 10 Ebd., fol. 10 r – 10 v (21 Positionen). 11 Ebd., fol. 6 r, die Bemerkung ergänzt: »bleiben in der Cammer«. 12 Ebd., fol. 9 r. 13 Ebd., fol. 3 v, betrifft ein Hundehalsband. 14 Ebd., fol. 5 r (»ein zerbrochen Pusikan«). 15 Residenzschloss Dresden 2019, S. 148, 578, Nr. EG/32. Abb. 3 Eingeschlagene Nummern auf drei Objekten (Kat.-Nrn. 47, 92, 163)

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