Goldschmiedekunst im Grünen Gewölbe | Entwicklungslinien der Sammlung | 21 chen, der Kunst- und Schatzkammer zugeordneten Kunstsammlungen.24 Dies markiert den Anfang der Hofsilberkammer im engeren Sinn, deren reiche Bestände an Speisegeschirr und Trinkgefäßen für den Gebrauch an der kurfürstlichen Tafel in Dresden bestimmt waren, aber auch auf Reisen mitgeführt werden konnten. Benannt nach ihren wertvollsten Objekten, dem Silbergeschirr, das in Notzeiten vermünzt werden konnte, umfasste diese wichtige Institution zudem Zinngefäße, Tischwäsche aus Leinen und später Porzellan.25 Das Inventar der Silberkammer von 1581 bis 1586 erlaubt auf Basis der dort angegebenen exakten Gewichtsangaben erstmals, einzelne Positionen mit im Grünen Gewölbe erhaltenen Objekten zu identifizieren: ein als Taufgarnitur dienendes Lavabo mit Perlmutter (Kat.-Nr. 168), ein Nautiluspokal (Kat.-Nr. 20), zwei Kokosnusspokale (Kat.-Nrn. 54, 55), ein Paar Salzgefäße mit Koralle (Kat.-Nr. 219) sowie recht sicher auch der Natternbaum (Kat.-Nr. 243) und ein Paar Bergkristallleuchter (Kat.-Nr. 244). Bis auf die Leuchter wurden sie alle nach dem Tod Christians II. 1611 durch die Rentkammer aufgelistet und später in die Kunstkammer transferiert, wo sie sich im Inventar von 1640 wiederfinden. Bei einigen Objekten vermerkt das Silberkammerinventar von 1581 bis 1586 einen anderen Standort (»ist in V. gnst. Herren Gemach«26) – das heißt, dass diese vorübergehend zum Gebrauch, vermutlich in das kurfürstliche Schlafgemach, entnommen worden waren. Dasselbe gilt wohl für ein Trinkgefäß in Gestalt eines Fasses, das 1610 in der sogenannten Probierstube (auch Probierhaus oder Goldhaus) verwendet wurde (siehe Kat.-Nr. 88).27 Weitere Silbergefäße befanden sich in der Hofkellerei, einem selbstständigen Bereich der Hofwirtschaft im Erd- und Untergeschoss der Nordostecke des Schlosses, in dem die Weinvorräte sowie gläserne Trinkgefäße aufbewahrt wurden.28 Sie verfügte über eigenes Silber, das sich entweder in den Diensträumen des Kellereipersonals oder direkt im Keller bei den Wein- und Biervorräten befand. Nur ein einziges im vorliegenden Katalog bearbeitetes Objekt lässt sich in einem Verzeichnis der Hofkellerei von 1611 nachweisen (Kat.-Nr. 163). Die Kurfürstlichen Gemächer im Stallhof Kurfürst Christian I. (siehe auch Kat.-Nr. 233), der nach dem Tod seines Vaters 1586 von diesem die Regierungsgeschäfte übernahm, prägte in seiner kurzen Amtszeit bis 1591 insbesondere mit dem Ausbau des Stallhofs und des Neuen Stalls die fürstliche Repräsentation des Dresdner Hofs – ein Projekt, das seine Spuren auch im Bestand der Goldschmiedewerke hinterlassen hat. Der durch einen langen Flügel mit dem Residenzschloss verbundene Komplex, der die Pferdestallungen und die Sammlungen der Rüstkammer aufnahm, umschloss den als Schauplatz für große Reitturniere dienenden Platz.29 Seinen Kern bildeten die Kurfürstlichen Gemächer, die, wie auch der Augsburger Patrizier Philipp Hainhofer in seinen Reiseberichten ausführt, wichtige repräsentative Funktionen erfüllten.30 In ihnen befanden sich zwei als künstliche Bergstufen gestaltete Buffets, auf denen jeweils 20 Silberpokale aufgestellt waren (Abb. 7).31 Aus einer Öffnung an der Schmalseite der beiden künstlichen Berge konnte jeweils auf Schienen ein Reiter herausfahren, der den Gästen ein besonderes Trinkgefäß präsentierte. Wie aus dem Eintrag im Inventar von 1591 hervorgeht, war dies der Kokosnusspokal von Valentin Geitner, der damit eine hervorgehobene Stellung einnahm (Kat.-Nr. 58). Von der ursprünglichen Ausstattung der beiden einzigartigen Schanktische hat sich eine Auswahl von Goldschmiedearbeiten unterschiedlichen Typs im Grünen Gewölbe erhalten: Die beiden prominentesten, als »Willkomm« bezeichneten Trinkgefäße (Kat.- Nrn. 12, 58), vier große Becherpokale (Kat.-Nrn. 10, 11) sowie drei kleine Doppelscheuern (Kat.-Nrn. 15, 16). Auch eine singuläre Henkelflasche, die sich wohl schon längere Zeit in wettinischem Besitz befand, war Teil des Konvoluts (Kat.-Nr. 162). Eine besondere Vorliebe scheint Christian I. für ausgefallene und teils skurrile Trinkgefäße aus exotischen Naturalien gehegt zu haben, denn sein Nachlassinventar listet fünf von Elias Geyer geschaffene Straußeneipokale in Gestalt von Straußen auf. Sie befanden sich in seiner Schreibstube und damit in seinem ganz persönlichen Umfeld (Kat.-Nr. 114). Offensichtlich war er der erste, der das Potenzial des Leipziger Gold21 Dies geht auch aus dem Reisebericht Philipp Hainhofers von 1629 hervor, siehe Döring 1901, S. 195. 22 Residenzschloss Dresden 2019, S. 148, 578, Nr. EG/34-36. 23 Inventar Silberkammer 1543; Inventar Silberkammer um 1581–1586, siehe auch Vötsch 2004, S. 94 f. 24 Arnold 1994 b, S. 22; O’Byrn 1880, S. 50. 25 Siehe zur Hofsilberkammer Arnold 1994 b; O’Byrn 1880. 26 So zum Beispiel ein (nicht mehr erhaltenes) Lavabo, Inventar Silberkammer um 1581– 1586, fol. 1 r. 27 Dieses befand sich in einem durch den »Goldgang« mit dem Westflügel verbundenen Nebengebäude, Residenzschloss Dresden 2019, S. 588 (Grundriss). 28 O’Byrn 1880, S. 153–191. 29 Hoppe-Münzberg 2019. 30 Döring 1901, S. 190 f. 31 Weinhold 2020, S. 65–71; Hoppe-Münzberg 2019, S. 431; Weinhold 2004/05, S. 207; Münzberg 2002. Abb. 6 Alte und neue (aktuell eingesetzte) Kennzeichnung mit weißer Lackfarbe (Kat.‑Nr. 11)
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