Leseprobe

| 57 Handelswege Als die Europäer begannen, sich ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts am Fernhandel zu beteiligen, trafen sie auf ein funktionierendes transkulturelles Beziehungsgeflecht der beteiligten Akteure.3 Sie fanden Wege, sich in die gegenseitigen Abhängigkeiten zu integrieren und die begehrten Handelsgüter aus dem ostasiatischen Raum nach Europa zu verschiffen. Portugal als früheste Seefahrernation erschloss neue Handelswege, etwa über das Kap der Guten Hoffnung, und verkaufte Handelsrechte unter anderem an Augsburger und Nürnberger Handelskonsortien, welche zeitweise auch Faktoreien, so in Lissabon oder in dem an der Westküste Indiens gelegenen Goa, unterhielten.4 Im Gegenzug gewährten die deutschen Handelshäuser den Portugiesen Kredit und versorgten sie mit Bronze- und Messingwaren, welche diese für ihre Unternehmungen in Westafrika und Indien benötigten.5 Die Konchylien waren in den Frachtlisten der Schiffe nicht extra verzeichnet und fungierten als Beiladung zu den ökonomisch wichtigeren Handelsgütern wie Gewürzen (allen voran Pfeffer, Zimt, Nelken, Muskat),6 Seidenstoffen, Edelsteinen und Porzellan, das in großen Mengen importiert wurde.7 Ein wichtiger Umschlagplatz für die begehrten Luxusgüter aus Übersee war die Goldschmiedemetropole und Handelsstadt Nürnberg. So verwundert es nicht, dass sich einige der dort ansässigen Meister, wie etwa Niclaus Schmidt, Wenzel Jamnitzer, Friedrich Hillebrandt oder Hans Pezolt, auf die Verarbeitung von Konchylien verlegten.8 Angehörige bedeutender Handelshäuser, wie das der Fugger in Augsburg, betätigten sich als Kunstagenten und -berater und vermittelten diese (un-)gefassten Naturalien an spezialisierte Händler oder auch direkt an interessierte Sammler und Sammlerinnen.9 Die sächsische Herrscherfamilie erwarb derartige Stücke indes seltener über die süddeutschen Handelshäuser, sondern auf der drei Mal jährlich stattfindenden Leipziger Messe sowie über spezialisierte Händler. Der erste namentlich überlieferte Kunstagent war Hieronymus Kramer. Er wurde bereits 1575 von Kurfürst August unter anderem mit dem Ankauf fernöstlicher Pretiosen beauftragt und war zu diesem Zweck nach Lissabon gereist.10 Von den über Kramer nach Dresden gelangten Werken sind heute noch eine Seychellennusskanne (Kat.-Nr. 186) sowie eine Doppelscheuer mit Perlmutter nachweisbar (Kat.-Nr. 17). Ein weiterer Händler mit Hauptaugenmerk auf dem Vertrieb von Konchylienobjekten war Veit Böttiger (auch Bötticher oder Böttger), der seine Waren auf den Leipziger Messen anbot. Sein Name taucht zwischen 1585 und 1610 in Rechnungen und Inventaren immer wieder im Zusammenhang mit bestimmten Geschenkanlässen auf. Zu seinen ersten Verkäufen zählen »zwey tutzent loffel von mehrschnecken gar schon sprengklicht«,11 welche 3 Gut exemplifiziert anhand des Juwelenhandels: vgl. Siebenhüner 2011 und Teles e Cunha 2001. 4 Sangl 2000, S. 271; Mathew 1997, S. 7–17. 5 Westermann 2001, S. 40. 6 Sangl 2001, S. 269; Mette 1995, S. 36. 7 Haug 2021, S. 291, Anm. 8. Eine gute Einführung zu den globalen Verflechtungen von Luxusgütern, allerdings ohne Nennung von Konchylien, geben Gerritsen/Riello 2016. 8 Direkte Quellen dazu, wie die jeweiligen Goldschmiede an die Konchylien gelangten, sind nicht überliefert. Eine Ausnahme bildet ein an den Goldschmied Hans Pezolt adressierter Brief, der die Nachfrage des Zulieferers enthält, ob dieser »den schneckhen ohne schaden empfangen habe«, vgl. Nürnberg 2017, S. 231, Nr. 139. 9 Haug 2021, S. 230; Häberlein 2016, S. 161–163. 10 HStADD, 10036 Finanzarchiv, Loc. 33342, Rep. 52, Gen. 1925 (Bestallungen 1576–1581), fol. 503 r – 504 r. Kramer versorgte das sächsische Herrscherhaus auch mit diversen Kleinoden; vgl. Nagel 2009, passim. 11 Gurlitt 1886/87, S. 19. Abb. 1 Drei Löffel aus einer Garnitur von ehemals 24 Stück vor 1585 Tigerschneckengehäuse, Silber, vergoldet, L 13,6–14,1 cm SKD, Grünes Gewölbe, Inv.-Nrn. III 31 q/9, III 31 q/15 und III 31 q/19

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