Leseprobe

������������������������������������������������������������� | 71 Durch die Fragilität der exotischen Naturalien waren dem praktischen Gebrauch enge Grenzen gesetzt, und nur mit entsprechenden technischen Hilfskonstruktionen konnten die Voraussetzungen für die Funktionstüchtigkeit geschaffen werden. Eine gängige Methode war die Auskleidung der Gefäße mit abdichtendem Material, wie etwa in den Einträgen zu manchen Kokosnusspokalen im Kunstkammerinventar von 1640 nachzulesen ist. Hier ist von »inwendig gepicht«6 (Kat.-Nr. 55) oder »inwendig gebicht«7 die Rede. Der prunkvolle Kokosnusspokal von Valentin Geitner (Kat.-Nr. 58) weist innen noch Reste einer dunklen Kittmasse auf,8 denn aus ihm wurde in seiner Funktion als Willkomm des Neuen Stalls nachweislich der Begrüßungstrunk genommen. Auch die Verwendung von Einsatzbechern ist in manchen Fällen überliefert (siehe Kat.-Nr. 61 und Abb. 2, S. 494). Es muss also immer am Objekt selbst untersucht werden, ob ein Trank aus einer Nautilus-, Seeschnecken-, Kokosnuss- oder Straußeneikuppa überhaupt möglich ist, also entsprechende technologische Voraussetzungen durch den Goldschmied geschaffen wurden. In einigen Fällen geben entsprechende Quellen Aufschluss. So etwa hat sich der sogenannte Drachenpokal in Schwerin mit einer Kuppa aus einer Turbanschnecke zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der Verwahrung des Mundschenks befunden, was eine – zumindest gelegentliche – Benutzung nahelegt.9 Das prominente Beispiel des Goldenen Hahns von Münster führt die praktischen Probleme vor Augen, die entstehen, wenn eine so empfindliche Naturalie einem wiederholten Gebrauch ausgesetzt wird (Abb. 2).10 Dieses Nürnberger Trinkgefäß wurde 1621 angekauft und später im Rathaus zu Münster als Willkomm genutzt, wo es bis heute in Verwendung ist. Das ursprünglich eingesetzte Nautilusgehäuse ist durch den Gebrauch wohl zerbrochen und durch eine Nautiluskuppa aus Metall ersetzt worden. Dieses Surrogat hat zwar die Form des Molluskengehäuses, besteht aber aus stabilem und strapazierfähigerem Silber. Die unterschiedlichen, aus fernen Ländern stammenden Naturalien waren durch ihre Exklusivität und ihre Provenienz schon per se mit Bedeutung und Wirkmacht aufgeladen. Wenn auch nicht mehr in dem Maße, wie es etwa bei mittelalterlichen Schatzkammergefäßen der Fall ist, findet man in den frühneuzeitlichen Inventaren doch noch so manchen Hinweis auf die Heilkraft der eingesetzten Materialien. Das zeigen etwa ein Astbecher im Grünen Gewölbe, der im Inventar der Kunstkammer von 1640 beschrieben wird als »1 Trinckgeschirr von einen knörrichten stamme, welcher in sonderbahrer constellation gefellet worden und zu unterschiedenen Kranckheiten dienlich sein soll«11 (Abb. 2, S. 641), oder die als sogenannte Giftprobe dienende Fußschale (Kat.-Nr. 155). Die Funktion exklusiver Willkommpokale am Dresdner Hof war einem beständigen Wandel unterworfen. Die einzelnen Kurfürsten setzten ihre jeweils eigenen Schwerpunkte, sodass die Goldschmiedewerke über die Jahrhunderte in unterschiedlichen Schlössern zum Einsatz kamen. Ursprünglich in Auftrag gegeben für eine ganz bestimmte Lokalität, auf welche die jeweiligen Objekte direkt oder indirekt Bezug nehmen, war es üblich, dass sie von den Nachfolgern an andere, von ihnen individuell präferierte Schlösser verbracht wurden (siehe S. 24–28). Auch Prozesse der Aneignung sind in diesem Zuge zu beobachten, wie etwa das Trinkspiel des heiligen Georgs vor Augen führt, dessen Wappen später angepasst wurde (Kat.-Nr. 107). Beginnend im 18., spätestens aber im 19. Jahrhundert verloren diese Trinkgeschirre dann zumeist ihre Funktion als Willkomm. Sie wurden in die Kunstkammer, die Rüstkammer oder das Grüne Gewölbe transferiert und avancierten zu Museumsstücken, welche die Geschichte des Fürstenhauses illustrieren und vor allem Memorialfunktionen erfüllen. Als prominentes Beispiel einer solchen Wandlung kann der Pokal in Gestalt eines Schlösschens dienen, der von der Festung Sonnenstein auf den Königstein gelangte und von dort über Stationen in der Kunstkammer und Rüstkammer schließlich in die Sammlung des Grünen Gewölbes transferiert wurde (Kat.-Nr. 87). 5 Witting 2021. 6 Inventar Kunstkammer 1640, fol. 136 r. 7 Ebd., fol. 137 r. 8 Auch bei Schenkgefäßen sind derartige Kittmassen nachweisbar, so etwa bei der Dresdner Seeschneckenkanne (Kat.-Nr. 193). Restaurierungsberichte, Michael Wagner, Oktober 2027, und Lea Eulitz, August 2022 (AGG). 9 Schwerin 2013, S. 248–251, Nr. 165. 10 Siehe Mette 1995, S. 146 f., 192, Nr. 31. 11 Inventar Kunstkammer 1640, fol. 137 v.

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