Leseprobe

76 | Eve Begov Schraubenverbindungen stellen eine stark belastbare, lösbare Fügetechnik dar. Die zentrale Funktion übernimmt dabei eine zylindrische Stange mit Außengewinde und zugehöriger Schraubenmutter. Bei der axialen Drehung während des Verschraubens greifen die Gewindeflanken von Schraube und Mutter ineinander, wodurch der Formschluss erzeugt wird.6 Bei sehr vielen Goldschmiedepokalen sind Kuppa und Standfuß mittels einer oder mehrerer Schraubverbindungen zusammengefügt. Die Gewindestange fungiert dabei häufig als Achse, die durch den Schaft greift (Abb. 3). Aber auch separat hergestellte Kleinteile wie etwa Naturabgüsse und sonstige Verzierungen werden in der Regel auf dem Sockel bzw. Standfuß festgeschraubt. Sinn und Nutzen lösbarer Verbindungen aus restauratorischer Sicht Vor jeder Demontage eines Goldschmiedeobjekts stellt sich die Frage, aus wie vielen Einzelteilen es besteht und wie es sich auseinandernehmen lässt. Nicht immer ist dies allein aus der Anschauung heraus zu beantworten, obwohl es Gesetzmäßigkeiten in Konstruktion und Aufbau gibt. Lösbare Verbindungstechniken bieten bei allen Reinigungsarbeiten einen unschätzbaren Vorteil.7 Durch sie lässt sich das Objekt relativ problemlos in mehrere Einzelteile zerlegen, Unterschneidungen und verschmutzte Bereiche werden zugänglich, und die Behandlung kann einfacher und zudem individuell erfolgen. Dies lässt sich beispielhaft an dem bereits erwähnten Perlmutterpokal zeigen. Er setzt sich aus einem mehrteiligen Standfuß, dem Schaft, in diesem Fall eine Figur, verschiedenen Zwischenelementen und der Kuppa zusammen. Die insgesamt 13 Einzelteile8 werden im Wesentlichen durch Schraub- und Scharnierverbindungen zusammengehalten (Abb. 3). Jeder Goldschmied wählte seine eigene, manchmal auch werkstattindividuelle Lösung, vor allem, wenn die Kuppa eines Pokals aus organischen Materialien oder Stein besteht. Hier galt es, die Befestigungsart auf die Materialbeschaffenheit abzustimmen. Elfenbeinstoßzähne und Rhinozeroshörner etwa wurden bevorzugt zu Gefäßwandungen für Humpen und Schraubflaschen verarbeitet. Ihre Wandungsstärke und Materialstabilität reicht in der Regel aus, um sie, ähnlich wie Edelsteine, mit einer Zargenfassung9 in das Gefäß einzubinden. Ganz ähnlich erfolgt die Montierung von Steingefäßen. Diese besitzen im Bereich der Verbindungsstellen von Fuß, Angriff oder Henkeln meist unterschnittene Stutzen, an welchen die Metallfassung ansetzen kann. Abb. 2 Zwei Beispiele für mittels Scharnierverbindungen befestigte Spangen (Kat.‑Nrn. 125, 48) Abb. 3 Perlmutterpokal in zerlegtem Zustand (Kat.-Nr. 44) 6 Eine fest angezogene Schraube ist form- und kraftschlüssig. 7 Jedes Kunstwerk, egal ob es sich dabei um einen Gebrauchs- oder Ausstellungsgegenstand handelt, unterliegt Alterungsprozessen, die meist mit der Verschmutzung und Veränderung der Oberfläche einhergehen. Bei Goldschmiedeobjekten zeigt sich dies als Korrosion der silbernen bzw. silbervergoldeten Oberfläche, das heißt, die ursprünglich glänzenden Stücke laufen dunkel bis schwarz an. Ohne eine Oberflächenkonservierung durch einen Schutzlack wird dieser Anlaufprozess, beeinflusst durch die Umgebungsbedingungen, bereits nach mehreren Monaten sichtbar. Selbst eine starke Vergoldungsschicht kann dies nicht verhindern. 8 Auflistung der 13 Teilstücke (auf der Abbildung nicht alle sichtbar): Standfuß: eine Plinthe, unterseitig eine Abdeckplatte, eine Schraubenmutter; Schaft: eine knieende Figur, ein Blattelement; Kuppa: ein Innengefäß mit Lippenrand und Gewindestange, zwei Halbschalen aus Kokosnuss mit Perlmutter belegt, vier Verbindungsschienen, eine Zierplatte als unterer Abschluss der Kuppa am Übergang zum Schaft. 9 Mit Hilfe der Zargenfassung, einer Variante der Kastenfassung, können Schmucksteine (oder andere Naturalien) dauerhaft und zuverlässig mit dem Werkstück verbunden werden. Ein streifenförmiger Ring umschließt dabei das zu fassende Material, wird an dieses angedrückt und so an Ort und Stelle gehalten. Die Verbindung lässt sich nur durch Aufbiegen der Metallfassung wieder lösen.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1