Leseprobe

10 |  Die Schatzkammer des sächsischen Herrscherhauses, das Grüne Gewölbe, verfügt über eine der weltweit bedeutendsten fürstlichen Sammlungen von Goldschmiedewerken der Renaissance und des Barock. Sie befindet sich seit Jahrhunderten an ein und demselben Ort und ist durch Inventareinträge und andere Quellen historisch ausgezeichnet dokumentiert. Während vergleichbare Bestände vielerorts Opfer von Einschmelzungen wurden, haben sie sich in Dresden trotz derartiger Dezimierungen in beträchtlichem Umfang erhalten. Das bereits 2014 initiierte Forschungsprojekt konzentrierte sich zunächst auf die Untersuchung und Bewertung der in großem Umfang erhaltenen Farbfassungen der Silberobjekte, die bislang kaum Beachtung fanden. Schnell wurde klar, dass dieses Thema auch bei Kolleginnen und Kollegen anderer Sammlungen auf breites Interesse stieß, sodass eine Tagung initiiert wurde, um es im internationalen Kontext zu betrachten. Eine zweite Fragestellung widmete sich der Funktion der Sammlung im Rahmen der fürstlichen Repräsentation, wobei insbesondere zwei Aspekte im Fokus standen: die Bedeutung der Goldschmiedearbeiten für die höfische Geschenkkultur sowie für das Zeremoniell, in dessen Rahmen sie, präsentiert auf Silberbuffets, eine zentrale Rolle spielten. Die Ergebnisse dieser beiden Forschungsschwerpunkte konnten 2018 und 2020 in zwei Bänden publiziert werden, ergänzt durch einen sowohl in einer Printausgabe als auch online verfügbaren zweisprachigen TagungsGegliedert in die Bereiche Goldschmiedekunst, Schmuck und Juwelengarnituren, Elfenbein, Bronzen, Pretiosen, Steinschneidekunst, Bernstein, Glas, Email, Möbel und Uhren, beherbergt das Grüne Gewölbe viele Gegenstände, die sich durch Materialkombinationen auszeichnen. Auch zahlreiche Silberarbeiten tragen Appliken oder besitzen Teile aus Edelsteinen, Elfenbein oder anderen Materialien. Für den Katalog schien daher eine Begrenzung auf solche Werke sinnvoll und notwendig, bei denen die Goldschmiedearbeit den Gesamteindruck maßgeblich bestimmt. Ausgeklammert werden aus diesem Grund Pretiosen, also Stücke mit üppigem Edelstein- und Emailbesatz, so etwa die Arbeiten des Hofjuweliers Johann Melchior Dinglinger und etliche Werke Johann Heinrich Köhlers. Dasselbe gilt für die häufig aus vielerlei Materialien bestehenden Prunkkästchen und Bestecke sowie Stücke aus Silberfiligran. Die nur schlicht gefassten Steinschnittobjekte sowie die Elfenbeinarbeiten mit silberner Montierung sind ebenfalls nicht Teil des Projekts. Letztere wurden im 2017 publizierten Bestandskatalog von Jutta Kappel wissenschaftlich erfasst. Und schließlich findet auch das im Grünen Gewölbe befindliche Konvolut aus der Hofsilberkammer keine Berücksichtigung. Dieses für die fürstliche Tafel vorgesehene Gebrauchssilber bildet einen gesonderten Sammlungskomplex, der 1924 in der Fürstenabfindung komplett an den Familienverein Haus Wettin Albertinische Linie abgegeben wurde und seither weltweit verstreut ist. Seit den 1990er Jahren wurden immer wieder einzelne Teile band zu Farbfassungen in unterschiedlichen deutschen und internationalen Sammlungen. Der vorliegende wissenschaftliche Katalog, in dem die 348 Goldschmiedearbeiten im Grünen Gewölbe systematisch erfasst werden, setzt den Schlusspunkt unter das sich über zehn Jahre erstreckende Forschungsvorhaben. Das Gros dieser qualitativ und quantitativ außergewöhnlichen Sammlung bilden deutsche Goldschmiedewerke, unter denen solche aus Dresden (79), Augsburg (77) und Nürnberg (69) überwiegen. Mit 31 Objekten ist zudem die Leipziger Goldschmiedekunst stark vertreten – auch diese Bestandsgruppe dürfte einmalig sein. Neben »rein silbernen« Werken umfasst die Sammlung eine hohe Anzahl von Arbeiten mit Naturalien, die zu einem großen Teil 1724 unter August dem Starken aus der 1560 gegründeten Kunstkammer in das Grüne Gewölbe transferiert wurden, sodass im Katalog auch dieser wichtige Bestand erstmals umfänglich vorgestellt wird. Beispielhaft seien die Molluskengefäße und Perlmutterarbeiten erwähnt, welche als die bedeutendsten Konvolute ihrer Art gelten. Sie werden daher in einem eigenen Essay gewürdigt. Die Goldschmiedearbeiten im Grünen Gewölbe können bei Zuschreibungsfragen als Referenzwerke dienen, da es sich dabei fast ausschließlich um historisch gesicherte Objekte handelt. Unter den später angekauften Stücken finden sich gleichwohl auch solche, die stark verändert wurden oder sich als Nachahmungen des Historismus bzw. – mit imitierten Marken versehen – gar als Fälschungen erwiesen. Einführung

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