Leseprobe

28 WIR DURCHLAUFEN ALLE EINE EXZENTRISCHE BAHN, UND ES IST KEIN ANDERER WEG MÖGLICH VON DER KINDHEIT ZUR VOLLENDUNG. Friedrich Hölderlin Wiederholt sich Weimar? Seit Beginn der 2010er Jahre findet diese bange Frage verstärkt ihren Weg in das öffentliche Gespräch und prägt zunehmend die Wahrnehmung jener Zeit, auf die wir nun, mit dem runden Abstand eines Jahrhunderts, zurückschauen: Den ersten Wiedergänger aus einer von Unmenschlichkeit und millionenfachem Tod überschatteten Vergangenheit erkannten viele in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009, die mahnend an den Börsencrash vom 24. Oktober 1929 erinnerte – und das umso mehr, als sich mit der 2010 auf den Fuß folgenden europäischen Staatsschuldenkrise abzeichnete, dass die Verwerfungen im Finanzsystem durchaus das Potenzial hatten, über persönliche Ersparnisse hinaus ganze Staaten und die Europäische Union in ihrer Existenz zu bedrohen. Die Verunsicherung, die sich aus diesen Erschütterungen ergab, wertet die sozialwissenschaftliche Forschung als eine der Ursachen für die Krise der Demokratie, mit der sich mindestens die europäischen Staaten und die Vereinigten Staaten seit 2015 konfrontiert sehen. Die mit ihr verbundene Renaissance von Autoritarismus und Fremdenfeindlichkeit und der Druck, unter den diese Tendenzen westliche Gesellschaften mit ihren Institutionen setzen, scheinen den beunruhigten Blick zurück in die 1920er Jahre wieder und wieder zu bestätigen. Sind die Überein1 Kundgebung zum Verfassungstag auf dem Theaterplatz vor dem Deutschen Nationaltheater, Weimar, 1924 Rally on the Theaterplatz in front of the German National Theatre in Weimar, 1924

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