36 If you had walked through the streets of any major German city in the years following the First World War, you could not fail to notice the deep divide in the distribution of wealth: enormous wealth on the one hand contrasted with abject poverty on the other. “Little man, what now?” The writer Hans Fallada’s pointed question about this social predicament was at the centre of political debate. In the 1920s, many artists, who often lived on the breadline themselves, espoused a compassionate view of people on the margins of society. The elderly, beggars and the unemployed often feature in the paintings of Otto Dix, Conrad Felixmüller and George Grosz, who aptly titled one of his works Kein Hahn kräht nach ihnen (No Cockerel Crows For Them). In order to document the extent of “industrial progress”, Felixmüller travelled from Dresden to the Ruhr coalfields in 1920. While there, he drew the hard-working people and their families. The artist experienced at firsthand how workers exchanged their human dignity for a pittance and a life of grime. During the 1920s, artists repeatedly focused on children and their plight. Curt Querner’s Bauernjunge (Peasant Boy), Wilhelm Lachnit’s Schwangeres Proletariermädchen (Pregnant Proletarian Girl) and Conrad Felixmüller’s Zeitungsjunge (Newspaper Boy) lent poignant dignity to a generation that had become disorientated in the midst of a frenzied modernity rife with injustice. Prostitutes, drug addicts, the war disabled, the mentally ill and those at risk of suicide are indicative of the dark side of the “new era” in the works on display. In other works, such as Hainz Hamisch’s Arbeitsloser Hafenarbeiter (Unemployed Dockworker), the general social predicament exacerbated by the global economic crisis is suffused with resentment. Pictures by Georg Scholz and Carl Lohse mercilessly lampoon capitalism as the prevailing mode in society, depicting entrepreneurs – and thus the people on the winning side of the times – as overweight profiteers with ugly, disfigured, porcine faces. | BR Wenn man in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg durch die Straßen deutscher Großstädte lief, konnte einem der tiefe Riss entlang der Wohlstandsverteilung nicht entgehen: Enormer Reichtum auf der einen Seite stand krasser Armut auf der anderen entgegen. »Kleiner Mann, was nun?« – die so von dem Schriftsteller Hans Fallada formulierte soziale Frage stand im Mittelpunkt politischer Debatten. Viele Künstler*innen, die oft selbst ein Leben am Existenzminimum führten, entwickelten in den 1920er Jahren einen mitfühlenden Blick auf die Menschen am Rand der Gesellschaft. Alte Menschen, Bettelnde und Arbeitslose erscheinen vielfach in den Bildern von Otto Dix, Conrad Felixmüller oder George Grosz, der eines seiner Werke mit dem sprechenden Titel Kein Hahn kräht nach ihnen versah. Um die negativen Auswirkungen des »industriellen Fortschritts« zu dokumentieren, reiste Felixmüller 1920 von Dresden aus in die Kohlereviere des Ruhrgebiets. Dort zeichnete er die schwer arbeitenden Menschen und deren Familien. Hautnah erlebte der Künstler, wie Arbeiter*innen ihre Menschenwürde gegen etwas Geld und ein Leben in Schmutz eintauschten. Immer wieder rückten in den 1920er Jahren auch die Kinder und deren Not in den Blick der Künstler*innen. Inmitten einer Ungerechtigkeit produzierenden, rasenden Moderne verliehen Curt Querners Bauernjunge, Wilhelm Lachnits Schwangeres Proletariermädchen und Conrad Felixmüllers Zeitungsjunge einer orientierungslos gewordenen Generation ergreifende Würde. Prostituierte, Drogenabhängige, Kriegskrüppel, psychisch Kranke und Suizidgefährdete weisen in den ausgestellten Werken auf die Schattenseiten der »neuen Zeit« hin. In andere Bilder, wie Hainz Hamischs Arbeitsloser Hafenarbeiter, mischt sich Unmut angesichts der durch die Weltwirtschaftskrise verschärften sozialen Lage. Unverhohlene Kritik am herrschenden Kapitalismus üben Bilder von Georg Scholz und Carl Lohse, die Unternehmer – und damit die auf der Gewinnerseite der Zeit stehenden Menschen – als übergewichtige Profiteure mit einem Gesicht darstellen, das die Züge eines Schweines trägt. | BR
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