132 Holding hands and pulling each other along, the four women storm forwards. Friedrich Seidenstücker’s Der Reigen (Round Dance) is an expression of a liberated desire for the future, characterised by dynamism and unbridled energy. The 1920s represented for a new attitude to life, the freedom of the individual was emphasised and great value was placed on individual expression in all areas. Listening to music also became individualised: Rudolf Dischinger’s painting Grammophon (Gramophone) provided a dispassionate and matter-of-fact insight into the private sphere. And the artist in Ernst Ludwig Kirchner’s Schlangenmensch (Snake Man) came to symbolise a free, open and unrestricted existence. In particular, the new era was expressed via the image of women. The modern woman stood for self-confidence, a carefree body image and the questioning of traditional gender roles and social conventions. In her portfolio Anita Berber, the artist Charlotte Berend-Corinth was concerned with deconstructing taboos. Still fully immersed in the Impressionist interplay of light and shadow, she depicted the scantily-clad dancer in various erotic poses to celebrate lust and desire from a woman’s perspective. If she was interested in a change of perspective, Hanna Nagel’s seemingly surreal drawing reflects on a role reversal between man and woman. The type of the emancipated, smoking woman wearing a bob was also popularised by artists as a sign of a new, liberal age. The reclining nude women depicted by Karl Hofer and Georg Scholz respectively added a sexual component to the theme of the self-confident woman – but models of nude women were hardly ever questioned. Conrad Felixmüller’s glamourous, eponymously titled portrait of the actress Pamela Wedekind also harnesses this ambivalence towards women and their status. The portrait depicts her primarily as a devoted woman who was prepared to give up her Bohemian life in favour of a traditional role as a wife. For many women, the era of emancipation went backwards following the global economic crisis. | IH Sich an den Händen haltend und gegenseitig mitziehend, stürmen die vier Frauen nach vorne. Der Reigen von Friedrich Seidenstücker ist Ausdruck eines befreiten Zukunftswillens, geprägt von Dynamik und unbändiger Energie. Die 1920er standen für ein neues Lebensgefühl, die Freiheit des Individuums wurde großgeschrieben und dem individuellen Ausdruck in allen Lebensbereichen ein hoher Wert beigemessen. Individuell wurde auch das Hören von Musik: Kühl und sachlich zeigte Rudolf Dischinger mit dem Bild Grammophon einen Einblick ins Private. Und die Artistin in Ernst Ludwig Kirchners Schlangenmensch wurde zum Sinnbild eines freien, ungebundenen Lebens. Die neue Zeit drückte sich insbesondere im Bild der Frau aus. Die Neue Frau stand für Selbstbewusstsein, ein unbeschwertes Körpergefühl und das Hinterfragen traditioneller Geschlechterrollen und gesellschaftlicher Konventionen. Der Künstlerin Charlotte Berend-Corinth ging es in ihrem Mappenwerk Anita Berber darum, Tabus sichtbar zu machen. Noch ganz im impressionistischen Spiel von Licht und Schatten eingebunden, stellte sie die skandalumwitterte Tänzerin in verschiedenen erotischen Posen dar, um aus der Perspektive einer Frau Lust und Begehren zu feiern. Ging es ihr um einen Wechsel der Perspektive, so dachte Hanna Nagel in ihrer surreal anmutenden Zeichnung über einen Rollentausch von Mann und Frau nach. Der Typus der emanzipierten, rauchenden und Bubikopf tragenden Frau wurde auch von Künstler*innen als Zeichen einer neuen, freiheitlichen Zeit popularisiert. Die liegenden nackten Frauen von Karl Hofer und Georg Scholz erweiterten das Thema der selbstbewussten Frau um die sexuelle Komponente – Modelle von nackten Frauen wurden dabei jedoch kaum hinterfragt. Diese Zwiespältigkeit in der Stellung der Frau birgt auch das glamouröse Bildnis der Schauspielerin Pamela Wedekind von Conrad Felixmüller. Es zeigt sie vor allem als hingebungsvolle Frau, die ihr wildes Leben zugunsten eines traditionellen Lebensentwurfs als Ehefrau aufzugeben bereit war. Für viele Frauen lief die Zeit der Emanzipation seit der Weltwirtschaftskrise wieder rückwärts. | IH
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