Dora Hitz Dora Hitz MIT DEM ALTEN UM DAS NEUE KÄMPFEN
Dora Hitz MIT DEM ALTEN UM DAS NEUE KÄMPFEN Herausgegeben von Rahel Schrohe · Viktoria Krieger · Lucy Wasensteiner in Kooperation mit Claudia Blümle und Sabine Meister Sandstein Verlag
Inhalt 6 »Mit dem Alten um das Neue kämpfen.« Dora Hitz. Ein gemeinsames Forschungs- und Ausstellungsprojekt Lucy Wasensteiner und Claudia Blümle 10 Von Altem, Neuem und der Utopie der Nähe. Eine Einführung Rahel Schrohe 30 Dora Hitz in Paris und ihr Weg zur modernen Mutterschaft Ana Nasyrova 42 »Da ist nicht eine Spur von Pose.« Begeisterung und Widerstand. Dora Hitz in Berlin Sabine Meister 52 »Ein kühn dahinfegender Pinsel«. Zu den »Portrait-Gemälden« von Dora Hitz Claudia Blümle 68 Zwei Visionen, eine Zeit: Dora Hitz mit und ohne Max Liebermann Viktoria Krieger 84 Eine Frage des Stils? Der Begriff des ›deutschen Impressionismus‹ und seine Bedeutung für Karriere und Nachruhm von Künstlerinnen der Berliner Secession Annette Dorgerloh 94 Katalog der ausgestellten Werke 120 Im Gespräch mit Margrit Bröhan – »Wenn doch noch einiges wieder auftauchen würde.« Viktoria Krieger 128 Biografie 130 Verzeichnis der ausgestellten Werke 1 3 2 Autorinnen 133 Dank 134 Bild- und Fotonachweis 135 Impressum
Von Altem, Neuem und der Utopie der Nähe Rahel Schrohe Eine Einführung
11 Der Todestag von Dora Hitz jährt sich am 20. November 2024 zum 100. Mal. Dieses Ereignis gab der Ausstellung Dora Hitz. Mit dem Alten um das Neue kämpfen ihren Anlass. Doch Gründe dafür, Hitz’ Werk zu zeigen, gibt es viele mehr – besonders in Berlin, jener Stadt, in der die Künstlerin drei Jahrzehnte lang wirkte. Dora Hitz prägte als Vertreterin eines modernen Stils das Kunstgeschehen in Berlin zur Zeit der Jahrhundertwende maßgeblich mit. Trotzdem gerieten ihr Werk und ihre Biografie in Vergessenheit. In den vergangenen Jahren trat die Künstlerin wieder vermehrt ins öffentliche Bewusstsein – eine erste Monografie erschien, einzelne Werke wurden im Rahmen von Gruppenausstellungen gezeigt und rücken nun nach und nach aus den Depots in die ständigen Sammlungen der Museen. Doch eine Einzelausstellung der Künstlerin hat es seit 99 Jahren nicht gegeben. Diese Schau gibt einen ersten Überblick über ihr vielseitiges Schaffen. Zur Einführung werden die Künstlerin selbst, die zentralen Themen und Werke benannt und vorgestellt. Dora Hitz wurde im Jahr 1853 in Altdorf bei Nürnberg geboren und starb 1924 in Berlin.1 Sie verlebte wechselvolle Jahre, die von Erfolg, Anerkennung und sozialer Verbundenheit geprägt waren, jedoch auch – insbesondere infolge des Ersten Weltkriegs und der Inflation – von langen Phasen der Krankheit, Einsamkeit und dem zunehmenden Verlust des künstlerischen Ansehens gezeichnet wurden. Da Frauen die Zulassung zu den staatlichen Institutionen akademischer Kunstausbildung verwehrt blieb (in Berlin bis 1919), hatte sich Hitz in einer privaten Schule in München zur Malerin ausbilden lassen. Dort wurde sie von der deutschen Fürstin und späteren Königin von Rumänien, Elisabeth zu Wied, entdeckt, die sie 1876 als Hofmalerin an den rumänischen Königshof holte. Zu Beginn der 1880er-Jahre zog Hitz nach Paris, um eine zweite künstlerische Ausbildung zu absolvieren und in der französischen Kunstszene Fuß zu fassen, was ihr auch gelang. Sie knüpfte Freundschaften mit deutschsprachigen Kunst- und Kulturschaffenden, die lebenslang erhalten blieben, etwa mit Carl Bantzer, Paul Baum und Karl Köpping. Sie lernte französische Kunstschaffende persönlich kennen, die ihr Werk prägen sollten, allen voran Eugène Carrière. Möglicherweise traf Hitz in Paris auch die amerikanische Künstlerin Mary Cassatt. Nachdem Hitz bereits einige Werke mit rumänischen und bretonischen Motiven im traditionsreichen Pariser Salon gezeigt hatte, wurde sie von Pierre Puvis de Chavannes in den Kreis der 1890 neu gegründeten Société Nationale des Beaux-Arts und deren Ausstellungen auf dem Champ de Mars eingeladen, wo sie mit Mutterschaftsbildern und Portraits reüssierte. Diese Gemälde sind heute größtenteils verschollen. Im Zuge unserer Ausstellungsvorbereitungen wurden einzelne Werke wiederentdeckt, darunter Repos (Abb. 1). Hitz hatte das Bild von Mutter und Kind, das bislang nur als Schwarzweißabbildung kursierte, 1891 in Paris geschaffen und im darauffolgenden Jahr auf dem Salon du Champ de Mars ausgestellt, in dessen Katalog es abgebildet wurde. Während ihrer Pariser Zeit fertigte Hitz auch einige Detail aus Kat. 1
12 eindrucksvolle Gouachen an, die vermutlich im öffentlichen Raum entstanden und die arbeitende Bevölkerung zeigen (Abb. 2). Vergleichbare Werke sind aus ihrer Zeit in Deutschland bislang nicht bekannt. Anfang der 1890er-Jahre kehrte Hitz nach Deutschland zurück. Nach kurzer Station in Dresden übersiedelte sie nach Berlin, wo sie bis zu ihrem Tod in einer Wohnung am Lützowplatz 12 lebte. Von Berlin aus bereiste Hitz Deutschland und Europa: Sie kehrte mehrfach nach Paris zurück, verbrachte längere Aufenthalte in Italien, der Schweiz und in Süddeutschland. Zur Zeit ihrer Ankunft in Berlin war Hitz bereits eine profilierte Künstlerin. Sie galt als eigenständige künstlerische Position und Vertreterin eines neuen Stils. Sie wurde als eine in Paris ausgebildete und fortschrittliche, aber nicht anstößige Künstlerin wahrgenommen – »modern« zwar, aber auch »fein«.2 Man rezipierte sie als Malerin »weiblicher« Sujets, Mädchen und Mütter im Besonderen. In Berlin beteiligte 1 Dora Hitz, Repos, 1891, Privatbesitz
13 sich Hitz an der Gründung alternativer, progressiver Ausstellungsgemeinschaften, die sich anschickten, den Berliner Kunstbetrieb in seinen Grundfesten zu verändern. Sie akzeptierten als einige der ersten in ganz Europa Frauen als Mitglieder – im deutlichen Unterschied etwa zur Preußischen Akademie der Künste, die erst im Jahr 1919 mit Käthe Kollwitz ihr erstes weibliches Mitglied (seit 1833) wählte. Hitz war Mitglied in der Vereinigung der XI und zählte als eine von nur vier Künstlerinnen zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Secession. In Berlin setzte sich Hitz als Portraitistin des großbürgerlichen Milieus durch. Für ihr Bildnis von Margarete Hauptmann (Kat. 14), das sie auf der Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes präsentierte, wurde sie im Jahr 1906 als erste Frau mit dem Villa Romana-Preis ausgezeichnet. Den damit verbundenen Aufenthalt in Florenz verbrachte sie unter anderem mit Kollwitz und Max Beckmann. Hitz blieb unverheiratet und kinderlos. Sie musste ihren Lebensunterhalt selbst verantworten. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war der soziale Typus der zeitlebens alleinstehenden Frau ungewöhnlich und hatte keinen festen Platz in der Gesellschaft, weshalb er – insbesondere in ökonomischer Hinsicht – in verschiedenen Lebensbereichen eine Herausforderung darstellte.3 Hitz war eine künstlerische Autorität. Sie gründete am Lützowplatz eine eigene private Malschule, in der sie als Kunstlehrerin angehende Kunstschaffende ausbildete. Sie publizierte literarische sowie kunst- und bildkritische Texte (etwa zu Carrière oder dem Modedesigner Paul Poiret) und wurde zu grundlegenden gesellschaftlichen Fragen wie etwa der künstlerischen Ausbildung von Frauen oder der Vereinbarkeit von Beruf und Familie befragt.4 Von Altem, Neuem und der Frage des Vergessens Die für die Ausstellung gewählten Exponate umfassen Hitz’ Schaffen vom Ende der 1880er-Jahre bis um 1915/1920. Somit stammen sie aus jener Zeit, in der sie nach ihrer Ausbildung als freischaffende Künstlerin tätig war. Sie entstanden in Frankreich, in Italien und vor allem 2 Dora Hitz, An einem Brunnen sich ausruhende Magd und Arbeiter, Studie für Vor einem Pariser Theater, 1889, Privatbesitz
14 in Berlin. In der Auswahl der hier versammelten Gemälde scheint Hitz’ stete Wiederkehr zu bestimmten Themen und Motiven auf, wobei sich alle Werke auf die Darstellung von Menschen konzentrieren.5 Hitz malte Frauen, die von Blumen eingefasst sind. Sie widmete sich der Darstellung von Mutterschaft. Sie schuf repräsentative Auftragsportraits. Und sie zeigte Frauen und Kinder mit Früchten in der Natur oder in italienischen Gärten. Indem die Ausstellung diese vier zentralen Werkgruppen der Künstlerin beleuchtet, ermöglicht sie nicht nur einen zugänglichen Einblick zum Verständnis ihres Œuvres. Sie macht im vergleichenden Sehen zudem übergeordnete künstlerische Strategien sichtbar. Zu diesen zählen die Variation des malerischen Stils, angepasst an das jeweilige Motiv und seine Anforderungen, und das wechselseitig verwobene Verhältnis von Bildfigur und Hintergrund beziehungsweise vom dargestellten Körper und Bildraum. Dazu zählen der vielseitige und reflektierte Umgang mit Themen, die der Lebenswelt von Frauen jener Zeit entspringen und mit den vorherrschenden Diskursen, Konzepten und Topoi von Weiblichkeit, aber auch jene künstlerischen Strategien, auf die der Titel der Ausstellung Mit dem Alten um das Neue kämpfen anspielt. Zum einen fand Hitz in ihren Werken neue Interpretationen und Ausdrucksformen für klassische, in der Tradition verankerte Motive, zu denen alle vier oben genannten Sujets gehören. Zum anderen blieb die Künstlerin bei all diesen Spielarten des Malerischen stets einem älteren Kunstverständnis verhaftet: Obgleich sich in ihren Werken avantgardistische Tendenzen der Zeit abzeichnen, lösen sich ihre Darstellungen nie vollständig von einer figürlich-realistischen Malweise. Die Position der Dora Hitz ist von augenscheinlichen Widersprüchen geprägt: Als Frau war sie in ihrem Bewegungsradius und ihrer Handlungsfähigkeit den männlichen Kunstschaffenden gegenüber deutlich eingeschränkt und aus vielen, vor allem staatlichen Kunstinstitutionen systematisch ausgeschlossen. Dennoch prägte sie die deutsche Kunstszene um 1900 maßgeblich mit. Sie war mit ihren Werken auf bedeutenden Ausstellungen vertreten, sicherte sich wichtige Auftragsarbeiten und wurde wie kaum eine andere Malerin ihrer Zeit von der Kunstkritik rezipiert. Doch obwohl Hitz stilistisch wie thematisch als eine wichtige Vertreterin der Moderne in Berlin gelten kann, gerieten ihr Werk und ihre Biografie nach ihrem Tod in Vergessenheit. Ein Grund hierfür könnte sein, dass sie – wie viele andere Künstlerinnen ihrer Zeit – gezwungen war, eine Sonderstellung einzunehmen, um innerhalb des Kunstbetriebs Anerkennung zu erlangen und (finanziell) bestehen zu können. Schon früh wurde ihr von der deutschen Kunstkritik, die in den 1890erJahren umfassend die Frage weiblichen Kunstschaffens diskutierte, ein privilegierter Zugang zu weiblichen Themen zugesprochen.6 Der Kunstschriftsteller Karl Scheffler schrieb noch im Jahr 1916: »Dem arg verrufenen Begriff der Frauenkunst hat Dora Hitz die Würde zu wahren oder gar zurückzugewinnen verstanden. Das ist die Mission, die sie innerhalb der modernen deutschen Kunst geübt hat.«7 Man stilisierte Hitz zum Paradebeispiel einer Künstlerin, wodurch sie jedoch weitestgehend auf die Beschäftigung mit weiblichen Themen und Motiven reduziert blieb. Ihr progressiver und eigenständiger Malstil trat in der Wahrnehmung hinter den weiblichen Sujets zurück. Diese genderspezifische Rezeption und geschlechtsideologisch geprägten Urteile sicherten Hitz zu Lebzeiten großen Erfolg, sorgten aber schon gegen Ende ihres Lebens für einen rapiden Bedeutungsverlust. Der sich zeitgleich formierende kunsthistorische Kanon begünstigte diese Entwicklung zusätzlich: Zum einen präferierte er die Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts, nicht jedoch die ihnen vorangegangene Generation, die den Grundstein dieser Entwicklungen gelegt hatte. Zum anderen spielten in diesen frühen kunsthistorischen Texten weibliche Positionen – selbst solche, die zu ihrer Zeit erfolgreich waren und breit rezipiert wurden – beinahe keine Rolle mehr.8 Aus dem Dickicht der Farbe Aus dem Dickicht der Farbe lösen sich die Körper der fünf annähernd lebensgroßen Figuren (Abb. 3). Drei Landarbeiterinnen auf der linken Bildseite balancieren mit Trauben gefüllte Lesekörbe unterschiedlicher Größe auf ihren Köpfen. Sie treten einem Jungen, der eine Handvoll Trauben zum Mund führt, und einem Mann mit geschulterter Kiepe im rechten Bildteil entgegen. Dora Hitz hat ihre Körper mit breiten, langen Pinselstrichen gemalt, die präzise
15 gesetzt sind und expressiv anmuten. Bunte Farben bestimmen Inkarnat und Kleidung der Figuren ebenso wie deren Kontur. Durch das Bild flirrt helles Sonnenlicht. Es lässt die Landschaft, die hier den Bildhintergrund stellt, hell erstrahlen. Sie ist aus kurzen, bunten Pinselstrichen zusammengesetzt und scheint – vergleichbar einer Tapisserie – abstrakte, ornamentale Formen auszubilden. Die Betrachtenden werden direkt angesprochen: Involvierend, fragend, herausfordernd blicken die Frau links und der Junge rechts aus dem Bild heraus und durchbrechen so das innerbildliche Narrativ. Hitz zeigt mit ihrem Gemälde Weinernte eine ganz eigene Version des traditionsreichen Erntethemas. Dargestellt wird bei ihr nicht, wie in anderen Werken dieser Zeit oder in früheren Bildern üblich, die Arbeit auf dem Feld oder ein Moment der Rast und Erholung. Der Fokus liegt vielmehr auf dem kontrastreichen Zusammenspiel von Licht und Farbe, Bildfigur und Hintergrund, das der gestisch-expressive Pinselduktus hervorbringt, sowie auf Aktivität und Potenzial der arbeitenden Frauenkörper. Bei Hitz tragen weibliche Figuren stolz und aufrecht die Früchte der getanen Arbeit ins Bild. Sie repräsentieren die Weinlese in fast schon portraithafter Form. Die Titel gebenden Früchte hingegen rücken buchstäblich in den Hintergrund und rahmen das Geschehen ein. Die Frauen tragen schlichte Kleidung, wobei Farbe und Duktus eine schimmernde Oberfläche evozieren und so der Stofflichkeit eine individuelle, beinahe luxuriöse Note verleihen. Formal erinnern die statuarischen Gestalten mit der starken Betonung der Vertikalen an antike Darstellungen der Kanephoren (Korbträgerinnen) oder Karyatiden, wie sie etwa in der Korenhalle auf der Akropolis zu finden sind. Ambivalent bleibt, wie die von Hitz im Bild inszenierte Weiblichkeit zu lesen ist. Je nach Perspektive lässt sich aus der Weinernte der sozialromantisch verklärte Blick einer großbürgerlichen Malerin auf die Landarbeit lesen, wie auch die überzeitliche malerische Feier weiblicher Erwerbsarbeit, konzipiert von einer ökonomisch unabhängigen Kunstarbeiterin. Mit der Weinernte schuf Hitz, die sich zu dieser Zeit bereits ihrem 60. Geburtstag näherte und deren Leben zunehmend von Krankheit und Entbehrungen gezeichnet war, ein imposantes Werk, das einen Höhepunkt ihrer weit verzweigten Karriere als Malerin markierte und mit dem sie sich zudem formal und motivisch neu positionierte. 3 Dora Hitz, Weinernte, um 1909, Stiftung Stadtmuseum Berlin
Dora Hitz in Paris und ihr Weg zur modernen Mutterschaft Ana Nasyrova
31 1898 veröffentlichte die Berliner Zeitschrift Berliner Leben. Zeitschrift für Schönheit und Kunst Fotoportraits von vier Berliner Malerinnen mit dem Vermerk »früher beim Linnen, hier beider Leinwand«, die die Protagonistinnen in ihren Ateliers zeigen.1 Während Vilma von Parlaghy, Traute Steinthal und Cornelia Paczka mit ihren Attributen, die sie als Künstler:innen auszeichnen, direkt vor der Kamera posieren, steht Dora Hitz, dem Betrachtenden in halber Drehung zugewandt vor ihrer Staffelei. Zu dieser Zeit war sie bereits eine prominente Malerin, Gründerin einer Malschule und Mitglied der Vereinigung der XI. Das in Arbeit befindliche Werk von ihr ist gut zu erkennen: Eine Mutterschaftsdarstellung in einem prächtigen Zierrahmen steht hier stellvertretend für ihr ganzes Œuvre (Abb. 1). Das Bild im Querformat ähnelt in der Komposition der einige Jahre zuvor entstandenen Tendresse maternelle (auch: Mutter und Kind) aus dem Jahr um 1897 (Abb. 2) und vermittelt den intimen Moment einer ihr Kind umarmenden Mutter. Die Frau in 1 Berliner Malerinnen: Dora Hitz, Vilma v. Parlaghy, Traute Steinthal und Cornelia Patzka [sic], aus: Berliner Leben. Zeitschrift für Schönheit und Kunst 1, 1898 Detail aus Kat. 10
32 Lebensgröße hält das Kind fest an sich gedrückt, ihr rechter Arm liegt schützend um den kleinen Körper. Sie beugt sich weit zu ihrem Nachwuchs herab und betont dadurch die horizontale Ausrichtung des Bildformats. Ihr Blick ist jedoch direkt auf den Betrachtenden gerichtet. Nur der starke Kontrast zwischen der dunklen Kleidung der Mutter und der hellen des Kindes deutet den Verlauf der körperlichen Grenzen an. Der Hintergrund und die Umgebung sind kaum zu erkennen. Es fehlen die für Genredarstellungen typischen Details der Umgebung oder der Kleidung, die Rückschlüsse auf den sozialen Status, die familiären Verhältnisse oder die dargestellten Personen zulassen. Stattdessen konzentriert sich das Bild auf die zeitlose Mutter-KindBeziehung außerhalb von historischem oder räumlichem Kontext. Dieses auf das Wesentlichste reduzierte Motiv der Mutterschaft taucht in Hitz’ Werk seit Ende der 1880er-Jahre während ihrer Zeit in Paris immer wieder auf und wurde im Folgenden zum festen Teil ihres Schaffens. In Hitz’ Mutterdarstellungen, die sich sowohl in den reduzierten zweifigurigen MutterKind-Bildern als auch in ihren monumentalen Werken finden, lässt sich ihre Arbeit mit verschiedenen Stilrichtungen und die Suche nach einem eigenen, unverwechselbaren 2 Dora Hitz, Tendresse maternelle (auch: Mutter und Kind), um 1897, Privatsammlung Berlin
33 Malstil am deutlichsten ablesen. Die Vielfalt ihrer Mutterschaftsbilder, die im Laufe ihres Schaffens immer stärker vom Symbolismus geprägt wurden, verdeutlicht ihre Auseinandersetzung mit der ideologischen Auffassung von Mutterschaft als Berufung, als Frausein und als »Künstlerinsein«. Nachdem Dora Hitz Hofmalerin am rumänischen Königshof geworden war, kam sie um 1882 nach Paris, wo sie sich in einer neuen, ihr unbekannten Umgebung zurechtfinden musste. Als Hauptstadt der modernen Kunst und Kultur zeichnete sich Paris durch zwei Besonderheiten aus: eine riesige Künstler*innen-Gemeinschaft und einen modernen Kunstmarkt, der sich auf dieser Basis herausbildete.2 Die Entstaatlichung des bis dahin dominierenden Pariser Salons 1880 schuf den Raum für die rasche Entstehung vielfältiger Gruppenausstellungen unterschiedlicher Unions, Cercles und Sociétés, jede mit ihrem eigenen ästhetischen Programm.3 Das Ergebnis war ein riesiges Konkurrenzfeld, in dem Künstlerinnen zusätzlich mit geschlechtsspezifischen Vorurteilen und Einschränkungen in Bezug auf Studium und Karrieremöglichkeiten zu kämpfen hatten. Privater Kunstunterricht war ein Luxus, da die Gebühren für Frauen oft doppelt so hoch waren wie die für ihre männlichen Kollegen, und auch die offizielle Mitgliedschaft in einer Künstlervereinigung war begrenzt oder gar nicht möglich.4 Die Jurymitglieder der großen Prestigeausstellungen waren ausschließlich männlich, was die geringe Anzahl von Künstlerinnen in den Ausstellungen erklärt.5 Die Situation von 3 Dora Hitz, Mutter und Kind, 1887, Privatsammlung Berlin
34 Hitz als Künstlerin deutscher Herkunft, die sich – unterbrochen von Aufenthalten in Rumänien zwischen 1883 und 1886 – bis etwa 1891 in Paris aufhielt,6 wurde zusätzlich durch die angespannten kulturpolitischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich erschwert. Angesichts all dieser Aspekte ist es beeindruckend, dass Hitz bereits 1885 erstmals im Katalog des Pariser Salons erwähnt wurde,7 der trotz seiner Entstaatlichung das zentrale gesellschaftliche Ereignis mit großem Verkaufspotenzial blieb. Hitz gelang es, in den folgenden Jahren regelmäßig an den Salonausstellungen teilzunehmen.8 Laut den Katalogangaben stellte sie vor allem Genredarstellungen aus, häufig mit Motiven des rumänischen Landlebens,9 was der Salonmode der pastoralen naturalistischen Darstellungen entsprach.10 Man kann behaupten, dass Hitz, wie viele andere Künstler*innen, für die die Repräsentation im Salon wichtig war, die dortige Tendenz zur Genremalerei nutzte und ihre Werke strategisch den Vorlieben des Publikums und der Jury anpasste. Dafür spricht auch, dass sie als ihre ersten Pariser Lehrer die erfahrenen Salonniers und eher konservativen Akademiemitglieder Gustave Courtois, Luc-Olivier Merson, JeanJoseph Benjamin-Constant und Raphael Collin wählte. Dies sicherte ihr die regelmäßige Aufnahme ihrer Werke in die Salonausstellungen, die jedoch beim Publikum auf wenig Resonanz stießen. Erst ab 1889, als die Malerin begann, sich an alternativen Gruppenausstellungen zu beteiligen, lassen sich in den überlieferten Werken und Repro4 Dora Hitz, Dans le jardin, 1890/91, Standort unbekannt
35 duktionen wesentliche Veränderungen in der Malweise und der Motivwahl der Künstlerin feststellen, die zu einem Bruch in ihrer Pariser Karriere führten. Im Jahr 1889 stellte Hitz ihre ersten Mutterschaftsdarstellungen in einer Gruppenausstellung außerhalb des Salons aus – das Motiv, das heute ihr Werk kennzeichnet. Es handelte sich um den Salon der Union der Malerinnen und Bildhauerinnen. Dieses 1881 ausschließlich für Frauen gegründete Ausstellungsformat sollte die Interessen tausender Künstlerinnen vertreten und ihnen ein alternatives Forum zum Salon des Artistes Français bieten, in dem Frauen sowohl unter den Teilnehmenden als auch unter der Medaillierten-Liste bereits unterrepräsentiert waren. Die Ausstellung zog auch die Aufmerksamkeit der Presse auf sich, die den Künstlerinnen bisher wenig bis gar keine Beachtung geschenkt hatte. Die erste kritische Reaktion auf die Arbeit Hitz’ war jedoch erwartungsgemäß eher herablassend. Der Kritiker der Zeitschrift für Zeitgenössische Kunst L’Artiste, Gaston de Raimes, der die Meinung vertrat, dass Frauen »Portraits und Blumen« der »großen Malerei« vorzögen, nannte ein Mutterschaftsbild Hitz’ in Gouache »ein lobenswerter Versuch einer Studie im Freien«.11 Das Bild, mit dem die Malerin 1889 an der Ausstellung teilnahm, ist leider nicht überliefert. Auch der Versuch einer Rekonstruktion stellt eine Herausforderung dar, zum einen wegen fehlender Beschreibung, zum anderen wegen der stilistischen Vielfalt der Darstellungen dieses Motivs bei Hitz. So zeigt das erste überlieferte Mutterschaftsbild von Hitz aus dem Jahr 1887, Mutter mit Kind auf dem Arm, ihm einen Rosenstrauß reichend, eine auf die emotionale Bindung reduzierte Darstellung (Abb. 3). Eine Blume verbindet die linke Hand der Mutter mit der rechten Hand des Kindes, sie blickt ihr Kind fasziniert an, während dessen Aufmerksamkeit uneingeschränkt auf die Blume gerichtet ist. Das Bild wurde in Pastell gemalt, was die Auflösung der Darstellung in der Bildfläche verstärkt. Während das erste Bild von Hitz bereits auf ihr späteres Werk hindeutet, das hier zu Beginn thematisiert wurde, änderte sich ihre Malweise in den folgenden Jahren grundlegend. 5 Dora Hitz, Mère et enfant, vor 1889, Standort unbekannt
»Ein kühn dahinfegender Pinsel« Claudia Blümle Zu den »Portrait-Gemälden« von Dora Hitz
53 In der Berliner Portraitmalerei um 1900 ist die Tendenz zu beobachten, dass weibliche Modelle idealtypischer dargestellt wurden. Während in den Herrenportraits mehr das Individuelle im Vordergrund steht, wurde dies bei den Frauen eher zurückgenommen, um stattdessen die »gegebene Erscheinung auf die Züge hin zu durchforschen, die jenem Idealbilde zugehören, das jeder von sich im Stillen vor Augen hat«.1 Lediglich bei den Bildnissen älterer Frauen wurde ein höheres Maß an Individualität zugelassen, da ein repräsentativer Charakter eine genealogische Würdigung ermöglichte.2 Bei jüngeren Damen hingegen galt weiterhin die Regel, diese schön, anmutig und in dekorativen Posen darzustellen, weshalb häufiger eine idealisierende, modische Typisierung im Zentrum stand.3 Vor diesem Hintergrund wird das Fazit von Hans Rosenhagen, dass in der Malerei von Dora Hitz »nicht eine Spur von Pose« zu finden sei, verständlicher. Pose ist Repräsentation, weshalb das Zurücknehmen der Pose auch mit einer Zurücknahme der Repräsentation einhergeht. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, zeichnen sich die Portraits von Dora Hitz durch eine entschiedene Reduzierung etablierter Darstellungskonventionen aus, um stattdessen das Malerische und das augenblickhafte Innehalten innerhalb einer transitorischen Bewegung in den Vordergrund zu rücken. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, in welcher Weise sich die dargestellte Haltung der Portraitierten und die Auflösung konventioneller Repräsentationsmodi idealtypischer Frauenbildnisse mit einer spezifischen Darstellungsweise verbinden, für die Dora Hitz steht. Die Besonderheit ihrer Werke gilt es daher in den Blick zu nehmen, um die lange Zeit vergessenen Gemälde genauer zu erkunden. Dies bedeutet, die Malerei von Dora Hitz nicht sogleich unter bekannten Stilrichtungen ihres Umkreises zu subsumieren, sondern ihren spezifischen, eigenen Weg zu erkennen, den sie mit viel Mut und als eine der wenigen Frauen um 1900 in Berlin eingeschlagen hat. Wechselspiel von Hervortreten und Distanznahme Auf dem Gemälde Mathilde Emma Alenfeld gibt es ein auffälliges Detail (Abb. 1).4 An ihrer rechten Hand blitzen goldene Ringe mit Edelsteinen hervor, während zwei ihrer Finger hinter den Falten ihres schwarzen Gewandes verborgen bleiben (Abb. 3). Der Schattenwurf des Ärmelsaums auf dem Handgelenk weist darauf hin, wie hell dieses beleuchtet wird. Im Gegenzug befindet sich die linke Hand, die auf einer Armlehne ruht, im Halbdunkel. Das Handgelenk ihrer Linken mit goldenem Armreif wird enthüllt, indem sich das Innenfutter des Ärmels in hellem Lila wie eine Blume entfaltet. Auch räumlich tritt diese Hand in einem dämmernden Zwielicht in den Hintergrund zurück, während die rechte Hand innerhalb des starken Hell-Dunkel-Kontrasts in den Vordergrund rückt. Die malerische Spannung von Erscheinen und Verschwinden bei der linken Hand und von Zeigen und Verbergen bei der rechten Hand ist für die gesamte Darstellungsweise des Gemäldes aufschlussreich. Dora Hitz setzte die Witwe Mathilde Emma Alenfeld in ihrem schwarzen Trauerkleid vor einen schwarzen Grund, sodass sie sich sowohl räumlich als auch farblich nur leicht von ihrem Umfeld abhebt. Während der Hintergrund ins Dunkelbraune übergeht, durchzieht ein leichtes Dunkelviolett das Schwarz des Kleides. Insgesamt aber dominiert ein Schwarzton den gesamten Bildraum. Die Portraitierte ist mit ihrem Umfeld verschmolzen. Sie wird kaum in einem klar definierbaren Raum wahrgenommen und tritt stattdessen in Erscheinung und zwar in minimaler Absetzung vom flächigen Farbgrund.5 Das Schwarz als Hintergrundfarbe bildet einen starken und dennoch neutralen Grund, der sich durch Unbestimmtheit auszeichnet und dadurch die Portraitierte gleichzeitig zurück- wie auch hervortreten lässt.6 Seitlich sitzend wendet sie uns ihr Gesicht zu und nimmt in dieser Bewegung Blickkontakt auf. Doch was verbirgt sich hinter diesem Blick? Strenge oder Güte, Trauer oder Scharfsinn? Die Mehrdeutigkeit ihres Blicks intensiviert sich dadurch, dass innerhalb der dunkelgrauen Iris die 1 Dora Hitz, Portrait Mathilde Alenfeld, 1899, Stiftung Stadtmuseum Berlin
54 Pupille neben einem hellen Glanzpunkt kaum zu erkennen ist (Abb. 2). Ihre dunklen Augen treten in direkte Nachbarschaft mit der unbestimmten Tiefe des Hintergrunds. Der weiße Fleck im Auge verbindet sich dabei mit ihrem hellgrauen Haar und der Lichtreflexion, die sich auch im Haarschmuck und an den Ohrringen wiederfindet. Solche Glanzpunkte stellen zudem einen Bezug zum Außenraum des Gemäldes her. Insgesamt entsteht in der malerischen Behandlung von Figur und Grund eine Spannung zwischen Hervortreten und Distanznahme, die als Selbstbewusstsein auf der einen Seite und als Zurückhaltung auf der anderen gedeutet werden kann. Wenn man sich die Hände ansieht, erscheinen diese locker und entspannt, während ihre aufrechte Körperhaltung eine beherrschte Anspannung im direkten Blickkontakt vermittelt. Eine Form der Zurücknahme der bildlichen Repräsentation und ihrem Bezug zur Mode, die nicht nur Kleidung und Haartracht, sondern auch ideale Gesichtsformen betrifft, sticht in den Frauenportraits von Dora Hitz dadurch hervor, dass sich die modische Kleidung oder die Accessoires malerisch auflösen und auffächern. Stets wird die Aufmerksamkeit auf das lockere Zusammenspiel zwischen der dargestellten Figur und dem Raum gelenkt.7 Dies kann anhand des Gemäldes Sitzende Dame in rotem Kleid beobachtet werden (Abb. 4). In einem Wirbelsturm von Pinselstrichen fließt das lange rote Kleid in einen diffusen Umraum aus. Der schwarze Tüll an ihren Puffärmeln ist in der Weise gemalt, dass gleichzeitig die Spur der Pinselführung sowie die 3 Detail der Hände 2 Detail des Kopfes
55 Transparenz des Textils wahrgenommen werden kann. Die linke Hand ist hinter dem roten Gewand teils verborgen. Die rechte Hand hält einen Fächer, der sich den schwarzen Schlieren im Faltenwurf des Gewands anschmiegt, und die Quaste nimmt den weißen Glanzreflex im Gewand und an der Stuhllehne auf. Die malerische Freiheit steht hier für eine Haltung, in der sich Selbstbewusstsein und Zurückhaltung im Sinne der Vornehmheit paaren. Bei diesem Gemälde handelt es sich vermutlich um ein Selbstbildnis, wie der Vergleich der Augenbrauen, Nasen- und Lippenpartie sowie auch der Frisur mit einer späteren Fotografie von Dora Hitz nahelegt (S. 129). Vielleicht zeitgleich entstanden, kann das Gemälde Sitzende Dame in rotem Kleid auch als Antwort auf das um 1904 entstandene Bildnis von Dora Hitz ihres Malerkollegen Eugen Spiro gesehen werden (Abb. 5). 4 Dora Hitz, Sitzende Dame im roten Kleid, o. D., Privatbesitz 5 Eugen Spiro, Portrait Dora Hitz, um 1905, Privatsammlung Berlin
56 Auf der Rückseite des Gemäldes ist dieses mit »Fräulein Dora Hitz Lützowplatz 12«8 bezeichnet. Die linke Hand ist hier nicht halb verborgen, sondern schließt, beringt, mit dem Fächer, kompositorisch einen Kreis. Ein Spezifikum der Malerei von Dora Hitz tritt bei diesem Vergleich, der die verschmelzende Verbindung von Figur und Grund beziehungsweise der portraitierten Frauen und ihrem Umfeld hervorhebt, sogleich ins Auge.9 Im Gemälde von Spiro hingegen stellt die auf dem Stuhl abgelegte Stola mit einem grünen und orange-roten Blumenmuster und die ans Kleid gesteckte rote Blume mit grünen Blättern eine Verbindung her, die naturalistischer gemalt ist und die gegenständliche wie räumliche Situierung klar vor Augen führt. Das schwarze Kleid trennt diese Bildelemente voneinander und die porträtierte Malerin setzt sich in ihrer gesamten Gestalt farblich wie zeichnerisch klar umgrenzt von ihrer Umgebung ab. Der floral gemusterte Vorhang und die gräuliche Fläche dahinter weist Ähnlichkeiten mit dem Hintergrund des vermuteten Selbstbildnisses beziehungsweise der Sitzenden Dame in rotem Kleid von Dora Hitz (Abb. 4) auf. Ansatzweise können hier ein goldgerahmter Spiegel und ein roter Vorhang in einer homogenen Farbfläche in vertikal und horizontal gesetzten Pinselstrichen nur vermutet werden. Während sich der Vorhang bei Spiro in klaren Konturen von der grauen Fläche abhebt, führt die Strukturierung der Pinselstriche und der verschwommenen Farbverläufe bei Dora Hitz zu fließenden Übergängen, weshalb es sich hierbei weniger um einen Hintergrund als vielmehr um einen Grund handelt. Dies führt dazu, dass die weibliche Figur, anders als bei Spiro, nicht klar räumlich verortet werden kann. Stattdessen wird der ganze Raum flächig und farbig gestaltet, aus dem die weibliche Figur in ihrer Körperdrehung plastisch hervortritt. In beiden Frauenportraits von Dora Hitz kann ein Wechselspiel von Hervortreten und Distanznahme in der farblichen wie räumlichen Verschmelzung von Figur und Grund beobachtet werden (Abb. 1, 4). Dies ist auch in dem mutmaßlichen Portrait von Walther Rathenau zu erkennen (Kat. 15).10 Die Wand, die in verschiedene mittelbraune Felder unterteilt ist, erkennt man als Hintergrund. Doch auch dieser zeichnet sich durch eine farbliche Unterteilung als Fläche aus. Der Dargestellte sitzt frontal auf dem schräg gestellten Sessel und scheint sich mit dem Oberkörper zurückzulehnen, während das übergeschlagene Bein nach vorne in den Raum hinausragt. Sein schwarzer Schuh ist leicht angeschnitten, und man hat hier den Eindruck, dieser würde sogar den Bildraum durchbrechen. Diese Körperhaltung des Zurücklehnens und Nachvornetretens geht in diesem Gemälde auf den beigen Sessel zurück. Aufgrund seiner flächigen Seitenansicht markiert er im Mittelfeld eine Bildebene, von der aus sich der Oberkörper räumlich nach hinten und die Beine nach vorne erstrecken können. Innerhalb dieses flächig strukturierten Bildraums entsteht eine Bewegung in die flächige Tiefe und in die plastische Nähe. Der Papierstapel, auf dem die rechte Hand ruht, verschmilzt farblich mit dem Hintergrund des Sessels, genauso wie die
57 Zigarre mit der Farbe des Anzugs. Insgesamt bildet der helle Sessel einen Kontrast zur schwarzen Kleidung. Er sitzt nicht richtig im Stuhl, wodurch der Eindruck entsteht, er hätte zuvor in seitlicher Position gesessen und sich rauchend der Lektüre gewidmet, während er sich nun hier und jetzt uns zuwendet. Augenblickhaftes Innehalten In ihren ganzfigurigen Portraits griff Dora Hitz ebenfalls eine betonte Körperdrehung auf, um einen momenthaften Charakter hervorzurufen. Dies ist in dem Bildnis der Malerin Maria von Brocken aus dem Jahr 1891 zu erkennen (Abb. 6).11 »Die dargestellte Dame ist eine Freundin und ehemalige Schülerin der Künstlerin, jetzt selbst eine Künstlerin, deren Name schon vielfach mit Auszeichnung genannt wurde«,12 so ist es aus der Illustrierten Frauen-Zeitung von 1897 zu entnehmen. Maria von Brocken scheint in diesem Portrait wie eine Spaziergängerin voranzuschreiten. Dies geht nicht nur aus ihrer Körperhaltung hervor, sondern auch im Faltenwurf des Rocks und insbesondere dadurch, dass nur eine Schuhspitze darunter hervorlugt. Als Schreitende bewegt sie sich auf einen flächig dargestellten Raum mit einem Podest zu, der sich hinter dem Vorhang auftut. Diesen hat die Malerin von Brocken bereits mit ihrer rechten Hand ergriffen, um ihn beiseite zuschieben. In ihrer anderen Hand hält sie einen Blumenstrauß, der sie auch als Blumenmalerin auszeichnet. Die kahle Wand ist hier ebenfalls malerisch strukturiert und im Kolorit des gesamten Gemäldes gehalten, wie im Artikel Aus unseren Kunstsalons der Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung von 1893 bemerkt wurde: »In einem zweiten ganzfigurigen Damenportrait stellt die Malerin einen derbkräftigen koloristischen Kontrast hin mit der zinnoberrothen Blouse und dem schwarzen Rock.«13 Leicht in Rückenansicht dreht Maria von Brocken sich um und blickt uns mit leicht geöffnetem Mund an. Innerhalb der transitorischen Bewegung des Gehens in Richtung des Raumes hinter dem Vorhang und des Öffnens desselben Vorhangs unterbricht sie diese, um sich uns zuzuwenden. Vermutlich kannte Dora Hitz das Gemälde Camille14 (1866) von Claude Monet, in welchem anstelle »statischer Frontalität, die die meisten offiziellen Portraits auszeichnet, [...] eine schreitende Bewegung und die Ansicht schräg von hinten«15 eingesetzt wurde (Abb. 7). »Diese Rückenansicht, der Profilkopf und die bewegte Pose waren aber auch für bürgerliche Portraits höchst ungewöhnlich, weil auf diese Weise die Darstellung der individuellen Gesichtszüge schwer möglich war.«16 Es handelt sich dabei um das zeitgenössische Bild einer Parisienne und nicht um ein Portrait, auch wenn man weiß, dass es sich bei dem Modell um Camille handelt.17 Dora Hitz griff einige Bildmodi von Monet auf, ließ aber das Gesicht stärker in unsere Richtung sich wenden, sodass die ganzfigurige Dame auch als Maria von Brocken zu erkennen ist. Zugleich wurde sie von Dora Hitz als eine zeitgenössische, gar moderne Malerin dargestellt. In dieser Hinsicht knüpft sie ebenfalls an Monets Camille und an
Eine Frage des Stils? Annette Dorgerloh Der Begriff des ›deutschen Impressionismus‹ und seine Bedeutung für Karriere und Nachruhm von Künstlerinnen der Berliner Secession
85 Bis heute bildet der weithin positiv besetzte Begriff des Impressionismus und eine Zuordnung zu dieser Stilrichtung eines der entscheidenden ›harten‹ Kriterien für die Wertschätzung von Künstlern und Künstlerinnen dieser Generation. Während gleichaltrige VertreterInnen des Realismus und der Stilkunst im Rückblick eher als ›an der Schwelle zur Moderne‹ stehend charakterisiert werden, erscheint die Avantgarde der ImpressionistInnen als ihr bereits zugehörig. Diese Lesart einer »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« – ein von Ernst Bloch für die 1930er-Jahre als Kennzeichen der Moderne geprägter Begriff – verfestigt das Bild eines Epochenbruchs, den der Impressionismus als etwas grundlegend Neues bewirkt habe. Theophile Gautier hatte die Bezeichnung ›impressionistisch‹ erstmals 1861 zur Beschreibung der Malerei Daubignys verwendet. Zu einem programmatischen Sammelbegriff wurde er schließlich im Frühjahr 1874 anlässlich der legendären Gruppenausstellung in Nadars Atelier am Pariser Boulevard des Capucines.1 Schnell wurde der von der Kunstkritik zunächst abwertend gemeinte Terminus zu einem Qualitätsbegriff, vermochte er doch das Anliegen dieser Künstlergruppe, die stimmungsvolle Darstellung von flüchtigen Momentaufnahmen auch jenseits der traditionellen akademischen Themenfelder sowie ihr neuer Umgang mit Licht und Farbe adäquat zu fassen. Gleichwohl waren sich auch die deutschen BewunderInnen dieser neuen Kunstrichtung wie Max Liebermann oder Paul Cassirer darin einig, dass es sich dabei nicht nur um eine andere Art der Malerei handelt, sondern um eine »geistige Bewegung« und »neue Weltanschauung«, mithin eine Renaissance der Kunst, die kein geringeres Ziel hatte als die »Erneuerung« des Lebens.2 Als deren Protagonisten schätzten, kauften und präsentierten Paul Cassirer und Max Liebermann bevorzugt Edouard Manet, aber auch Claude Monet, Auguste Renoir, Edgar Degas und Camille Pissarro; Cassirer fokussierte sich später besonders auf Paul Cézanne. Die späte Würdigung der Impressionistinnen Obwohl Künstlerinnen wie Berthe Morisot, Mary Cassatt, Eva Gonzalez oder Marie Bracquemond von Anfang an zum engsten Kreis der Pariser Impressionisten gehörten und mit ihnen zusammen auch regelmäßig ausstellten, wurden sie nicht in gleicher Weise wahrgenommen und rezipiert. Es dauerte unfassbar lange, ehe die Kunstgeschichtsschreibung sie ebenfalls als Neuerinnen würdigte und sie als »Meisterinnen des Lichts« schließlich in den impressionistischen Kanon aufgenommen wurden.3 Dieses Schicksal teilten die impressionistisch arbeitenden, vielfach in Paris ausgebildeten Künstlerinnen in Deutschland. Auch sie erfuhren in den Jahren vor und nach 1900 zunächst durchaus größere Anerkennung, vor allem, wenn sie Mitglieder der Sezessionen waren und dort ausstellten. Allerdings machten sie in der Folgezeit nahezu alle die Erfahrung vielfältiger Karriereeinbrüche und -abbrüche. Dora Hitz war dabei nicht die einzige. Auch Sabine Lepsius und die ebenfalls zeitlebens sehr gut vernetzten Frauen Maria Slavona, Clara Siewert und Julie Wolfthorn traf eine ähnlich zunehmende Nichtbeachtung und ein Vergessenwerden, was bis in die 1970er-Jahre anhielt. Erst die sozialhistorische Künstlerinnenforschung als Teil der zweiten Frauenbewegung wandte sich wieder diesen Vorläuferinnen, ihren Werken, Kontexten und Bedingungen zu.4 Dies überrascht angesichts der Tatsache, dass sich in einzelnen Kunstkritiken im Berlin der Kaiserzeit durchaus Bezugnahmen auf den französischen Impressionismus finden lassen. So hieß es in der renommierten Zeitschrift Kunst und Künstler 1912 über die Einzelausstellung mit neueren Arbeiten von Dora Hitz in der Galerie Fritz Gurlitt: »Der Gesamteindruck war außerordentlich lebendig und frisch. Man möchte Dora Hitz eine deutsche Berthe Morisot nennen, wenn solche Vergleiche nicht immer etwas Bedenkliches hätten.«5 Das Zitat ist aufschlussreich, denn es zeigt, dass auch deutsche Kritiker und Publizisten aus dem Verlag und Umfeld der Vettern Bruno und Paul Cassirer sehr wohl auch die Malerei französischer Künstlerinnen wie Berthe Morisot (Abb. 1) zur Kenntnis Detail aus Kat. 3
86 ten Vergleich mit der französischen Entwicklung vorzunehmen? Die mit Edouard Manets Bruder verheiratete Morisot war zu diesem Zeitpunkt bereits fast 20 Jahre tot. Wie sie hatte auch Dora Hitz bevorzugt Frauen und Kinder in privaten Situationen gemalt; zugleich aber war Hitz auch als Portraitmalerin finanziell und künstlerisch lange Zeit sehr erfolgreich. Als älteste der Berliner Secessionistinnen hatte sie Manet, Renoir und Cézanne in Paris persönlich getroffen.6 Während aber auf Berthe Morisots Totenschein noch »ohne Beruf« vermerkt worden war,7 gehörte Hitz neben ihren Secessionskolleginnen bereits zu den anerkannt professionellen Künstlerinnen, die gleichwohl – trotz aller Erfolge – am Ende ihres Lebens in Vergessenheit gerieten. Im Folgenden soll nun nach den Gründen für diese Entwicklung gefragt werden. Im Zentrum stehen dabei Überlegungen zur Rolle der Stilkategorie des Impressionismus beziehungsweise der Folgen einer Zuordnung oder auch Nichtzuordnung von Künstlerinnen wie Dora Hitz zur Gruppe der ›deutschen Impressionisten‹. Gemeinhin wird unter letzterem die Trias Liebermann, Slevogt und Corinth verstanden, die bis heute als Hauptmeister eines deutschen Impressionismus gelten. Die Debatte um den Stil des ›deutschen Impressionismus‹ Noch 2009 resümierte Uta Baier in einer Ausstellungsrezension: »Frankreich hat den Impressionismus erfunden, Deutschland den Expressionismus. Das ist der Inhalt 1 Berthe Morisot, Selbstbildnis, 1885, Musée Marmottan Monet nahmen, obwohl sie in den Publikationen insgesamt nur selten berücksichtigt wurden. Auch Maria Slavona wurde zurecht mit Berthe Morisot verglichen. Daher rührt die Frage, was als das »Bedenkliche« an einem solchen Vergleich damals gemeint sein konnte. War es die Tradition der herkömmlichen »Meister«-Diskurse, die nur männlichen Kunstschaffenden kreative Innovationen zutraute? Gab es vielleicht eine Scheu davor, einen direk-
87 der offiziellen Kunstgeschichtsschreibung und nichts kann die erschüttern. Deshalb ist es sehr kühn zu behaupten, ein deutscher Impressionismus existiere weit über die bekannten drei, traditionell zum Impressionismus gerechneten Maler Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt hinaus, wie das jetzt die Kunsthalle Bielefeld tut.«8 Der Deutsche Impressionismus, so der Ausstellungstitel, gelte halt »lediglich als Fußnote der Kunstgeschichte« auf dem Weg zum Expressionismus.9 Was Thomas Kellein im Katalogvorwort noch als Frage formuliert hatte, wurde in der Ausstellung quasi als Bestätigung gewonnen, denn, so Baier, »das spektakuläre, aufregende Bild« bekommen die Besucher hier nicht zu sehen: Was in Deutschland als Impressionismus entstand, »ist eine beruhigende, kleine Welt, die den großen künstlerischen Aufbruch nicht atmet und in der auch Jahrzehnte nach den impressionistischen Lichtmalereien noch immer genrehafte Szenen entstehen, wie sie einst die Romantiker malten«.10 Die Kuratorin Jutta Hülsewig- Johnen vermutete, dass »die geringe öffentliche Wahrnehmung des deutschen Impressionismus fraglos auch und gerade der Dynamik der künstlerischen Entwicklung in Deutschland nach der Jahrhundertwende zuzuschreiben« ist, die diesem Stilphänomen »kaum Zeit lässt, seine Wirkung nachdrücklich zu entfalten«.11 Nach dessen langer Inkubationszeit seien der Expressionismus und all die anderen neuen Strömungen einfach zu schnell gefolgt; für die meisten KünstlerInnen war der Impressionismus ohnehin nicht mehr als eine Phase in ihrem Schaffen gewesen. Abgesehen davon war die Situation in Deutschland durch die vielen Zentren unübersichtlicher als die in Paris, denn tatsächlich wurde die von den ZeitgenossInnen als abrupt erfahrene »Kunstwende« (Herwarth Walden) vom Impressionismus zum Expressionismus vielfach als grundlegend gegensätzlich interpretiert, obwohl beides über viele Jahre in den Großstädten nebeneinander existierte und es überdies auch Gemeinsamkeiten gab, etwa eine »Formwerdung des Subjektiven«, die Individualität des Pinselduktus und ein anti-akademisches Primat des Sehens.12 Diesen Befund bestätigten zuletzt eindrücklich die differenziert auslotenden Ausstellungen Impressionismus/Expressionismus. Kunstwende der Alten Nationalgalerie 2015 und Impressionismus/deutsch-französische Begegnungen der Hamburger Kunsthalle 2021. Während also der Expressionismus als genuin deutsch interpretiert wurde, galt der Impressionismus klar als französische Invention, die von deutschen KünstlerInnen erst mit einem zeitlichen Abstand von 20 Jahren aufgegriffen wurde. Dies äußerste sich in einer starken Aufhellung der Farbigkeit und einem lebhafteren Malstil. Trotz der Nähe zu den französischen Vorbildern gab es aber doch Eigenheiten, die den deutschen Impressionismus von dem des Nachbarlandes unterschieden: Licht, Luft und Atmosphärisches spielten hier, wie Angelika Wesenberg 2006 konstatierte, eine geringere Rolle; auffallend sei auch eine eher nüchterne Auffassung. Das Thema blieb weiterhin wichtig – als Bestandteil der Beschäftigung mit formalen Fragen.13 Insgesamt erscheinen die Farben bei den deutschen ImpressionistInnen tendenziell dunkler, verhaltener; die Machart ist grafischer, zeichnerischer. Peter-Klaus Schuster stellte im Vorwort des Katalogs 2006 gleichwohl klar, dass nicht die Motive, sondern die »Art der Malerei« revolutionär war. Damit schloss er direkt an Max Liebermann an, der gesagt hatte, dass »die Erfindung des Malers in der Ausführung beruht«.14 Viele KünstlerInnen nahmen einzelne Elemente impressionistischer Malerei in ihre Bilder mit auf – etwa bei den Hintergründen oder bei minder wichtigen Partien und Elementen –, dafür prägte Karl Scheffler den Begriff des SalonImpressionismus. Begriffsprägung – eine historische Kontextualisierung Die Begriffsprägung eines ›deutschen Impressionismus‹ geht wohl auf die Vettern Cassirer zurück, die ihn zur Vermarktung der von ihnen vertretenen Künstler einsetzten; quellenmäßig überliefert ist er als Aussage Charlotte BehrendCorinths in Hans-Jürgen Imielas Monografie Slevogt von 1968.15 Wie Jasper Warzecha dargelegt hat, wurde und wird dieser Begriff in der Kunstgeschichte »entweder als nationaler Opportunismus abgelehnt oder im Sinne einer Präzisierung und Verfeinerung als internationale Nuance befürwortet«.16 Emil Heilbut, einer der frühen Sammler und Befürworter französi-
88 scher impressionistischer Malerei, schrieb 1903 in seiner Publikation Die Impressionisten, erschienen im Verlag Cassirer, anlässlich der Wiener Impressionisten-Ausstellung – in die bezeichnenderweise Werke der alten Kunst einbezogen worden waren: »Der Ursprung des Wortes Impressionismus ist in die Nacht der Zeiten getaucht. [...] Jedenfalls steht fest, daß das Wort unglücklich ist. Als man zum ersten Mal den Ausdruck Nihilist las, der von Turgenjeff erfunden ist«, so Heilbut weiter, »wusste man auch ohne Aufklärung, was ein Nihilist ist: nicht so ist es mit dem Wort Impressionismus. Es läßt den Gedanken zu, es handle sich um etwas Flüchtiges, Skizzenhaftes. Auch wird das Wort allgemein – mit Unrecht – derartig angewendet. Die französischen klassischen Impressionisten malten aber durchaus nicht skizzenhaft. Die Spötter haben gewähnt, sie malten flüchtig – tatsächlich waren sie Meister eines hervorragend gründlichen Sehens.«17 Während wir heute unter dem Begriff des Impressionismus einen Teil der Gegenwartskunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts fassen, führte er nach 1900 zu grundsätzlichen Betrachtungen. So wie in der Kunsttheorie jener Zeit zwischen Abstraktion und Einfühlung unterschieden wurde, hier ist besonders Wilhelm Worringers Dissertation von 1907 hervorzuheben, so publizierte der Kunsthistoriker Richard Hamann im selben Jahr eine erste umfassende Darstellung des Impressionismus als kulturgeschichtliche Strömung: Der Impressionismus in Leben und Kunst. Der Titel zeigt bereits, dass es ihm um mehr als einen Stil in der bildenden Kunst ging. Die gesamte Lebenstätigkeit mit allen Aspekten – Wohnen, Kleidung, Kunst, Musik und Literatur – war Teil eines umfassenden Erneuerungsprozesses, der dem Oberbegriff Impressionismus subsummiert wurde.18 Werner Weisbach folgte Hamanns Dissertation von 1907 nur wenige Jahre später mit einer zweibändigen Ausgabe seines Werkes Impressionismus. Ein Problem der Malerei in der Antike und Neuzeit.19 Auch er ging, wie Hamann, weit zurück bis in die frühen Kulturen, in dem Bemühen, das Impressionistische als eine künstlerische Grundhaltung zu beschreiben, die von einem hochentwickelten Sehen als künstlerisch-ästhetischem Wahrnehmungsprozess ausgeht, der entsprechende Darstellungen bedingt. So sah Weisbach bereits in der Höhlenmalerei von Altamira, dann in der Antike, in der venezianischen und niederländischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts impressionistische Bestrebungen; ebenso im Klassizismus und der Romantik bis in die Gegenwart, wobei er auch die ostasiatische Malerei Chinas und Japans mit einbezog. Er war sich bewusst, dass er mit seinen Betrachtungen eine andere Richtung als Hamann eingeschlagen hatte und damit zu geradezu entgegengesetzten Resultaten gekommen war. Impressionismus als eine grundlegende malerische Verhaltensweise sah Hamann nämlich als Spätform hinsichtlich des französischen Impressionismus an. Karl Scheffler wiederum sah sie als Frühform in Bezug auf die weitere Kunstentwicklung, die schließlich in den Expressionismus münden sollte, obwohl er diesen letztlich nicht wirklich goutierte. Einig waren sich Weisbach und Hamann allerdings darin, dass ihre Darstellungen schlussendlich in eine Würdigung der gegenwärtigen Werke von Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt mündeten. Sie bildeten den Ausgangs- und Endpunkt ihrer Betrachtungen. Herbert Read äußerte rückblickend 1932, dass »Maler wie Slevogt, Corinth und Liebermann den besten der französischen Schule kaum nachstehen«.20 Dieser Befund würde gleichermaßen auch für Künstlerinnen wie Dora Hitz, Maria Slavona (Abb. 2), Julie Wolfthorn oder Sabine Lepsius gelten, auch wenn sie in diesen Überblicksdarstellungen nicht vorkamen. Die Rolle der Sezessionen und des Kunstbetriebs Letztlich waren es nicht in jedem Fall nur stilistische Gründe, die eine Mitgliedschaft in den Secessionen herbeiführten oder nicht, sondern mehr noch – und das wäre die These – ein ›moderner‹ Habitus, eine bestimmte Art von Künstlertum, das über die reine künstlerische Produktion hinaus mit seiner gesamten Lebenstätigkeit anschlussfähig war an die Ideale eines neuen internationalen Künstlertypus, so wie er unter anderem von Richard Hamann beschrieben wurde. Das aber war nur eine Voraussetzung. Entscheidend für die Durchsetzung war die mediale Vermittlung, also die Sichtbarkeit und Präsenz von KünstlerInnen, nicht nur in den Ausstellungen selbst, sondern vor allem in den relevanten
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