Leseprobe

14 in Berlin. In der Auswahl der hier versammelten Gemälde scheint Hitz’ stete Wiederkehr zu bestimmten Themen und Motiven auf, wobei sich alle Werke auf die Darstellung von Menschen konzentrieren.5 Hitz malte Frauen, die von Blumen eingefasst sind. Sie widmete sich der Darstellung von Mutterschaft. Sie schuf repräsentative Auftragsportraits. Und sie zeigte Frauen und Kinder mit Früchten in der Natur oder in italienischen Gärten. Indem die Ausstellung diese vier zentralen Werkgruppen der Künstlerin beleuchtet, ermöglicht sie nicht nur einen zugänglichen Einblick zum Verständnis ihres Œuvres. Sie macht im vergleichenden Sehen zudem übergeordnete künstlerische Strategien sichtbar. Zu diesen zählen die Variation des malerischen Stils, angepasst an das jeweilige Motiv und seine Anforderungen, und das wechselseitig verwobene Verhältnis von Bildfigur und Hintergrund beziehungsweise vom dargestellten Körper und Bildraum. Dazu zählen der vielseitige und reflektierte Umgang mit Themen, die der Lebenswelt von Frauen jener Zeit entspringen und mit den vorherrschenden Diskursen, Konzepten und Topoi von Weiblichkeit, aber auch jene künstlerischen Strategien, auf die der Titel der Ausstellung Mit dem Alten um das Neue kämpfen anspielt. Zum einen fand Hitz in ihren Werken neue Interpretationen und Ausdrucksformen für klassische, in der Tradition verankerte Motive, zu denen alle vier oben genannten Sujets gehören. Zum anderen blieb die Künstlerin bei all diesen Spielarten des Malerischen stets einem älteren Kunstverständnis verhaftet: Obgleich sich in ihren Werken avantgardistische Tendenzen der Zeit abzeichnen, lösen sich ihre Darstellungen nie vollständig von einer figürlich-realistischen Malweise. Die Position der Dora Hitz ist von augenscheinlichen Widersprüchen geprägt: Als Frau war sie in ihrem Bewegungsradius und ihrer Handlungsfähigkeit den männlichen Kunstschaffenden gegenüber deutlich eingeschränkt und aus vielen, vor allem staatlichen Kunstinstitutionen systematisch ausgeschlossen. Dennoch prägte sie die deutsche Kunstszene um 1900 maßgeblich mit. Sie war mit ihren Werken auf bedeutenden Ausstellungen vertreten, sicherte sich wichtige Auftragsarbeiten und wurde wie kaum eine andere Malerin ihrer Zeit von der Kunstkritik rezipiert. Doch obwohl Hitz stilistisch wie thematisch als eine wichtige Vertreterin der Moderne in Berlin gelten kann, gerieten ihr Werk und ihre Biografie nach ihrem Tod in Vergessenheit. Ein Grund hierfür könnte sein, dass sie – wie viele andere Künstlerinnen ihrer Zeit – gezwungen war, eine Sonderstellung einzunehmen, um innerhalb des Kunstbetriebs Anerkennung zu erlangen und (finanziell) bestehen zu können. Schon früh wurde ihr von der deutschen Kunstkritik, die in den 1890erJahren umfassend die Frage weiblichen Kunstschaffens diskutierte, ein privilegierter Zugang zu weiblichen Themen zugesprochen.6 Der Kunstschriftsteller Karl Scheffler schrieb noch im Jahr 1916: »Dem arg verrufenen Begriff der Frauenkunst hat Dora Hitz die Würde zu wahren oder gar zurückzugewinnen verstanden. Das ist die Mission, die sie innerhalb der modernen deutschen Kunst geübt hat.«7 Man stilisierte Hitz zum Paradebeispiel einer Künstlerin, wodurch sie jedoch weitestgehend auf die Beschäftigung mit weiblichen Themen und Motiven reduziert blieb. Ihr progressiver und eigenständiger Malstil trat in der Wahrnehmung hinter den weiblichen Sujets zurück. Diese genderspezifische Rezeption und geschlechtsideologisch geprägten Urteile sicherten Hitz zu Lebzeiten großen Erfolg, sorgten aber schon gegen Ende ihres Lebens für einen rapiden Bedeutungsverlust. Der sich zeitgleich formierende kunsthistorische Kanon begünstigte diese Entwicklung zusätzlich: Zum einen präferierte er die Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts, nicht jedoch die ihnen vorangegangene Generation, die den Grundstein dieser Entwicklungen gelegt hatte. Zum anderen spielten in diesen frühen kunsthistorischen Texten weibliche Positionen – selbst solche, die zu ihrer Zeit erfolgreich waren und breit rezipiert wurden – beinahe keine Rolle mehr.8 Aus dem Dickicht der Farbe Aus dem Dickicht der Farbe lösen sich die Körper der fünf annähernd lebensgroßen Figuren (Abb. 3). Drei Landarbeiterinnen auf der linken Bildseite balancieren mit Trauben gefüllte Lesekörbe unterschiedlicher Größe auf ihren Köpfen. Sie treten einem Jungen, der eine Handvoll Trauben zum Mund führt, und einem Mann mit geschulterter Kiepe im rechten Bildteil entgegen. Dora Hitz hat ihre Körper mit breiten, langen Pinselstrichen gemalt, die präzise

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