15 gesetzt sind und expressiv anmuten. Bunte Farben bestimmen Inkarnat und Kleidung der Figuren ebenso wie deren Kontur. Durch das Bild flirrt helles Sonnenlicht. Es lässt die Landschaft, die hier den Bildhintergrund stellt, hell erstrahlen. Sie ist aus kurzen, bunten Pinselstrichen zusammengesetzt und scheint – vergleichbar einer Tapisserie – abstrakte, ornamentale Formen auszubilden. Die Betrachtenden werden direkt angesprochen: Involvierend, fragend, herausfordernd blicken die Frau links und der Junge rechts aus dem Bild heraus und durchbrechen so das innerbildliche Narrativ. Hitz zeigt mit ihrem Gemälde Weinernte eine ganz eigene Version des traditionsreichen Erntethemas. Dargestellt wird bei ihr nicht, wie in anderen Werken dieser Zeit oder in früheren Bildern üblich, die Arbeit auf dem Feld oder ein Moment der Rast und Erholung. Der Fokus liegt vielmehr auf dem kontrastreichen Zusammenspiel von Licht und Farbe, Bildfigur und Hintergrund, das der gestisch-expressive Pinselduktus hervorbringt, sowie auf Aktivität und Potenzial der arbeitenden Frauenkörper. Bei Hitz tragen weibliche Figuren stolz und aufrecht die Früchte der getanen Arbeit ins Bild. Sie repräsentieren die Weinlese in fast schon portraithafter Form. Die Titel gebenden Früchte hingegen rücken buchstäblich in den Hintergrund und rahmen das Geschehen ein. Die Frauen tragen schlichte Kleidung, wobei Farbe und Duktus eine schimmernde Oberfläche evozieren und so der Stofflichkeit eine individuelle, beinahe luxuriöse Note verleihen. Formal erinnern die statuarischen Gestalten mit der starken Betonung der Vertikalen an antike Darstellungen der Kanephoren (Korbträgerinnen) oder Karyatiden, wie sie etwa in der Korenhalle auf der Akropolis zu finden sind. Ambivalent bleibt, wie die von Hitz im Bild inszenierte Weiblichkeit zu lesen ist. Je nach Perspektive lässt sich aus der Weinernte der sozialromantisch verklärte Blick einer großbürgerlichen Malerin auf die Landarbeit lesen, wie auch die überzeitliche malerische Feier weiblicher Erwerbsarbeit, konzipiert von einer ökonomisch unabhängigen Kunstarbeiterin. Mit der Weinernte schuf Hitz, die sich zu dieser Zeit bereits ihrem 60. Geburtstag näherte und deren Leben zunehmend von Krankheit und Entbehrungen gezeichnet war, ein imposantes Werk, das einen Höhepunkt ihrer weit verzweigten Karriere als Malerin markierte und mit dem sie sich zudem formal und motivisch neu positionierte. 3 Dora Hitz, Weinernte, um 1909, Stiftung Stadtmuseum Berlin
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