Leseprobe

53 In der Berliner Portraitmalerei um 1900 ist die Tendenz zu beobachten, dass weibliche Modelle idealtypischer dargestellt wurden. Während in den Herrenportraits mehr das Individuelle im Vordergrund steht, wurde dies bei den Frauen eher zurückgenommen, um stattdessen die »gegebene Erscheinung auf die Züge hin zu durchforschen, die jenem Idealbilde zugehören, das jeder von sich im Stillen vor Augen hat«.1 Lediglich bei den Bildnissen älterer Frauen wurde ein höheres Maß an Individualität zugelassen, da ein repräsentativer Charakter eine genealogische Würdigung ermöglichte.2 Bei jüngeren Damen hingegen galt weiterhin die Regel, diese schön, anmutig und in dekorativen Posen darzustellen, weshalb häufiger eine idealisierende, modische Typisierung im Zentrum stand.3 Vor diesem Hintergrund wird das Fazit von Hans Rosenhagen, dass in der Malerei von Dora Hitz »nicht eine Spur von Pose« zu finden sei, verständlicher. Pose ist Repräsentation, weshalb das Zurücknehmen der Pose auch mit einer Zurücknahme der Repräsentation einhergeht. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, zeichnen sich die Portraits von Dora Hitz durch eine entschiedene Reduzierung etablierter Darstellungskonventionen aus, um stattdessen das Malerische und das augenblickhafte Innehalten innerhalb einer transitorischen Bewegung in den Vordergrund zu rücken. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, in welcher Weise sich die dargestellte Haltung der Portraitierten und die Auflösung konventioneller Repräsentationsmodi idealtypischer Frauenbildnisse mit einer spezifischen Darstellungsweise verbinden, für die Dora Hitz steht. Die Besonderheit ihrer Werke gilt es daher in den Blick zu nehmen, um die lange Zeit vergessenen Gemälde genauer zu erkunden. Dies bedeutet, die Malerei von Dora Hitz nicht sogleich unter bekannten Stilrichtungen ihres Umkreises zu subsumieren, sondern ihren spezifischen, eigenen Weg zu erkennen, den sie mit viel Mut und als eine der wenigen Frauen um 1900 in Berlin eingeschlagen hat. Wechselspiel von Hervortreten und Distanznahme Auf dem Gemälde Mathilde Emma Alenfeld gibt es ein auffälliges Detail (Abb. 1).4 An ihrer rechten Hand blitzen goldene Ringe mit Edelsteinen hervor, während zwei ihrer Finger hinter den Falten ihres schwarzen Gewandes verborgen bleiben (Abb. 3). Der Schattenwurf des Ärmelsaums auf dem Handgelenk weist darauf hin, wie hell dieses beleuchtet wird. Im Gegenzug befindet sich die linke Hand, die auf einer Armlehne ruht, im Halbdunkel. Das Handgelenk ihrer Linken mit goldenem Armreif wird enthüllt, indem sich das Innenfutter des Ärmels in hellem Lila wie eine Blume entfaltet. Auch räumlich tritt diese Hand in einem dämmernden Zwielicht in den Hintergrund zurück, während die rechte Hand innerhalb des starken Hell-Dunkel-Kontrasts in den Vordergrund rückt. Die malerische Spannung von Erscheinen und Verschwinden bei der linken Hand und von Zeigen und Verbergen bei der rechten Hand ist für die gesamte Darstellungsweise des Gemäldes aufschlussreich. Dora Hitz setzte die Witwe Mathilde Emma Alenfeld in ihrem schwarzen Trauerkleid vor einen schwarzen Grund, sodass sie sich sowohl räumlich als auch farblich nur leicht von ihrem Umfeld abhebt. Während der Hintergrund ins Dunkelbraune übergeht, durchzieht ein leichtes Dunkelviolett das Schwarz des Kleides. Insgesamt aber dominiert ein Schwarzton den gesamten Bildraum. Die Portraitierte ist mit ihrem Umfeld verschmolzen. Sie wird kaum in einem klar definierbaren Raum wahrgenommen und tritt stattdessen in Erscheinung und zwar in minimaler Absetzung vom flächigen Farbgrund.5 Das Schwarz als Hintergrundfarbe bildet einen starken und dennoch neutralen Grund, der sich durch Unbestimmtheit auszeichnet und dadurch die Portraitierte gleichzeitig zurück- wie auch hervortreten lässt.6 Seitlich sitzend wendet sie uns ihr Gesicht zu und nimmt in dieser Bewegung Blickkontakt auf. Doch was verbirgt sich hinter diesem Blick? Strenge oder Güte, Trauer oder Scharfsinn? Die Mehrdeutigkeit ihres Blicks intensiviert sich dadurch, dass innerhalb der dunkelgrauen Iris die 1 Dora Hitz, Portrait Mathilde Alenfeld, 1899, Stiftung Stadtmuseum Berlin

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