Leseprobe

85 Bis heute bildet der weithin positiv besetzte Begriff des Impressionismus und eine Zuordnung zu dieser Stilrichtung eines der entscheidenden ›harten‹ Kriterien für die Wertschätzung von Künstlern und Künstlerinnen dieser Generation. Während gleichaltrige VertreterInnen des Realismus und der Stilkunst im Rückblick eher als ›an der Schwelle zur Moderne‹ stehend charakterisiert werden, erscheint die Avantgarde der ImpressionistInnen als ihr bereits zugehörig. Diese Lesart einer »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« – ein von Ernst Bloch für die 1930er-Jahre als Kennzeichen der Moderne geprägter Begriff – verfestigt das Bild eines Epochenbruchs, den der Impressionismus als etwas grundlegend Neues bewirkt habe. Theophile Gautier hatte die Bezeichnung ›impressionistisch‹ erstmals 1861 zur Beschreibung der Malerei Daubignys verwendet. Zu einem programmatischen Sammelbegriff wurde er schließlich im Frühjahr 1874 anlässlich der legendären Gruppenausstellung in Nadars Atelier am Pariser Boulevard des Capucines.1 Schnell wurde der von der Kunstkritik zunächst abwertend gemeinte Terminus zu einem Qualitätsbegriff, vermochte er doch das Anliegen dieser Künstlergruppe, die stimmungsvolle Darstellung von flüchtigen Momentaufnahmen auch jenseits der traditionellen akademischen Themenfelder sowie ihr neuer Umgang mit Licht und Farbe adäquat zu fassen. Gleichwohl waren sich auch die deutschen BewunderInnen dieser neuen Kunstrichtung wie Max Liebermann oder Paul Cassirer darin einig, dass es sich dabei nicht nur um eine andere Art der Malerei handelt, sondern um eine »geistige Bewegung« und »neue Weltanschauung«, mithin eine Renaissance der Kunst, die kein geringeres Ziel hatte als die »Erneuerung« des Lebens.2 Als deren Protagonisten schätzten, kauften und präsentierten Paul Cassirer und Max Liebermann bevorzugt Edouard Manet, aber auch Claude Monet, Auguste Renoir, Edgar Degas und Camille Pissarro; Cassirer fokussierte sich später besonders auf Paul Cézanne. Die späte Würdigung der Impressionistinnen Obwohl Künstlerinnen wie Berthe Morisot, Mary Cassatt, Eva Gonzalez oder Marie Bracquemond von Anfang an zum engsten Kreis der Pariser Impressionisten gehörten und mit ihnen zusammen auch regelmäßig ausstellten, wurden sie nicht in gleicher Weise wahrgenommen und rezipiert. Es dauerte unfassbar lange, ehe die Kunstgeschichtsschreibung sie ebenfalls als Neuerinnen würdigte und sie als »Meisterinnen des Lichts« schließlich in den impressionistischen Kanon aufgenommen wurden.3 Dieses Schicksal teilten die impressionistisch arbeitenden, vielfach in Paris ausgebildeten Künstlerinnen in Deutschland. Auch sie erfuhren in den Jahren vor und nach 1900 zunächst durchaus größere Anerkennung, vor allem, wenn sie Mitglieder der Sezessionen waren und dort ausstellten. Allerdings machten sie in der Folgezeit nahezu alle die Erfahrung vielfältiger Karriereeinbrüche und -abbrüche. Dora Hitz war dabei nicht die einzige. Auch Sabine Lepsius und die ebenfalls zeitlebens sehr gut vernetzten Frauen Maria Slavona, Clara Siewert und Julie Wolfthorn traf eine ähnlich zunehmende Nichtbeachtung und ein Vergessenwerden, was bis in die 1970er-Jahre anhielt. Erst die sozialhistorische Künstlerinnenforschung als Teil der zweiten Frauenbewegung wandte sich wieder diesen Vorläuferinnen, ihren Werken, Kontexten und Bedingungen zu.4 Dies überrascht angesichts der Tatsache, dass sich in einzelnen Kunstkritiken im Berlin der Kaiserzeit durchaus Bezugnahmen auf den französischen Impressionismus finden lassen. So hieß es in der renommierten Zeitschrift Kunst und Künstler 1912 über die Einzelausstellung mit neueren Arbeiten von Dora Hitz in der Galerie Fritz Gurlitt: »Der Gesamteindruck war außerordentlich lebendig und frisch. Man möchte Dora Hitz eine deutsche Berthe Morisot nennen, wenn solche Vergleiche nicht immer etwas Bedenkliches hätten.«5 Das Zitat ist aufschlussreich, denn es zeigt, dass auch deutsche Kritiker und Publizisten aus dem Verlag und Umfeld der Vettern Bruno und Paul Cassirer sehr wohl auch die Malerei französischer Künstlerinnen wie Berthe Morisot (Abb. 1) zur Kenntnis Detail aus Kat. 3

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1