87 der offiziellen Kunstgeschichtsschreibung und nichts kann die erschüttern. Deshalb ist es sehr kühn zu behaupten, ein deutscher Impressionismus existiere weit über die bekannten drei, traditionell zum Impressionismus gerechneten Maler Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt hinaus, wie das jetzt die Kunsthalle Bielefeld tut.«8 Der Deutsche Impressionismus, so der Ausstellungstitel, gelte halt »lediglich als Fußnote der Kunstgeschichte« auf dem Weg zum Expressionismus.9 Was Thomas Kellein im Katalogvorwort noch als Frage formuliert hatte, wurde in der Ausstellung quasi als Bestätigung gewonnen, denn, so Baier, »das spektakuläre, aufregende Bild« bekommen die Besucher hier nicht zu sehen: Was in Deutschland als Impressionismus entstand, »ist eine beruhigende, kleine Welt, die den großen künstlerischen Aufbruch nicht atmet und in der auch Jahrzehnte nach den impressionistischen Lichtmalereien noch immer genrehafte Szenen entstehen, wie sie einst die Romantiker malten«.10 Die Kuratorin Jutta Hülsewig- Johnen vermutete, dass »die geringe öffentliche Wahrnehmung des deutschen Impressionismus fraglos auch und gerade der Dynamik der künstlerischen Entwicklung in Deutschland nach der Jahrhundertwende zuzuschreiben« ist, die diesem Stilphänomen »kaum Zeit lässt, seine Wirkung nachdrücklich zu entfalten«.11 Nach dessen langer Inkubationszeit seien der Expressionismus und all die anderen neuen Strömungen einfach zu schnell gefolgt; für die meisten KünstlerInnen war der Impressionismus ohnehin nicht mehr als eine Phase in ihrem Schaffen gewesen. Abgesehen davon war die Situation in Deutschland durch die vielen Zentren unübersichtlicher als die in Paris, denn tatsächlich wurde die von den ZeitgenossInnen als abrupt erfahrene »Kunstwende« (Herwarth Walden) vom Impressionismus zum Expressionismus vielfach als grundlegend gegensätzlich interpretiert, obwohl beides über viele Jahre in den Großstädten nebeneinander existierte und es überdies auch Gemeinsamkeiten gab, etwa eine »Formwerdung des Subjektiven«, die Individualität des Pinselduktus und ein anti-akademisches Primat des Sehens.12 Diesen Befund bestätigten zuletzt eindrücklich die differenziert auslotenden Ausstellungen Impressionismus/Expressionismus. Kunstwende der Alten Nationalgalerie 2015 und Impressionismus/deutsch-französische Begegnungen der Hamburger Kunsthalle 2021. Während also der Expressionismus als genuin deutsch interpretiert wurde, galt der Impressionismus klar als französische Invention, die von deutschen KünstlerInnen erst mit einem zeitlichen Abstand von 20 Jahren aufgegriffen wurde. Dies äußerste sich in einer starken Aufhellung der Farbigkeit und einem lebhafteren Malstil. Trotz der Nähe zu den französischen Vorbildern gab es aber doch Eigenheiten, die den deutschen Impressionismus von dem des Nachbarlandes unterschieden: Licht, Luft und Atmosphärisches spielten hier, wie Angelika Wesenberg 2006 konstatierte, eine geringere Rolle; auffallend sei auch eine eher nüchterne Auffassung. Das Thema blieb weiterhin wichtig – als Bestandteil der Beschäftigung mit formalen Fragen.13 Insgesamt erscheinen die Farben bei den deutschen ImpressionistInnen tendenziell dunkler, verhaltener; die Machart ist grafischer, zeichnerischer. Peter-Klaus Schuster stellte im Vorwort des Katalogs 2006 gleichwohl klar, dass nicht die Motive, sondern die »Art der Malerei« revolutionär war. Damit schloss er direkt an Max Liebermann an, der gesagt hatte, dass »die Erfindung des Malers in der Ausführung beruht«.14 Viele KünstlerInnen nahmen einzelne Elemente impressionistischer Malerei in ihre Bilder mit auf – etwa bei den Hintergründen oder bei minder wichtigen Partien und Elementen –, dafür prägte Karl Scheffler den Begriff des SalonImpressionismus. Begriffsprägung – eine historische Kontextualisierung Die Begriffsprägung eines ›deutschen Impressionismus‹ geht wohl auf die Vettern Cassirer zurück, die ihn zur Vermarktung der von ihnen vertretenen Künstler einsetzten; quellenmäßig überliefert ist er als Aussage Charlotte BehrendCorinths in Hans-Jürgen Imielas Monografie Slevogt von 1968.15 Wie Jasper Warzecha dargelegt hat, wurde und wird dieser Begriff in der Kunstgeschichte »entweder als nationaler Opportunismus abgelehnt oder im Sinne einer Präzisierung und Verfeinerung als internationale Nuance befürwortet«.16 Emil Heilbut, einer der frühen Sammler und Befürworter französi-
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