Leseprobe

88 scher impressionistischer Malerei, schrieb 1903 in seiner Publikation Die Impressionisten, erschienen im Verlag Cassirer, anlässlich der Wiener Impressionisten-Ausstellung – in die bezeichnenderweise Werke der alten Kunst einbezogen worden waren: »Der Ursprung des Wortes Impressionismus ist in die Nacht der Zeiten getaucht. [...] Jedenfalls steht fest, daß das Wort unglücklich ist. Als man zum ersten Mal den Ausdruck Nihilist las, der von Turgenjeff erfunden ist«, so Heilbut weiter, »wusste man auch ohne Aufklärung, was ein Nihilist ist: nicht so ist es mit dem Wort Impressionismus. Es läßt den Gedanken zu, es handle sich um etwas Flüchtiges, Skizzenhaftes. Auch wird das Wort allgemein – mit Unrecht – derartig angewendet. Die französischen klassischen Impressionisten malten aber durchaus nicht skizzenhaft. Die Spötter haben gewähnt, sie malten flüchtig – tatsächlich waren sie Meister eines hervorragend gründlichen Sehens.«17 Während wir heute unter dem Begriff des Impressionismus einen Teil der Gegenwartskunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts fassen, führte er nach 1900 zu grundsätzlichen Betrachtungen. So wie in der Kunsttheorie jener Zeit zwischen Abstraktion und Einfühlung unterschieden wurde, hier ist besonders Wilhelm Worringers Dissertation von 1907 hervorzuheben, so publizierte der Kunsthistoriker Richard Hamann im selben Jahr eine erste umfassende Darstellung des Impressionismus als kulturgeschichtliche Strömung: Der Impressionismus in Leben und Kunst. Der Titel zeigt bereits, dass es ihm um mehr als einen Stil in der bildenden Kunst ging. Die gesamte Lebenstätigkeit mit allen Aspekten – Wohnen, Kleidung, Kunst, Musik und Literatur – war Teil eines umfassenden Erneuerungsprozesses, der dem Oberbegriff Impressionismus subsummiert wurde.18 Werner Weisbach folgte Hamanns Dissertation von 1907 nur wenige Jahre später mit einer zweibändigen Ausgabe seines Werkes Impressionismus. Ein Problem der Malerei in der Antike und Neuzeit.19 Auch er ging, wie Hamann, weit zurück bis in die frühen Kulturen, in dem Bemühen, das Impressionistische als eine künstlerische Grundhaltung zu beschreiben, die von einem hochentwickelten Sehen als künstlerisch-ästhetischem Wahrnehmungsprozess ausgeht, der entsprechende Darstellungen bedingt. So sah Weisbach bereits in der Höhlenmalerei von Altamira, dann in der Antike, in der venezianischen und niederländischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts impressionistische Bestrebungen; ebenso im Klassizismus und der Romantik bis in die Gegenwart, wobei er auch die ostasiatische Malerei Chinas und Japans mit einbezog. Er war sich bewusst, dass er mit seinen Betrachtungen eine andere Richtung als Hamann eingeschlagen hatte und damit zu geradezu entgegengesetzten Resultaten gekommen war. Impressionismus als eine grundlegende malerische Verhaltensweise sah Hamann nämlich als Spätform hinsichtlich des französischen Impressionismus an. Karl Scheffler wiederum sah sie als Frühform in Bezug auf die weitere Kunstentwicklung, die schließlich in den Expressionismus münden sollte, obwohl er diesen letztlich nicht wirklich goutierte. Einig waren sich Weisbach und Hamann allerdings darin, dass ihre Darstellungen schlussendlich in eine Würdigung der gegenwärtigen Werke von Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt mündeten. Sie bildeten den Ausgangs- und Endpunkt ihrer Betrachtungen. Herbert Read äußerte rückblickend 1932, dass »Maler wie Slevogt, Corinth und Liebermann den besten der französischen Schule kaum nachstehen«.20 Dieser Befund würde gleichermaßen auch für Künstlerinnen wie Dora Hitz, Maria Slavona (Abb. 2), Julie Wolfthorn oder Sabine Lepsius gelten, auch wenn sie in diesen Überblicksdarstellungen nicht vorkamen. Die Rolle der Sezessionen und des Kunstbetriebs Letztlich waren es nicht in jedem Fall nur stilistische Gründe, die eine Mitgliedschaft in den Secessionen herbeiführten oder nicht, sondern mehr noch – und das wäre die These – ein ›moderner‹ Habitus, eine bestimmte Art von Künstlertum, das über die reine künstlerische Produktion hinaus mit seiner gesamten Lebenstätigkeit anschlussfähig war an die Ideale eines neuen internationalen Künstlertypus, so wie er unter anderem von Richard Hamann beschrieben wurde. Das aber war nur eine Voraussetzung. Entscheidend für die Durchsetzung war die mediale Vermittlung, also die Sichtbarkeit und Präsenz von KünstlerInnen, nicht nur in den Ausstellungen selbst, sondern vor allem in den relevanten

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1