Leseprobe

96 Sanfte Pinselstriche, eine kontrastreiche Farbpalette, eine Begegnung von Angesicht zu Angesicht – Dora Hitz lädt mit dem Waldmärchen zu einem Moment der Stille ein. Die rothaarige junge Frau mit Blumenkranz ermöglicht den Betrachtenden mit ihrem wachen Blick, der als Einladung verstanden werden kann, an der Szene teilzuhaben. Die pastellene Malweise verwischt das Sichtfeld, doch im Fokus steht das Portrait des Mädchens, das sich vom vegetativen Hintergrund abhebt. Es scheint, als würde sie eine blau-schimmernde Aura umgeben. Ihre physische Präsenz steht im Widerspruch zur weniger definierten Umgebung. Das Motiv ist kein Einzelfall – es ist Teil einer Werkgruppe, in der Hitz rothaarige Mädchen in den Fokus nahm. Die märchenhaften Portraitdarstellungen dieser jungen Frauen besitzen häufig einen symbolischen Charakter und könnten der Visualisierung tieferliegender Bedeutungen dienen. Die Bildnisse erinnern zudem an Hitz’ Zeit in Rumänien, in der sie fiktive Protagonist*innen aus den Geschichten ihrer Auftraggeberin Carmen Sylva, der Königin Elisabeth von Rumänien, malerisch zum Leben erweckte. Ob es sich bei Waldmärchen um eine symbolische Figurendarstellung oder das Portrait einer realen Person handelt, ist unklar. Weder Bekleidung noch Einbettung in eine konkret ausformulierte Handlung ermöglichen Aufschluss darüber. Elisa Plitt 1 Clématis (auch: Waldmärchen) um 1894? · Öl auf Leinwand · 50×62 cm Privatsammlung Berlin

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