Leseprobe

107 9 Soir (auch: Das Sonnenkind) um 1893 · Öl auf Leinwand 136×92,5 cm · Privatbesitz Behutsam trägt eine junge Frau ihr schlafendes Kind am Waldrand entlang durch ein Feld aus Lilien. Die Abendsonne hinterfängt ihr zusammengebundenes Haar. In einer schützenden Umarmung hält sie das Kind fest und vorsichtig zugleich. Während es sich im Schlaf an seine Mutter schmiegt, berührt ihre Wange zärtlich seinen Kopf. Bläulicher Dunst umspielt die Figuren und hebt die filigranen Lichtreflexe des schwachen Sonnenlichts umso stärker hervor. Das Nebeneinander von kühlen und warmen Tönen sowie spitzem und verwaschenem Pinselstrich eröffnet ein visuelles Spiel, das die Szene unwirklich erscheinen lässt. Hitz verlieh der Luft hier eine Plastizität, die sie anderen Bildgegenständen entzog. Ohne die obere Bildhälfte ließe sich der Rock der Frau nicht als Kleidungsstück erkennen. Er wirkt entstofflicht und die Figuren damit so flüchtig wie das Zwielicht selbst. Verdeckt man die untere Bildhälfte, scheint nicht nur die Figur, sondern auch die Zeit stehen zu bleiben. Jetzt erinnert das Bild an Mariendarstellungen, auf die auch die gewählten Lilien verweisen. Im Gegensatz zu der Frau im Bild ist Maria nie in Bewegung dargestellt. Die Lilien schirmen die in innerlicher Konzentration auf ihr Kind ohnehin unnahbar wirkende Frau zusätzlich von den Betrachtenden ab. Gleichzeitig vermitteln sie zwischen den Figuren und ihrer Umgebung. Fernab der häuslichen Welt setzte Hitz die Mutterfigur somit sowohl in Beziehung zu ihrem Kind als auch in Beziehung zur Außenwelt. Katharina Berhold

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1