Leseprobe

› 26 ‹ Der französische Thronfolger im Kupferstich Bosses trägt mit Hermelinmantel und Krone Accessoires, die auch solche gekrönter Erwachsener waren, und doch ist das Kleinkind seinem Alter entsprechend gewickelt. Diese allegorische Kombinatorik versucht keinesfalls glauben zu machen, dass das königliche Wickelkind seine ersten Monate mit Krone und Hermelinmantel verbrachte, doch der im eigentlichen Kinderporträt so anschauliche Wechsel der Kleider legt eine wörtlichere Lesart im Gegenteil nahe. Ob solcher Bildevidenz zu trauen ist, scheint eine andere Frage, denn der reale Kleidertausch ist ein rite de passage gewesen, der die Kindheit bestenfalls in den Augen der Kinder selbst beendete – und auch das nur bis zum Beweis des Gegenteils. Unglücklich darüber, »daß ich immer noch als Kind galt«, konnte die späterer eigener Darstellung nach zehnjährige Wilhelmine von Preußen, die ältere Schwester Friedrichs des Großen, bei ihrem Vater Friedrich Wilhelm I. zwar endlich durchsetzen, »mich nunmehr wie eine Erwachsene zu behandeln und mir die Kinderkleider ablegen zu lassen«, doch wurde sie sehr schnell belehrt, dass zwischen beidem kein allzu enger Zusammenhang bestand.21 Wilhelmines Bayreuther Erinnerungen, denen die Begebenheit entnommen ist, legen ein Datum um 1720 nahe. Tatsächlich aber malte Antoine Pesne schon 1714 die damals fünfjährige Prinzessin in einer goldbesetzten robe de cour aus silbrigem Atlas (Abb. 3).22 Ein Kinderkleid, auf dem allerdings schon der gestickte Stern und die orangefarbene Schärpe des Schwarzen Adlerordens prangen, trägt im gleichen, um die Assistenzfigur eines farbigen Bedienten ergänzten Doppelporträt nur ihr kleiner Bruder, der zukünftige Friedrich II. von Preußen, der als etwa Zweijähriger mit umgehängter Trommel nach seinem KriegsAbb. 3 Antoine Pesne Friedrich von Preußen und seine Schwester Wilhelmine, spätere Markgräfin von Bayreuth 1714 · Leinwand Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Schloss Charlottenburg 21 Weber-Kellermann 1981, S. 62. 22 Vgl. Berckenhagen et al. 1958, S. 128, Kat.-Nr. 115a (datierbar anhand eines Briefes der Königin über ihre Bestellung beim Künstler).

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