› 73 ‹ Alle drei Bildnisse der Brockes-Kinder zeichnen sich durch deren Verknüpfung in Gesten und Blicken aus, durch Arrangements, die trotz ihrer Künstlichkeit schlüssig wirken, und dadurch, dass für jedes einzelne ein geschlechts- und alterstypisches Verhalten angedeutet scheint. Es waren dies Mittel, die von Anbeginn auch Denners Gruppenbildnisse ganzer Herrscherfamilien in der Art englischer Konversationsstücke (conversation pieces) vor allzu großer Steifheit bewahrten. Doch die Kinder sind näher an den Betrachter herangerückt als in solchen Bildnissen mit ihrer größeren Personenzahl, weshalb die Rolle von Blumen und Früchten in ihren Händen, für die Denner keinesfalls auf einen Spezialisten wie Tamm angewiesen war, umso mehr ins Auge fällt. Sie geht auf die Physikotheologie Brockes’ zurück, der als Naturlyriker des ab 1721 veröffentlichten Irdischen Vergnügens in Gott zu den wichtigsten Autoren der Hamburger Frühaufklärung zählte. Sinnliche Wahrnehmung und Studium der Natur sind in der Reimschmiede des Vaters der Kinder durchweg Anlass zu religiösem Empfinden, weil Gott sich in allen ihren Formen offenbart. So harrt die Rose, die Anna Ilsabe emporhält, der Aufmerksamkeit des erwartungsvoll von ihr angeblickten Johann Bernhard, denn »Augen, die deine Vortrefflichkeit sehen, / Müssen, vor Anmuth erstaunet, gestehen, / Daß dich ein Göttlicher Finger gemacht«.8 Auch die gerade unbeachtete Pflaume in ihrer Linken lohnt der Betrachtung, die kindliche Welt- und Gotteserfahrung gleichermaßen birgt: »Ferner kann von Gottes Güte / Auch die Pflaume Zeuge seyn«, weiß der letzte, posthum veröffentlichte Band des Irdischen Vergnügens.9 • GW 8 Brockes 1721–1748, Bd. 1, S. 12 (von Georg Friedrich Händel in der letzten seiner Neun deutschen Arien vertont). 9 Ebd., Bd. 9, S. 162. Abb. 2 Balthasar Denner Julius Hermann, Joachim Wilhelm und Garlieb Joachim Brockes um 1729 · Leinwand Hamburger Kunsthalle
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