› 103 ‹ Abb. 2 Gustav Völkerling Die Muldbrücke in Dessau, von der Stadt gesehen um 1860 · Fotografie (Visitformat) Ein (bewusster oder unbewusster) Hinweis auf die Erbprinzessin ist in dem Gemälde der beiden Mädchen, welches stark an die Freundschaftsbilder der Aufklärungszeit erinnert, enthalten. Tischbein siedelte seine Porträts nur selten an einem wiedererkennbaren Ort an. Für die Dessauer Fürstenfamilie tat er das in seinem Bildnis der Kinder des Erbprinzen (vgl. 18) und in einem der ganzfigurigen Porträts der Fürstin Louise, in welchem er sie bewusst an einem Rundaltar der Wörlitzer Anlagen platzierte, um sie als Vestalin zu inszenieren.8 Die beiden Mädchen sind gut erkennbar am Ufer der Mulde, unweit des Dessauer Residenzschlosses dargestellt. Rechts, unterhalb der Fassade des Ostflügels, sind ein flacher Bogen, das schmiedeeiserne Gitter und einer der kegelförmigen Obelisken der Muldbrücke zu erkennen, welche 1797, im selben Jahr wie das Gemälde, fertiggestellt wurde.9 Die von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736–1800) entworfene Brücke führte aus dem Lustgarten und der Muldstraße auf die östliche Flussseite, wohin sich Einwohner und Gäste der Stadt gern begaben, um im Dessauer Tiergarten zu spazieren oder auf der Hauptstraße des Gartenreichs nach Wörlitz zu fahren (Abb. 2). Sie überquerten dabei auch die kleine Insel zwischen der Ober- und der Untermulde, auf deren nördlichem Zipfel sich die beiden Mädchen des Tischbein-Gemäldes niedergelassen haben. Obwohl die Brücke erst im Dezember 1797 ganz vollendet war, weihte man sie bewusst schon am 29. Juni, dem Geburtstag der Erbprinzessin Christiane Amalie, feierlich ein. Fürstin Louise notierte an diesem Tag, dass sie am Morgen »zum Geburtstagskinde gefahren, von dort mit allen und die kleine Kinder über die Brücke, welche eingeweihet wurde, und Verse von Behr[isch] abgesungen«10. Wir kennen die Gelegenheitsverse des Pädagogen Ernst Wolfgang Behrisch (1738–1809) für diesen Anlass nicht. Sicher haben sie den Geburtstag und die Brückenweihe in Verbindung gebracht. 8 Fürstin Louise von Anhalt- Dessau als Vestalin, 1799. Anhaltische Gemäldegalerie Dessau, Gal.-Nr. 221. Franke 1993, Bd. 2, S. 27, WV 18. 9 Harksen 1937, S. 85f. 10 Zitiert nach Pfeifer/Quilitzsch/ Schlansky 2010, Bd. 1, S. 305. Unabhängig davon, ob der Maler nun seine eigenen Töchter in dem Gemälde festhielt oder aber andere Dessauer Mädchen – seien es Prinzessinnen oder Bürgertöchter –, es bleibt gerade der Umstand bezeichnend, dass Tischbein den sozialen Stand der Dargestellten nicht markierte. Wie kurz davor in seinem Porträt der Prinzessin Amalia Augusta ( 13) verzichtete er auf Abzeichen und Attribute, welche auf einen adligen oder fürstlichen Rang hinweisen könnten. Mit dieser Bildpraxis vertraut, konnten spätere Aufseher der herzoglichen Sammlungen leicht darauf verfallen, in ihnen kleine Prinzessinnen zu erkennen. • RR
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