Leseprobe

› 12 ‹ Abb. 3 Geldorp Gortzius Bildnis eines dreijährigen Mädchens 1593 · Holz · Anhaltische Gemäldegalerie Dessau Unsere beiden Knaben zeigen an, welche bildlichen Beharrungskräfte in jenen Jahrhunderten möglich waren, die eine neue Idee der Kindheit entwickelten. Stilistische Details wie die Wiedergabe der Stofflichkeit und die Modellierung der Inkarnate sind verschieden. Die Bildanlage und die Motivik der beiden Gemälde sind aber trotz der zwischen ihnen liegenden 200 Jahre erstaunlich ähnlich. Ob solche Konstanten nun gleichlautenden Repräsentationsstrategien der Auftraggeber entspringen oder aber auf selbstständige Entscheidungen der Maler zurückgehen, ist in jedem Fall neu zu klären. Porträtgemälde waren und sind keine beiläufigen Momentaufnahmen (auch wenn es Gelegenheiten gibt, in denen sie genau das suggerieren möchten). Auftraggeber – es müssen nicht die Eltern der dargestellten Kinder sein – hatten Vorstellungen vom Zweck und zukünftigen Kontext des Gemäldes. Malerinnen und Maler (in Abb. 2 der den Nazarenern nahestehende Carl Christian Vogel) blickten bewusst in die Geschichte der Kunst zurück, welche immer wieder Modelle und Anregungen zur Bewältigung neuartiger Bildaufgaben bereithielt. Es lässt sich schwerlich behaupten, der niederländische Maler des Unbekannten Jungen mit Pferd habe diesen weniger kindlich gemalt als Carl Christian Vogel seinen Prinzen Albert. Ein Blick auf Bilder wie das Medaillon des Ernst von Anhalt-Bernburg ( 4) mit seinen winzigen Händen und kindlich abgespreizten Fingern zeigt, dass auch Künstler um 1600 schon einen Sinn für die anrührende körperliche Zerbrechlichkeit kleiner Kinder hatten und sie nicht mehr als »erwachsene Menschen von kleinerem Wuchs«4 darstellten. Wie zu beobachten sein wird, hatten unterschiedliche Zeiten unterschiedliche bildliche Konzepte von Kindlichkeit. Die Idee des sich im Porträt lebhaft und spontan gebenden Kindes, des nach unseren heutigen Maßstäben sich »natürlich« verhaltenden Kindes, ist nur eine davon. 4 Ariès 1975, S. 93. Im Katalog sind die meist aus dem mittel- und norddeutschen Raum stammenden Bildnisse annähernd chronologisch geordnet. In den Ausstellungsräumen, wo eine dem Buch eigene streng lineare Anordnung nicht angebracht ist, werden vier Sektionen gebildet, die nach verallgemeinernden Aussagen zu unterschiedlichen Konzepten von Kindlichkeit im Bild suchen. Die erste Sektion mit dem Titel Das präsentierte Kind 1600–1670 dokumentiert den enormen quantitativen Aufschwung des deutschen

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