Leseprobe

Unter dem Auge des Kaisers: Die visuelle »Meistererzählung« des Dreikaiserecks 17 I Unter dem Auge des Kaisers: Die visuelle »Meistererzählung« des Dreikaiserecks Die Postkarten aus dem Dreikaisereck bilden eine regionale Version der Meisterzählung, die aus zwei – auf der oben erwähnten Postkarte von 1913 (Abb. 1) sichtbaren – wichtigen ikonografischen Motiven besteht: der Flusslandschaft der Przemsa sowie den Bildern von Kaiser Wilhelm II. von Preußen, Zar Nikolaus II. von Russland und Kaiser Franz Joseph I. von Österreich-Ungarn, die in verschiedenen Formen dargestellt sind. Ihre repräsentativen Porträtaufnahmen befinden sich in ovalen Rundbildern: Das Bild des Kaisers von Preußen überragt die Bilder der anderen Herrscher, die darunter und nebeneinander dargestellt sind. Zwischen den Rundbildern schlängeln sich Zweige einer Eiche, die sowohl als Symbol für die Macht und Beständigkeit der kaiserlichen Herrschaft als auch, der Mythologie zufolge, als axis mundi, als Achse des Universums und damit als Ort, an dem die Welt beginnt, sowie als Symbol für Deutschland gedeutet werden kann.6 Diese präzise komponierte Symbolik, die das Wesen des Dreikaiserecks und seine Rolle in der deutschen Politik zum Ausdruck bringt, ist jedoch nicht ohne Makel. Der Breslauer Verlag hat – ob absichtlich oder nicht – die Flaggen der angrenzenden Länder nicht sehr sorgfältig wiedergegeben: Die Flagge Russlands hat ein umgekehrtes Farbschema. Die Flagge von Kaiser Franz Joseph ist eine Kombination aus den Farben Österreichisch-Schlesiens (Schwarz und Gelb) und den Farben der Habsburger Dynastie. Bemerkenswert ist, dass die Postkarte, die 1897 von Carl Hauck,7 dem Hersteller der ersten Myslowitz-Postkarten, herausgegeben wurde, die richtige Anordnung der Farben aufweist (Abb. 2). Diese ungleiche Verteilung zwischen den Kaisern unterstreicht das zweitbeliebteste ikonografische Element der aus dem Dreikaisereck verschickten Postkarten: die Ansicht der Schwarzen Przemsa – des Flusses, der die drei Mächte trennt. Die Landschaft bildet auf den ersten Blick alle drei Gebiete ab: Am linken Ufer, wo die Flüsse Schwarze und Weiße Przemsa zusammenfließen und die Grenze Abb. 3 Kommunikationsmittel für die Reisenden – Gruss von der Dreikaiserreichsecke. b. Myslowitz O. S. Breslau: Bruno Schulz, o. J. [vermutlich 1907].

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1