Wer ist das »Etablissement«? Kennzeichnung von Zugehörigkeit 19 I Eine der vielen vom Verlag Lukowski herausgegebenen Postkarten (Abb. 4) enthält alle drei Motive: eine Farbfotografie des Bismarckturms, die ein Drittel der Kartenfläche einnimmt, ein Panorama des Flusses Przemsa mit Blick auf das russländische Dorf Niwka und eingearbeitete Motive von Flaggen und Adlern, welche die drei Mächte symbolisieren, wobei die Embleme und Farben Preußens dominieren. Eine solche Kombination von Bildern und Symbolen setzt einen starken Akzent, der den Kontrast zwischen dem monumentalen Gebäude sowie der Promenadenlandschaft auf der deutschen Seite und dem im Hintergrund gezeigten russländischen Dorf mit seinen kleinen Gebäuden sowie der spärlich bebauten Landschaft hervorhebt und somit den Diskurs der übergeordneten Erzählung verstärkt. Alle oben beschriebenen Motive erscheinen auf Postkarten in verschiedenen Formen und Konstellationen, die oft eine komplexe Botschaft mit sozialem und politischem Inhalt vermitteln. Vor allem bei MehrbildPostkarten ist das der Fall. Dies ist eine Besonderheit der regionalen Postkarten des oberschlesischen Grenzgebiets. Die Hersteller der Myslowitzer Postkarten arbeiteten bei der Schaffung einer visuellen Identität des Ortes außerordentlich sorgfältig, insbesondere an den Orten, die in der Zeit vor der Einführung der Postkarte, d. h. vor der Schaffung des Verkehrsknotenpunktes im Grenzgebiet der drei Mächte, keine sehr reiche ikonografische Tradition aufwies. Man kann argumentieren, dass die Postkarten aus dem Dreikaisereck, die ab Ende des 19. Jahrhunderts in großer Zahl herausgegeben wurden, wegweisend für die Ikonografie dieser Region sind. Die auf ihnen dargestellte Geschichte ist entscheidend für die Deutung ihrer Besonderheit, die auf dem Aufeinandertreffen gegensätzlicher Landschaften und Kulturen beruhte. Von dem Moment an, in dem die Ansichtskarten in die Welt gesetzt werden, schaffen sie Bilder des Vertrauten und des Fremden, des Feindlichen und des Exotischen. Die Verwendung der Naturlandschaft und ihre visuelle »Politisierung« durch die Verwendung einer bestimmten Perspektive und die Einbeziehung nationaler Symbole schaffen ein Bild der Machtverhältnisse in der Region, der nachbarschaftlichen und internationalen Beziehungen und vor allem ein Selbstbild der Grenzgemeinschaft. Wer ist das »Etablissement«? Kennzeichnungen von Zugehörigkeit Myslowitz erlebte als Stadt einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, der durch die Errichtung der Grenze zwischen der Habsburgermonarchie, Preußen und Russland im Jahr 1846 am Zusammenfluss der Weißen und Schwarzen Przemsa11 sowie durch die Anbindung der Stadt an die Eisenbahnlinie Oppeln–Gleiwitz–Zabrze– Kattowitz–Myslowitz und die anschließende Verbindung nach Breslau und Krakau ausgelöst wurde. Dadurch erhielt die Stadt 1858 die Stadtrechte zurück, die sie im 18. und 19. Jahrhundert verloren hatte.12 Dieser wiedergewonnene Status beeinflusste die Art und Weise, wie die Stadt in den visuellen Medien dargestellt wurde. Auf Ansichtskarten wurden repräsentative öffentliche Gebäude, die prächtigen Villen der Zechenbesitzer sowie grenznahe Restaurants und Hotels abgebildet. Das häufigste Motiv war jedoch eine Promenade entlang des Flusses Przemsa, die sich zwischen einer Reihe junger Bäume erstreckte und den eleganten Herren und Damen, die dort vorbeischlenderten, nicht nur einen Blick auf die andere Seite des Flusses bot, sondern auch die Möglichkeit, sich auf einer Flusswiese zu entspannen oder sich in den Grenzlokalen zu erfrischen. Die Atmosphäre der Belle Epoque vermittelt eine Postkarte, die vom Verlag H. C. B. herausgegeben und 1907 in Umlauf gebracht wurde (Abb. 5). Die in vier Felder unterteilte Postkarte zeigt im oberen Teil die wichtigsten Attribute des Dreikaiserecks: Bilder der Kaiser und eine Ansicht des Flusses Przemsa und der Promenade, die zum 1907 fertiggestellten Bismarckturm führte; im unteren Teil präsentiert sich eine elegante Gesellschaft – Damen mit schicken Hüten und Herren in ihrer besten Kleidung – vor dem Hintergrund der Restaurants und Weinstuben, darunter die Beschriftung »Etablissement ›Dreikaiserecke‹«. Ein solches Bild des Grenzgebietes von Myslowitz war sicherlich eine gute touristische Werbung für die Region und vermittelte das Bild einer sogenannten anständigen Provinz mit angemessenen Verpflegungs- und Dienstleistungseinrichtungen und einer Landschaft, die Erholungsmöglichkeiten an der frischen Luft bot. Dieses Angebot, das vor allem auf Werbepostkarten präsentiert wurde, richtete sich vermutlich nicht nur an Besucher:innen aus der Ferne, welche die neuen, günstigen Bahnverbindungen z. B. nach Breslau nutzten,13 sondern vor allem an Gäste und Nachbar:innen von
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